LowBeats Autor Christof Hammer stellt bei uns jede Woche besonders hörenswerte Alben vor. Die LowBeats CD der Kalenderwoche 36 kommt von Nick Cave. Zur Entstehung des Albums erscheint ebenfalls eine Film-Dokumentation von Andrew Dominik auf Blu-ray. Der australische Songpoet leuchtete schon immer die dunklen Seiten menschlicher Gefühlswelten aus und machte dabei vor sich selbst nie Halt. Nick Cave Skeleton Tree ist geprägt durch den Unglückstod eines seiner Söhne.
Damit rückt Cave sein Werk auf eine neue Intensitätsebene und zeigt: Trost kann auch in Schönheit liegen, und manchmal wird das Streben nach Kontrolle und Perfektion zur Nebensache.
Wie umgehen mit dem Tod, dem Verlust eines geliebten Menschen, eines großartigen Familienmitglieds? Die Reaktionen im Trauerzustand sind individuell verschieden, und doch folgen sie einem klar umrissenen Kanon an Verhaltensmustern. Rückzug in die Innerlichkeit, selbstquälerisches Kreisen um das Warum, das Balancieren zwischen würdevollem Erinnern und zeitweisem Vergessen als Selbstschutzmechanismus.
Was tun mit den Gedanken und Gefühlen, den Erinnerungen? Sie mit Tränen der Trauer begießen, auf dass sie sprießen und gedeihen? Das muss man aushalten können – und manchmal ist es vielleicht besser, sie zurückzudrängen, bevor sie zu schmerzhaft auf der Seele lasten.
Auch Nick Cave war bei der Entstehung von Skeleton Tree diesen Prozessen ausgesetzt: Am 14. Juli vergangenen Jahres starb sein Sohn Arthur. Der 15-Jährige hatte zusammen mit einem Freund mit LSD experimentiert und verunglückte tödlich, als er im Drogentaumel die Orientierung verlor und die Klippen der Steilküste nahe Brighton hinabstürzte.
Der australische Musiker entschied sich beim Umgang mit diesem Schicksalsschlag für einen kontrollierten Schritt in die Öffentlichkeit und lud seinen Landsmann, den Regisseur Andrew Dominik (Chopper, The Assassination Of Jesse James) zu einem Dokumentarfilm ein, der gleichermaßen die Entstehung seines neuen Albums Skeleton Tree umfasst wie auch die eigene Trauerarbeit – trennen ließ sich beides ohnehin nicht voneinander.
Dominiks Film – One More Time With Feeling – mischt Aufnahmen aus den Studiosessions mit Caves Begleitband The Bad Seeds, Dialoge zwischen Cave und seiner Partnerin Susie Bick sowie Selbst(findungs-)gespräche zu einem beklemmenden Porträt eines Menschen und Musikers, der seit früher Jugend daran gewöhnt ist, sich mit seinen inneren Dämonen auseinanderzusetzen und der nun den wohl härtesten Hieb seines Lebens zu meistern hat.
Gedreht wurde, Caves Seelenzustand folgend, in Schwarz-Weiß – den Farbenreichtum auszubreiten, der ein glückliches Leben bebildert, wäre ein cineastisch denkbar unangemessenes Mittel gewesen.
Nick Cave Skeleton Tree – Trost im Schönen
Und das Album selbst? Nick Cave Skeleton Tree zeigt ihn und seine Band selbst zweifellos in einem Ausnahmezustand. Der „Fürst der Finsternis“ versucht erkennbar, seine Gefühle und Selbstreflexionen musikalisch zu kontrollieren, sich nicht hinwegreißen, niederdrücken zu lassen. Das gelingt (wer könnte es nicht nachvollziehen?) nicht immer.
Gleichwohl wurden die dramaturgischen Spitzen auf Skeleton Tree meist begrenzt, die emotionalen Extreme beschnitten – auch mithilfe von Warren Ellis.
Caves langjähriger Sideman, als Multiinstrumentalist (Synthesizer, Piano, Wurlitzer, Violine, Bariton-Tenor-Gitarre, backing vocals) ohnehin quasi unersetzlich, nimmt inzwischen erkennbar die Rolle des „Musical Directors“, ja gar des Kümmerers ein und assistierte einem sicht- und hörbar mitgenommenen Cave mit ruhiger Hand und gelassener Übersicht.
So dokumentiert Nick Cave Skeleton Tree quasi den Prozess des zeitgleichen Erschaffens und Analysierens: ein acht Songs starkes Werk, das den in seiner bisherigen Karriere so kontrollierten „Emotionsrationalisten“ Cave dabei zeigt, wie er auf der Suche nach innerem Frieden den eigenen Schmerz durchleben, abarbeiten muss.
„Jesus Alone“ eröffnet mit dunkel an- und abschwellendem Brummen undefinierter Herkunft – ein latent unheimlicher Ton, der sowohl von einer Gitarre als auch aus dem Synthesizer stammen könnte. Auch in „Magneto“ und „Anthrocene“ zeichnen die Bad Seeds diffus-impressionistische Soundscapes, nehmen sich zurück, stützen, begleiten, aber werden nie dominant.
Caves Seelenzustand und sein klassisch-strenges Piano bleiben durchwegs die Leitplanken bei dieser tour de force durch die Dunkelheit und der Suche nach dem Licht. „Rings Of Saturn“ setzt dann mit himmlischen Streicher- und Pianoklängen und einem sich von einem narrativ-ruhigen Basiston in fast rapartige Vocals hineinsteigernden Cave erste Kontraste.
Im Schlussviertel von Skeleton Tree ergibt sich Cave schließlich der Schönheit. In „Distant Sky“ bringt die dänische Sopranistin Else Torp strahlende Erhabenheit ins Spiel – der Schmerzensmann Cave lässt sich die Wunden streicheln: ein Arrangement, eine Komposition, die vor einem anderen Hintergrund geschmäcklerisch anmuten würde, die hier aber als kirchenmusikalische Erlösungsmusik schwer unter die Haut geht und auch Berufszynikern das Maul stopft.
Der Titelsong schließt den Vorhang. „I call out I call out / Right across the sea / I call out I call out / Nothing is for free / And it’s all right now, and it’s all right now, and it’s all right now“: der Mensch am Ende seiner Kraft, mit unübersehbaren Schatten auf der Seele.
Nick Cave Skeleton Tree zeigt die Bilder davon; diesmal oft Skizzen, Momentaufnahmen ohne Anspruch auf Perfektion. Die großen Ölgemälde folgen ein andermal wieder – vielleicht.
Nick Cave Skeleton Tree erscheint bei Bad Seeds Ltd und ist erhältlich als Audio-CD, Vinyl LP und MP3-Download.
Die Dokumentation One More Time With Feeling von Andrew Dominik ist auf Blu-ray und DVD erhältlich.
MusikKlangRepertoirerwertGesamt |