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Singer-Songwriterin mit Herz und Hund: Rickie Lee Jones hat mit „Pieces of Treasure“ ein für Singer-Songwriter ungewöhnlich Jazz-lastiges Werk abgeliefert. Trotzdem oder gerade deshalb klasse und unser Album der Woche

Rickie Lee Jones „Pieces of Treasure“: das Album der Woche

„Chuck E’s In Love“ – mit diesem Song-Statement auf ihrem Debüt-Album katapultierte sich eine junge US-Singer-Songwriterin 1979 in die Charts – und in die Herzen anspruchsvoller Musikliebhaber sowie klangbegeisterter HiFi-Freunde. Nun legt Rickie Lee Jones ein neues Album vor, ein Oeuvre, das dem „Great American Songbook“ gewidmet ist. Rickie Lee Jones „Pieces of Treasure“ ist unser strahlkräftig-jazziges Album der Woche.

„Wir sollten ein Jazz-Album aufnehmen,“ bemerkte Russ Titelman lächelnd beim Mittagessen in der Upper Westside von Manhattan kurz vor Weihnachten 2019. Das Gegenüber des langjährigen Promi-Produzenten (Eric Clapton, George Harrison, Nancy Sinatra, James Taylor) erwiderte den Vorschlag über den fein gedeckten Mittagstisch hinüber: „Ja, ich bin dabei, lass’ es uns angehen.“

Die Angesprochene war die Singer-Songwriter-Ikone Rickie Lee Jones. „Wir diskutierten das Thema bereits seit über 20 Jahren hin und her und kamen irgendwie nicht weiter“, so die Sängerin. Und dass, obwohl die heute 68-Jährige bereits 1990 auf ihrem Album „Pop Pop“ zumindest Jazz-Standards einspielte, unter anderem mit Robben Ford, Charlie Haden und Tenorsaxofonist Joe Henderson.

Russ Titelman spielte im Leben von Rickie Lee Jones schon öfter eine nicht unwesentliche Rolle: Er co-produzierte das fantastische 79er Debüt-Album und betreute den klasse Nachfolger „Pirates“ (1981). Schließlich arbeitete er mit Rickie Lee am „Great American Songbook“, einem relativ unscharf umrissenen Glanz-Oeuvre der Blütezeit US-amerikanischer Singer-Songwriter des vorigen Jahrhunderts. Die DNA durchzieht Jazz und Populärmusik, unter anderem auch bereichert von Croonern wie Frank Sinatra oder Dean Martin.

Rickie Lee Jones „Pieces of Treasure“
Die Sängerin Rickie Lee Jones mit dem Produzenten Russ Titelman (Foto: Vivian Wang)

Gesagt, getan: Künstlerin und Produzent füllten eine Liste an Songs, drehten und wendeten dabei Ideen hin und her. Und „wir hielten Zoom-Online-Sessions mit Pianist Rob Mounsey“, so Jones. Ähnlich musikalisch intim lief das schon beim allerersten Album „Rickie Lee Jones“, auf dem sie damals Kollegen wie Dr. John, Randy Newman, Steve Gadd oder Michael McDonalds von den Doobie Brothers begleiteten.

Die damals 25-jährige Wahl-Kalifornierin überzeugte Plattenfirma und Publikum schnell. Parallel zu Jobs als Bedienung trat sie in Clubs auf und landete schließlich ihr Mega-Debüt, das auch in HiFi-Kreisen schnell zum begehrten Objekt und geadelt wurde: Ein Half-Speed-MFSL-Album wie eine Doppel-LP-Version, das mit 45 Umdrehungen pro Minute die letzten akustischen Feinheiten heraus kitzeln möchte. Beide sind übrigens mittlerweile kaum unter 200 Euro bei eBay & Co zu haben.

Musikalisch vereint Rickie Lee Jones eine sehr eigenständige Mischung aus Jazz, R&B, Folk und Singer-Songwritertum, auch Alternative-Rock ist ihr nicht fremd. Alles getragen natürlich von ihrer unerhört wandlungsfähigen Stimme: nasal, rotzig, jubilierend, wispernd.

Die Musik von Ricki Lee Jones „Pieces of Treasure“

Die Aufnahmesessions zum aktuellen Album fanden Mitte 2022 in den New Yorker Sear Sound Studios statt (Björk, David Bowie, Eric Clapton, Bob Dylan, Paul McCartney, Patti Smith), das Mixing im Bass Hit Studio (Sting, Whitney Houston). Dort schien der kreative Prozess smart verlaufen zu sein. „Russ ist ein großartiger Zuhörer, der großartigste, den ich je getroffen habe.“

Was den Klang angeht, haben die Tonmeister bei Aufnahme, Mixing und Mastering prima Arbeit geleistet. Das Album tönt sehr ausgewogen, farbstark, homogen und prima räumlich. Sozusagen auf den Spuren des Debüts von 1979 …

Im Opener „Just In Time“ (geschrieben von Jule Styne, Betty Comden und Adolph Green) glimmt warmherzig ein Vibraphon, das seine Schallwellen bauchig vibrierend im Raum verteilt. Dazu die leicht näselnde Stimme von Rickie Lee. „Ich flirte in dem Song mit dem Mikrofon“, erklärt sie und ergänzt: „Die Synchronizität zwischen den Musikern, speziell mit dem Vibraphonisten Michael Mainieri, einer Koryphäe in unserer Szene, ist da perfekt.“

„Nature Boy“ (von Eden Ahbez) brachte ihr der Vater bei „als ich noch ein Kind war, vielleicht im Alter von zehn oder zwölf.“ Darin gibt es eine Botschaft: „Liebe – und du wirst dafür auch geliebt werden.“ Schillernd exotisch dabei: eine Oud, gespielt von Ara Dinkjian. „Das war Russ Titelmans Idee.“

„One For My Baby“ (von Harold Arlen, Johnny Mercer) beeindruckt durch minimalistisch gespieltes Piano, das Stück erhebt sich swingend auf und gönnt dem Ohr einen schnurrenden Akustikbass.

„They Can’t Take That Away From Me“ (von George und Ira Gershwin) lebt von sonorem Akustikbass, samtigem Saxofon und Rickie Lees facettenreichen Vocals. Mit Fred Astaire debütierte das Lied 1937 im Film „Tanz mit mir“, die Szene spielt an Deck der Fähre von New Jersey nach Manhattan.

Den Song „On The Sunny Side Of The Street“ (von Jimmy McHugh, Dorothy Fields) „brachte mir mein Vater bei als ich acht war. Einer der ersten Jazz-Songs, das war eine große Sache für mich.“

Rickie Lee Jones „Pieces of Treasure“ Cover
Rickie Lee Jones und „Pieces of Treasure“ erscheint bei Modern Recordings / BMG verfügbar als CD, LP sowie Stream oder Download, z.B. auf qobuz.com (Foto: qobuz)

Das nachdenkliche „It’s All In The Game“ (von Charles G. Dawes, Carl Sigman) klingt mit Chor und einem Seufzer aus. Im Kontrollraum des Studios musste Rickie Lee beim Abhören weinen. „Es dauerte eine ganze Weile damit aufzuhören. Und ich weiß nicht warum.“ Wohl Ausdruck einer sehr sensiblen Seele und Persönlichkeit.

Rickie Lee Jones „Pieces of Treasure
2023/04
Test-Ergebnis: 4,4
SEHR GUT
Bewertungen
Musik
Klang
Repertoirewert

Gesamt

Buchtipp:
Rickie Lee Jones „Last Chance Texaco
2021 veröffentlichte Rickie Lee Jones ihr Buch „Last Chance Texaco – Chronicles Of An American Troubadour,“ das sehr gelobt wurde, jedoch bislang nicht ins Deutsche übersetzt wurde (Cover: GROVE ATLANTIC)

Autor: Claus Dick

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Musikfachmann seit Jahrzehnten, aber immer auch HiFi-Fan. Er findet zielsicher die best-klingenden Aufnahmen, die besten Remasterings und macht immer gern die Reportagen vor Ort.