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Shungudzo
Shungudzo ist eine beeindruckende Persönlichkeit – und eine Musikerin, die was zu sagen hat. Und so ist ihr Debut-Werk "I'm Not A Mother But I Have Children" unser Album der Woche

Shungudzo I’m Not A Mother But I Have Children: das Album der Woche

Selbstbewusster Soulpop mit Sommerhit-Qualitäten: Auf ihrem Albumdebüt demonstriert die simbabwisch-amerikanische Sängerin Shungudzo überzeugend, wie gut sich eine explizite Haltung mit allerbestem musikalischem Handwerk unter einen Hut bringen lässt. Kein Wunder also, dass Shungudzo I’m Not A Mother But I Have Children zu unserem Album der Woche gekürt wurde.

Mit ihren 31 Jahren kann Alexandra Shungudzo Govere bereits auf eine beachtliche Vita zurückblicken. Sie wurde mit neun als erste schwarze Kunstturnerin Mitglied der simbabwischen Nationalmannschaft, leitete mit 15 eine internationale Hilfsorganisation zur Unterstützung von AIDS-Waisen, studierte Ingenieurswesen an der Stanford University, stand mit 21 für eine Reality-TV-Serie auf MTV vor der Kamera. Nun dürften zwei weitere Rollen hinzukommen: Mit ihrem Debütalbum avanciert die simbabwisch-amerikanische Sängerin gerade zum neuen Stern am Soulpop-Himmel – und nebenbei zu einer weiteren Führungsfigur der weiblichen coloured people. Denn die 15 Tracks auf Shungudzo I’m Not A Mother But I Have Children reflektieren eben so sehr eine explizite politische und humanitäre Haltung wie sie für ein 40-minütiges Set musikalisches lupenreines Sommerhitpotenzial enthalten.

„Ich habe immer daran geglaubt, dass alles gut wird, und daran, dass Dinge geschehen, wenn es so sein soll. Aber das geht nicht ohne die Verantwortung, uns selbst und auch unsere Gemeinschaften zu verbessern“, sagt Shungudzo. „Wir müssen über uns selbst hinausdenken und stattdessen an zukünftige Generationen aller Lebewesen. Wir müssen dafür kämpfen, dass dieser Planet und alles, was auf ihm lebt, eine Zukunft hat. Und ich glaube, dass jeder von uns eine besondere Fähigkeit hat, die er dazu beitragen kann. Für mich ist das im Moment die Musik.“

Shungudzo
Extravagant, traditionsbewusst, feminin und politisch obendrein: Die simbabwisch-amerikanische Sängerin Shungudzo vereint das Beste aus unterschiedlichen Welten zu einem faszinierenden, afrikanisch gewürzten Soundkosmos zwischen Blues, Soul, Rock und Pop

Wer nun spottet, hier sei eine Überzeugungstäterin am Werk, dem sei entgegnet: ganz genau – und das ist gut so. Umso mehr, als dass Shungudzo den Kampf für eine bessere Welt eben nicht nur zur Systemfrage erklärt, sondern auch sich selbst, das Individuum in jedem von uns, in die Verantwortung nimmt: „The World Can’t Change For You, But You Can Change The World“ heißt denn auch einer der fünfzehn Tracks dieses Albums, das neben einem Dutzend „richtiger“ Kompositionen auch drei Gedichte und spoken-word-Miniaturen umfasst.

Und  schon von Beginn an wird klar, dass es nicht zuletzt die Wahl der „Waffen“, der musikalischen Mittel ist, die Shungudzo auszeichnet (und übrigens in den allermeisten Fällen Frauen äußerst angenehm von Männern unterscheidet). Ähnlich wie bei Kolleginnen wie Solange oder Janelle Monáe sind Empathie, Sanftmut, Fröhlichkeit und Nachdenklichkeit der rote Faden von Shungudzos künstlerischer Arbeit – nachzuhören etwa in „It’s A Good Day (To Fight The System)“, das eben nicht als kämpferische Agitationshymne daherkommt, sondern als sanft singender Soulpop begeistert, den man zum Sundowner ebenso hören kann wie auf dem Weg zum Wahllokal: Veröffentlicht im vergangenen Oktober kurz vor der US-Präsidentschaftswahl, avancierte dieser ebenso explizite wie federleicht-bläserluftige Ohrwurm nämlich augenblicklich zur Hymne jener US-Bürger, die unabhängig von Rasse, Klasse oder Status ihre Chancen erkannten, etwas in der Welt verändern zu können – und sei es einfach durch das Abgeben ihrer Stimme.

Die Musik von Shungudzo I’m Not A Mother But I Have Children

Aber trotz einer Fülle an fluffig-entspannten Tönen lässt Shungudzo keinerlei Zweifel an ihrer Haltung. Das zeigt sie schon im Intro „Black Breath“, das Martin Luther Kings historische „I have a dream“-Rede an den Hilferuf von George Floyd koppelt, als er unter dem Knie des Polizisten Derek Chauvin, unter dem Joch der weißen Staatsmacht um sein Leben flehte: „I can’t breathe“. Das sparsam rhythmisierte, mit ein paar bluesigen Gitarrenlicks verzierte „Fatherless Child“ wiederum darf durchaus als Antwort auf den von Schmerz, Verzweiflung und Unterdrückung erzählenden Spiritual-Klassiker „Sometimes I Feel Like A Motherless Child“ gesehen werden. Und „White Parents“ ist mit rauer Alternative-Rock-Gitarre und bollernden Drums eine resolute Ansage an jene, die jedes Date mit einem farbigen Menschen als eine Trophäe oder sogar als ein Hobby betrachten: „Es ist Song für jeden, der jemals als „exotisch“ bezeichnet oder wie ein sexuelles Objekt behandelt wurde, anstatt wie ein menschliches Wesen“, sagte Shungudzo.

Doch auch, wer mehr an musikalischen Highlights als an engagierten Texten interessiert ist, liegt bei diesem Album goldrichtig. „Fatherless Child“ pendelt entspannt, aber spannend zwischen Soul und Blues, in „Good Thing I’m Not God“ umschwirren allerlei sphärische Saitensounds Shungudzos Stimme wie schillernde Schmetterlinge, und „’Merican Dream“ kombiniert einen federnden Groove sowie erst lässige, dann psychedelisch rockige Gitarrenlicks mit einem Gospelchor, der so feierlich, hoffnungsvoll und Mut machend in das Arrangement hineinstrahlt wie ein Leuchtturm in den sturmgepeitschten Küstenhimmel. Und staubtrocken entlarvt Shungudzo hier den amerikanischen Traum als jene Schimäre, die er von Anfang an für die meisten seiner Bürger war: „America is a car salesman / he sold me a car with no engine / I tried to give it back / he told me, ‚Sorry ma’am, but this shit is yours now’“.

Dem gegenüber stehen zurückgenommene Balladen wie „To Be Me“ oder der Titelsong „I’m Not A Mother But I Have Children“: Hier verschiebt sich Shungudzos so wandlungsfähige wie charismatische Stimme hin in Richtung Verletzlichkeit und Nachdenklichkeit. „How Many More Lives“ und „Tripping“ wiederum spielen mit leicht TripHop-artigen Soundscapes, und in der a-capella-Nummer „Already free“ huldigen Shungudzo und ein vielstimmiger Begleitchor schließlich der Vokalkunst ihrer Heimat Simbabwe: ein ebenso virtuoses wie sensitives Stück Stimmakrobatik in der Tradition von Miriam Makeba oder Angelique Kidjo.

Ach ja: Nachdem Lowbeats schon von Beginn stets ein offenes Ohr für das Thema hochwertiges Musikstreaming bewies, ist es an der Zeit, nun auch in Sachen Software Farbe zu bekennen. Momentan ist Shungudzo I’m Not A Mother But I Have Children via Svikiro Records / BMG Rights nämlich nur als Stream erhältlich: ein willkommener Anlass, um – nur so als Beispiel – einmal feine Streaming-Lösungen wie den Cambridge EVO 75 beziehungsweise 150 zu beschnuppern…

Shungudzo "I'm Not A Mother But I Have Children" Cover
Shungudzo I’m Not A Mother But I Have Children ist derzeit nur über Svikiro Records / BMG Rights zu beziehen
Shungudzo I’m Not A Mother But I Have Children
2021/07
Test-Ergebnis: 4,5
ÜBERRAGEND
Musik
Klang
Repertoirewert

Gesamt

Autor: Christof Hammer

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Seit vielen Jahrzehnten Musikredakteur mit dem Näschen für das Besondere, aber mit dem ausgewiesenen Schwerpunkt Elektro-Pop.