2020 dürfte sein Jahr werden: Nach diversen Jahren als unterschätztem Indie-Zausel und gut gehüteter Geheimtipp des Neo-Psychedelic-Rock spielt sich Kevin Parker mit seinem Bandprojekt Tame Impala gerade zum universalen Darling des Alternative-Pop empor. Und womit? Mit Recht. Das vierte Tame-Impala-Album ist ein stilvolles Sound-Kaleidoskop zwischen Digital-Pop, Psychedelica, Disco und leichtgewichtigem Neo-Prog-Rock: Tame Impala The Slow Rush ist das neue LowBeats Album der Woche.
Aber erst einmal: Kommando zurück – Tame Impala als Band zu bezeichnen, ist eigentlich Blödsinn. Im Grunde ist dieses Projekt die One-Man-Show von Kevin Parker. Für Livekonzerte schart der Soundtüftler aus Australien zwar ein Bühnenquartett um sich, aber das, was dann konzertant aufgeführt wird, entspringt einzig und allein dem Mastermind des Chefs. Im kompletten Alleingang frickelt Parker seit 2007 den Tame-Impala-Sound zusammen – diesmal in Los Angeles und in seinem Home Studio in seiner Heimatstadt Fremantle. Ob es daran liegt, dass Tame Impala The Slow Rush eine elegante urbane Fluffigkeit ebenso ausstrahlt wie die etwas schläfrige Lässigkeit von Down Under?
Im Jahr 10 nach dem Startschuss mit dem Debütalbum Innerspeaker (2010) besticht die Musik von Tame Impala mittlerweile als gelungene Verbindung aus stylish-nerdigen Sounds und einem maximal wirksamen „Hängematten-Flair“: Wer vom permanenten Erregungs- und Event-Modus des Digitalzeitalters stilvoll in den Entschleunigungsmodus umschalten will, findet in Tame Impala The Slow Rush den perfekten Soundtrack. Das ultimative Hype-Album für den urbanen Hipster also, um bei einem Veggie-Burger oder einer mit laktosefreier Milch zubereiteten Latte Macchiato die Seele baumeln zu lassen? Unbedingt – aber längst nicht nur.
Denn Parker überzeugt nicht nur als cleverer Analytiker des Zeitgeists und der Retromoderne, sondern auch als exzellenter Handwerker und stilsicherer Arrangeur, der Komplexes mit bemerkenswert leichtem Händchen inszeniert. Ob Steely-Dan-artiger Jazz-Pop, revitalisierte Prog-Rock- und Discoklänge der Spätsiebziger oder House- und R&B-Phrasen neueren Datums: Auf The Slow Rush kommuniziert alles mit allem, greift in maximaler Homogenität ineinander, morpht wie ein ganzheitlicher akustischer Organismus.
Dabei sind die einzelnen Bestandteile dieser Musik durchaus klar zu identifizieren: hier Parkers heller, jungenhafter Falsett, da ein paar präsente, aber nie zu schwergewichtige Grooves, dort eine Flut an schwelgerischen, synthesiziergenerierten Klangwogen. Dazu gelegentlich ein altmodisches Mellotron und ein Klavier, das mal in edelstem House-Gewand daherkommt (famos in „Breathe Deeper“, einem der Highlights dieses zwölf Songs starken Repertoires), ziemlich oft aber auch als Wiedergänger des Siebziger-Jahre-E-Pianos in bester Supertramp-Manier (explizit in „It Might Be Time“).
Neu ist an diesem Mix also zunächst einmal eigentlich nichts – ein popmusikalisches Innovationsfeuerwerk findet hier nicht statt, und effektvoll inszenierte Höhepunkte innerhalb einer Komposition sind erkennbar nichts, was den Songwriter Parker groß interessiert. Wie gekonnt und sophisticated Tame Impala aber Vergangenes durch die ästhetische Filterblase der Gegenwart schicken: Das macht Kevin Parker & Co. derzeit niemand so schnell nach. Ältere Hörer erkennen die historischen Wurzeln und Referenzen dieser Musik ebenso eindeutig wie jüngere Musikfreunde die Verankerung des Ganzen in der Gegenwart. Und womöglich entdecken sogar die Millenniumkids der 2000er-ff-Jahre dieses Album als Türöffner hinein in eine Soundwelt jenseits von Teenager-HipHop oder amerikanischer Party-Mucke. Die Tür jedenfalls, die es zu durchschreiten gäbe, ist allemal schick gestaltet – und das, was sich dahinter verbirgt, sowieso.
Die Musik von Tame Impala The Slow Rush
Tanzflächentauglichkeit ist dabei übrigens nicht oberste Maxime – dafür bräuchte es schon ein paar satte four-to-the-floor-Beats mehr. Aber ansonsten ist dieses Album als stilvoller Begleiter für so ziemlich alle weiteren Tätigkeiten und Zeitfenster zwischen Aufstehen und wieder-ins-Bettgehen geeignet. „One More Year“ eröffnet als schmeichlerischer R&B-Pop und definiert wie auch das nachfolgende „Instant Destiny“ das Arrangementkonzept von Mr. Parker. Flüssig und präzise ist hier alles miteinander verfugt, greift wie bei einem akurat verzahnten DJ-Set ineinander. „Tomorrow’s Dust“ verspricht mit Akustikgitarren-Intro und luftiger Perkussion eine Gangart im Stil von Matt Biancos „Half A Minute“, um dann eine bratzige E-Gitarre im Stil von Survivor zu irritieren, ehe Parker nach 4:55 Parker die Szenerie in den Vorraum eines Clubs verlagert, um aus weiter Ferne das Thema von „Breathe Deeper“ herüberschweben zu lassen. Zweiter klarer Kandidat für massives Radio-Airplay und Dauerpräsenz auf den Playlists von Spotify & Co.: „Borderline“, das mit sanften Flötentönen, fuzziger Elektronik und smoothen Harmonien so verführerisch schillert wie eine feuchtgrüne Fata Morgana in der Wüste.
„Eine Reihe der Songs von Tame Impala The Slow Rush leben von der Idee, der Zeit beim Vergehen zuzusehen“, verriet Kevin Parker in einem Interview der New York Times. „Das hat etwas Berauschendes in sich.“ Fast 57 Minuten dauert Parkers Spiel mit dem Faktor Zeit auf „The Slow Rush“ – einem Werk, das hält, was sein Titel verspricht und einen langsamen Rausch entfaltet. Und hieß es zu Beginn noch „One More Year“, so schließt Parker 50 Minuten später den Vorhang mit dem Siebenminüter „One More Hour“, einem explizit prog-rockigen, gleichermaßen aufbrausenden wie sphärisch verträumten Abstecher zurück in die Vergangenheit – auch in die eigene.
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