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Das achtköpfige Avantgarde-Klassik-Ensemble The Colorist Orchestra aus Antwerpen ging mit Indie-Wüstenrocker und Singer-Songwriter Howe Gelb eine anrührende musikalische Liaison ein (Foto: E. Verberdt)

The Colorist Orchestra & Howe Gelb „Not On The Map“ – das Album der Woche

Vorhang auf, Spot an: Alternative-Rocker Howe Gelb (Giant Sand) inszeniert mit den acht Helden des belgischen Colorist Orchestra ein cinemascope-artiges, subtiles Happening mit vielen illustren Akustikinstrumenten in feinem Klangbild. Genuss pur, Freude und Überraschungen garantiert. The Colorist Orchestra & Howe Gelb „Not On The Map“ ist unser Stil-übergreifendes Album der Woche.

„Du hast Howe, und er erschafft eine Welt. Und dann erschafft ihr den Ozean darum herum.“ Das sagt kein Mitmusiker von Howe Gelb. Und schon gar kein Marketing-Manager der Plattenfirma. Sondern die elfjährige Tochter eines der beiden Macher des Colorist Orchestra, Kobe Proesmans. Zusammen mit Aarich Jespers leiten die beiden das achtköpfige Kreativ-Klassik-Ensemble, das gerne im Team mit anderen MusikerInnen Neues aus deren Oeuvre schöpft. Gerne mit seltenen oder auch selbst modifizierten klassischen Instrumenten.

Dass es diesmal ausgerechnet den Wüsten-Rock-Pionier Howe Gelb trifft, der seit rund vier Dekaden auch selbst stets die Nähe und Kollaboration anderer KollegInnen suchte und fruchtbar fand, darf als kleiner Glücksfall gelten. Denn so fremd sich die beiden Musiker respektive Genres auf den ersten Ohrenblick zu sein scheinen, so verblüffend nahe und selbstverständlich kommen sie sich und scheinen hier und da gar musikalisch zu verschmelzen. Wir erinnern uns: Howe Gelb, der knurrige Singer-Songwriter und Gitarrist blickt auch auf eine gemeinsame Vergangenheit mit den beiden Leadern von Calexico zurück (siehe auch LowBeats Alben der Woche), Joey Burns und John Convertino – eben bei Giant Sand. Joe hört übrigens auch meist gut zu, was seine beiden Zwillingstöchter zu seiner Musik sagen.

Die Initiative für das Teamwork ergriffen Jespers und Proesmans, die ihre Künste bereits mit Emiliana Torrini, Cibelle, Gabriel Rios oder Lisa Hannigan teilten. „Inspiriert von einem alten Giant-Sand-Song, haben wir fast alle Teile für ‚More Exes‘ vorbereitet und aufgenommen, bevor wir eine Gesangsaufnahme hatten“, so Jespers. „Also haben wir das Arrangement im Grunde als Instrumentalstück bearbeitet, was die vielen Schichten in Melodien und Texturen erklärt. Wir wollten Howe mit unserem farbenreichen Sound beeindrucken, um ihn ins Boot zu holen.“ Gelb biss an – nicht ohne Bedingungen. Wie beispielsweise die Singer-Songwriterin Pieta Brown mit ins Boot zu holen. Zudem sollten Texte geändert werden und neue Melodienströmungen einfließen. Mindestens in diesem Song.

„Der erste Song bettelte förmlich darum, etwas Neues, Lebendigeres zu sein und nicht etwas, das schon so viele Jahre zurückliegt. Ich war nicht so stur, dass ich versucht hätte, ihn auf das festzulegen, was ich dachte, was er einmal war“, so Gelb. Und Pieta Brown ergänzt: „Howe sagte mir, dass er den Sound des Tracks, den sie schickten, liebte, angelehnt an einen alten Song von ihm namens ‚Vortexas‘, aber dass er unbedingt einen neuen Song in dem Ganzen finden wollte“. Ich sagte: ‚Wie wäre es mit ‚More Exes‘?‘ und das nächste, was wir alle wussten, war, dass Howe diesen Text geschrieben und aufgenommen hatte und mich bat, darauf zu singen.“ Brown aus Iowa, Jahrgang 1973, hat übrigens mit Größen wie Mark Knopfler oder David Lindley gemeinsame Musiksache gemacht.

Es hat gefunkt. Wenn die Ampel auf Gelb springt, knurrt sich seine dunkle Stimme dezent, sehr bestimmt und gleichzeitig locker durch das Instrumentarium. Oder lässt sich von Klangerzeugungsaggregaten wie Streichern, Xylophon, Klavier, Klarinette, perkussiver Vielfalt oder gar einer Heimorgel tragen. Und das klingt dann so:

Die Musik von The Colorist Orchestra & Howe Gelb „Not On The Map“

Zunächst ein paar Worte zum Klang: Der passt 1a zu dem akustischen Sammelsurium, mit leuchtenden Farben, schöner Differenziertheit, Körper und Plastizität nebst schönem Raumgefühl.

„Counting On“ startet das Album pulsierend-rhythmisch, verwoben in eine mysthische Aura, in der Gelbs Stimme leicht verhuscht Streicher und Xylophon touchiert. Der Klassiker „Gentle On My Mind“ von John Hartford betört in dieser Coverversion regelrecht mit sich dezent aufschaukelnder Anmut. Gelbs Stimme schält sich hier selbstbewusst und herrlich brummig heraus. Wunderschön. „Thyne Eyes“ lässt als Schleicher akustisch Gezupftes nebst strahlender Violine mit differenziertem Detailreichtum aufblühen, im Vordergrund Gelbs wärmendes Knurren.

In „Sweet Pretender“ bezirzt Pieta Brown mit ihrer countryesken Stimme, ein Americana-Happening mit Piano und Streichereinheiten, das etwas an die Duett-Klasse von Nick Cave mit Kylie Minogue erinnert. Bittersüß. „Tarantula“ wippt und federt als Drum & Percussion-Trab mit Pianotupfern im Sattelgepäck. Und eingangs erwähnte „More Exes“ bereichern Pieta Brown und die Rhythmussektion der Colorists trefflich, inklusive samten-zärtlichem Duett mit Gelb, schillernd-schön. Und cool gleichzeitig.

Fazit: Ein außergewöhnliches, geschlossen wirkendes Album mit Tiefgang und Chill-Garantie. Bitte mehr solcher Kollaborationen.

Und da ist schon eine in Sicht: Nach 14 Jahren Pause taten sich Led-Zeppelin-Urgestein Robert Plant und die Americana-/Country-Grösse Alison Krauss wieder zusammen. Mehr dazu bald auf LowBeats.de

The Colorist Orchestra & Howe Gelb "Not On The Map“ Cover
The Colorist Orchestra & Howe Gelb „Not On The Map“ erscheint bei Dangerbird Records / Memran als CD, LP, MP3-Download oder Stream, z.B. bei amazon.de (Cover: Amazon)
The Colorist Orchestra & Howe Gelb „Not On The Map“
2021/11
Test-Ergebnis: 4,5
ÜBERRAGEND
Bewertungen
Musik
Klang
Repertoirewert

Gesamt

 

Autor: Claus Dick

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Musikfachmann seit Jahrzehnten, aber immer auch HiFi-Fan. Er findet zielsicher die best-klingenden Aufnahmen, die besten Remasterings und macht immer gern die Reportagen vor Ort.