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The Pixies Beneath The Eyrie
Wieder voll auf Kurs: Die Pixies-Routiniers David Lovering (mit Brille), Black Francis (mit Sonnenbrille) und Joey Santiago (mit Mütze) und ihre etwas jüngere Bassistin Paz Lenchantin mischen auf „Beneath The Eyrie“ jugendlichen Biss mit der Abgeklärtheit einer gut gereiften Kultband und zeigen, dass sie noch lange nicht zu alt für eine tüchtige Portion Alternative-Rock sind.

The Pixies Beneath The Eyrie – das Album der Woche

Einst wegweisend, zwischendrin sich selbst in Frage stellend, nach dem 2013er-Comeback zunächst auf Form- und Personalsuche – und jetzt wieder in ziemlich guter Verfassung: die Pixies. Nun liefern sie mit The Pixies Beneath The Eyrie das bisher beste Album seit ihrem Neustart.

Nein, dass die Pixies die Rockmusik in ihrer Karriere gleich zweimal revolutionieren würden, das durfte man nun wirklich nicht erwarten. Und ja, The Pixies Beneath The Eyrie hat auch den einen oder anderen schwächeren Moment – etwa den matten Zweieinhalbminüter „Ready For Love“ an Position 5 der Tracklist. Jenseits dieser Einwände aber zeigt das neue Album von Black Francis & Co., was für eine prächtige Alternative-Rock-Kapelle die Pixies auch nach gut dreißig Bandjahren noch (beziehungsweise wieder) sind.

Rückblende: Mit Albumklassikern wie „Surfer Rosa“ und „Doolittle“ pustete die Kultband aus Boston in Karrierephase I der Rockmusik der späten Achtzigerjahre tüchtig den Staub aus den Kleidern. Das Quartett hatte ab 1986 den Grunge mit- und den Alternative Rock quasi neu erfunden. Ohne diese Band wären Nirvana wohl so nicht denkbar gewesen („Teen Sprit“ sei, so sagte Kurt Cobain einst, der Versuch gewesen, einen Pixies-Song zu schreiben), und auch deutlich später hinzugestoßene Rumpel-Rocker wie die Black Keys haben ziemlich gut hingehört bei den Pixies. Ziemlich eigenmächtig verkündetet Bandchef Black Francis dann 1993 das Ende der „Kobolde“, ehe man sich zehn Jahre später, zunächst als Live-Act, wieder zusammenfand.

Was auf der Bühne noch recht gut funktionierte, erwies sich im Studio aber als etwas komplizierter. Erst gab 2013 die legendäre Langzeit-Bassistin Kim Deal ihren Ausstieg bekannt und hinterließ eine Lücke sowohl auf musikalischer Ebene wie auch an Charisma, dann blieben die Pixies – belastet mit hohen beziehungsweise überhöhten Erwartungen an das Comeback und personell im Umbruch befindlich – mit Alben wie Indie Cindy (2014) und Head Carrier (2016) klar unter ihren Möglichkeiten.

Nun also The Pixies Beneath The Eyrie, das, wie es scheint, den Beginn von Karrierephase III markiert. Bass-Lady Paz Lenchantin, die nach einem ziemlich kurzen Gastspiel von Kim Shattuck die endgültige Nachfolge von Kim Deal angetreten hat, wirkt mittlerweile bestens etabliert und pumpt Basslinien in den Sound, die kaum weniger voluminös, knochentrocken und tief gründelnd sind als die ihrer (Vor-)Vorgängerin. Und das Herrentrio an ihrer Seite – Black Francis (Vocals, Gitarre), Joey Santiago (Gitarre) und David Lovering (Drums) – präsentiert sich auf Beneath The Eyrie in beachtlicher Spätform. In ihrem Dutzend neuer Songs fahren die Pixies ordentlich die Krallen aus, klingen bissig und druckvoll, bringen ihre PS aber auch mit der Abgeklärtheit einer Band, die schon manchen Sturm überstanden hat, auf die Straße beziehungsweise auf die Rille.

Die Musik von The Pixies Beneath The Eyrie

Schön dicht, aber nie eng oder gepresst klingend und mit viel Wumms auf Schlagzeug und Bass wurde das Programm vom mehrfachen Grammy-Nominee Tom Dalgety (der schon das Head Carrier-Album der Band betreute) in den Dreamland Studios nahe Woodstock bei New York aufgenommen. Heimstätte dieses Studios ist die ehemalige, 1896 erbaute St. Johns Church, über deren Portal seit einiger Zeit ein Adlerhorst (englisch: „Eyrie“) wacht: eine Konstellation, die David Lovering flugs zum Albumtitel „Beneath The Eyrie“ inspirierte.

Los geht die 38:58 lange Sause mit dem moderat rockenden „In The Arms Of Mrs. Mark Of Cain“, das aber schon alle Elemente auffährt, die den Pixies-Stil damals wie heute auszeichnet: dynamische Ausdifferenzierungen, die Kombination aus ruppiger Wucht und melodischem Glanz und eine Soundbreite, die klassische Alternative-Muster umfasst – aber auch das ein oder andere mehr. Joey Santiago lässt seine Gitarre eben nicht nur harsch und ruppig tönen, sondern auch nach Country- und Surf-Rock. Er errichtet mit seinen Riffs eine Klangkulisse, die fast filmmusikalisch daherkommt: Von links grüßt eine Soundästhetik, wie man sie aus Filmen von Quentin Tarantino kennt; von rechts winkt aus staubigen Zwischenwelten die Spaghetti-Western- und Gangsterfilm-Atmosphäre eines Ennio Morricone.

Und Black Francis, stimmlich heute noch so unverkennbar wie vor knapp 30 Jahren, bringt am Mikrofon eine perfekt harmonierende vokale Bandbreite ins Spiel, von absoluter Coolness über ein verblüffend an Fischer-Z-Frontmann John Watts erinnerndes, fistelnd-kehliges Quengel-Timbre bis hin einer ordentlichen Portion Paranoia wie in der an Position 2 gelisteten Single „On Graveyard Hill“.

Nicht viel schlechter: das nachfolgende „Catfish Kate“, das sich binnen kurzem zu einem veritablen Ohrwurm verwandelt. „This Is My Fate“ torkelt dann 3:20 Minuten lang auf einem Rhythmus zwischen Polka und Country entlang, der entfernt an den „Alabama Song“ der Doors erinnert. Nach dem wie erwähnt etwas lauen „Ready For Love“ kommt mit „Silver Bullet“ und mehr noch mit „Long Rider“ dann wieder schön Schwung in die Bude. In „Los Surfers Muertos“ hat dann Paz Lenchantin nicht nur als Bassistin, sondern auch als Leadvokalistin ihren Auftritt und zeigt, wie gut ihr Timbre zwischen Girl-Power und Female-Rock-Lady in den Bandsound passt.

Zwei Highlights lauern schließlich noch kurz vor Schluss: „St. Nazaire“ begeistert als Moshpit-taugliches Dynamikbiest und „Daniel Boone“ als vollmundiger, gut abgehangener Midtemposong, der sich in Schlussviertel seiner 4:53 Minuten zu einer Noiserock-Hymne der Premiumklasse auftürmt. Dazu das relaxte „Death Horizon“ als Schlussakkord – und fertig ist ein  Album, das ohne übertriebenen Materialeinsatz, ohne halsbrecherisches Tempo oder brachiale Lautstärke aufzuwenden, dennoch mit Verve und Charisma durch die Gehörgänge fetzt.

The Pixies Beneath The Eyrie das Cover
The Pixies Beneath The Eyrie erscheint bei Infectious/BMG Rights-ADA im Vertrieb von Warner und ist erhältlich als Audio CD, Vinyl LP und MP3 Download, zum Beispiel bei Amazon.
The Pixies
Beneath The Eyrie
2019/09
Test-Ergebnis: 4,0
SEHR GUT
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Musik
Klang
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Gesamt

Autor: Christof Hammer

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Seit vielen Jahrzehnten Musikredakteur mit dem Näschen für das Besondere, aber mit dem ausgewiesenen Schwerpunkt Elektro-Pop.