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The xx
Manche Bands funktionieren auch als monetäre Zweckgemeinschaft. Bei Oliver Sim, Romy Madley-Croft und Jamie Smith (v. l. n. r.) sieht die Sache anders als. Die Freundschaft zwischen den drei Londoner Musikern ermöglicht erst das blinde Verständnis, das dem The-xx-Sound seine spezielle Aura verleiht. Auf ihrem neuen Album I See You“ musizieren die drei Engländer so sehr Hand in Hand, als hätten sie sich in einen eigenen Kokon eingesponnen (Foto: A. McAllen)

The xx I See You – LowBeats CD der KW3

Die CD der Kalenderwoche 3 kommt von der britischen Band The xx. LowBeats Musikautor Christof Hammer begegnete der englischen Band schon früh in deren Karriere und verfolgte die Entwicklung des Londoner Trios aufmerksam. Sein Fazit: Mit ihrem dritten Album sind die Briten auf positive Weise in der Normalität angekommen, bewahren sich aber ihre ganz eigene Aura. The xx I See You betört mit edlem Elektro-Gitarrenpop und digitalen „Indietronics“ der Güteklasse A.

Der Hype um ihr famoses Debüt war noch in vollem Gange, als Romy Madley-Croft, Oliver Sim und Jamie Smith im Januar 2011 das Stuttgarter LKA bespielten (berüchtigt auch unter seinem alten Namen „Longhorn“ – früher kippten hier amerikanische Countrymen und hängengebliebene Ex-GIs eimerweise Jim Beam und ritten auf einem elektrischen Bullen …).

Bleich, schweigsam und fast schüchtern trugen The xx die Songs ihres Erstlings in exakt derselben Reihenfolge wie auf dem Album in diesen wenig einladenden Saal: eine junge, hochtalentierte Band, aber alles andere als souveräne Bühnenpersönlichkeiten – „into this world they’re thrown / like a dog without a bone“.

Von den Schwierigkeiten, die Welt da draußen so mit seiner eigenen zu verzahnen, dass man darin glücklich leben und (auch als Band) funktionieren kann, erzählte der hart erarbeitete 2012er-Nachfolger dann bereits im Albumtitel „Coexist“. Jetzt, weitere fünf Jahre später, erscheint mit The xx I See You die dritte Disc – und kündet auf überzeugende Weise davon, wie die drei Londoner in einem neuen, anderen Leben angekommen sind und ihre Band dennoch vor künstlerischer Unwucht und dem Auseinanderdriften bewahrten.

Oliver Sim? Modelte zwischenzeitlich für einen französischen Luxuswarenkonzern. Romy Madley-Croft? Zog derweil nach Los Angeles um und absolvierte dort Songwriting-Workshops mit amerikanischen Kollegen. Und Jamie Smith legte als Jamie XX ein famoses Solodebüt vor und gehört inzwischen zu den gefragtesten Produzenten für zeitgemäße Digitalmusik.

Zusammen schließlich organisierte und kuratierte man 2013 ein eigenes 20.000-Personen Festival namens „Night + Day“, das in London, Berlin und Lissabon stattfand – und ging nun auch für The xx I See You gemeinsam neue Wege. Entstanden sind die zehn neuen Songs nicht nur im heimischen London, sondern auch in New York, Reykjavik, Los Angeles und dem texanischen 2.000-Einwohner-Kaff Marfa – The xx haben sich den Wind der Welt um die Nase wehen lassen.

The xx I See You:  Zwielichtig und dennoch formvollendet

The times are a-changing, und fraglos bringt jeder der drei seine jeweiligen Erfahrungen in The xx I See You ein. Das kann eine Bereicherung des Bandsounds bedeuten oder die Suche nach gemeinsamen Werten erschweren – denn nicht immer führen Wege zusammen, manchmal trennen sie sich auch. Für The xx gilt: Als Band hat man die Entwicklungen der letzten Jahre unbeschadet überstanden, die gemeinsamen Werte haben weiter Bestand.

The xx I See You schimmert so unverändert reizvoll, zwielichtig und dennoch formvollendet zwischen melancholischem Pop und minimalistischen Indietronics und betört mit jenen sanften Zwischentönen, die den Sound dieser Band so besonders macht. „Dangerous“, wunderschön im Duett gesungen von Oliver und Romy, eröffnet mit einem klappernden Beat und Bläserklängen aus dem Computer, die ein schwerer Bass Richtung Dancefloor schiebt.

Auf angenehme Weise musizieren The xx hier in Schlagdistanz zu aktueller Gegenwartsmusik, ohne im geringsten im digitalen Mainstream zu stranden. Neue Töne auch in „Replica“ – hier gibt es jene fast karibisch anmutenden Synthies, mit denen Jamie Smith seinem 2015er-Soloalbum In Colour einen extravaganten Anstrich gegeben hat.

Und auch „On Hold“ und „I Dare You“ funktionieren prächtig als Popsongs mit offensiven Beats, Songstrukturen zwischen Synthiepop und modernem R&B und griffigen Melodien. Auf der anderen Seite: elektronische Balladen wie „Lips“, „A Violent Noise“ und das wunderbar abstrakte „Performance“, in denen schwere Bässe die Leitplanken für die sonoren Vocals von Romy und Oliver bilden.

Alles zusammen: ein Album, das als distinguierter, sparsam dekorierter Klangraum ebenso gut funktioniert wie als zehn Songs starkes Set aus zeitlos schöner Zeitlupenmusik und munterem digitalem Pop, das ohne Schwachpunkte seine Bahnen zieht.

Cover Art: The xx I See You
I See You: das neue Album von The xx (Cover: Amazon)

I See You erscheint bei Young Turks im Vertrieb von Rough Trade und ist erhältlich als Doppel-Audio-CD und MP3-Download.

The xx I See You
2017/01
Test-Ergebnis: 4,3
 SEHR GUT
Bewertung
Musik
Klang
Repertoirerwert

Gesamt

 

 

Autor: Special Guest