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Tom Petty Wildflowers & All The Rest
Wildflowers & All The Rest ist wie eine Art Vermächtnis des legendären Gitarristen Tom Petty – und unser Album der Woche

Tom Petty Wildflowers & All The Rest: das Album der Woche

1994 nahm Tom Petty eines seiner Lieblingsalben auf: Mit Wildflowers verband der 2017 verstorbene Rocker viele persönliche Erlebnisse, aber auch eine äußerst intensive kreative Lebensphase. In dieser entstanden damals viel mehr Songs als das Ur-Album vereint. All The Rest begeistert auf dem nun erweiterten Ouevre mit vielen hochkarätigen Extra-Stücken, Demos und Live-Versionen. So wurde Tom Petty Wildflowers & All The Rest eine Verneigung vor dem Künstler – und unser Album der Woche.

Onkel Tom’s Hütte waren Bühne und Studio: Seit 1976 verzauberte Tom Petty solo oder mit seinen Heartbreakers – und davor mit den Sundowners, respektive Epics oder Mudcrutch – durch seine charmante Nölstimme, seine liebenswert schlaksige Bühneneloquenz, vor allem aber durch seine wunderbare Songwriterkunst im Rock-Universum. Der Sänger und Gitarrist pflegte Freundschaften und Wahlbekanntschaften mit Kollegen wie Bob Dylan, Jeff Lynne von E.L.O. oder den Ex-Beatles George Harrison (auch mit den Traveling Wilburys) und Ringo Starr. Letzterer war übrigens Studiogast während der Produktion von Wildflowers als Drummer in „To Find A Friend“. Mit Stevie Nicks von Fleetwood Mac war er ebenso dicke wie mit Johnny Cash, dessen hervorragendes Alterswerk American Recordings er und die Heartbreakers teils begleiteten.

Pettys Erfolgsrezept: Folkrock-DNA à la Byrds in rockigeres Ambiente übertragen, dabei sauber und schnörkellos arrangieren plus produzieren sowie seine näselnd phrasierende Stimme mindestens so markant wie ein Dylan einsetzen. Viele Alben zählen zu Hochkarätern, doch dieses Werk, dessen Aufnahmen über zwei Jahre hinweg bis 1994 entstanden, lag dem gebürtigen Mann aus Florida und Wahlkalifornier ganz besonders am Herzen. Und so dachte er bereits 2014, unter anderem in einem Interview mit dem „Rolling Stone“ (welcher das Album auf Platz zwölf der besten 90er-Platten listet) intensiv über eine umfangreichere Neuveröffentlichung – es waren damals persönlich sehr aufwühlende Zeiten während der Albumproduktion. „Ich brach zu etwas anderem durch. Mein Privatleben stürzte ein und das warf mich für eine Weile aus der Bahn. Doch während der Aufnahmen war ich voll und ganz bei mir“. Der kommerzielle Erfolg drückt sich übrigens in Dreifach-Platin aus.

The Making of Tom Petty Wildflowers & All The Rest

Toms Töchter Adria und Annakim Petty sowie seine Frau Dana kuratierten das Werk zusammen mit Mike Campbell und Benmont Tench von den Heartbreakers und erinnern sich an „viele, viele Stunden purer musikalischer Freude.“ Und die überkommt Musikfreunde ebenso angesichts der Fülle und Qualität, je nach Format, das von der Doppel-CD bis zum Mega-Box-Set reicht. Die Doppel-CD vereint neben den 15 Originalsongs die zehn unveröffentlichten. Die „Deluxe Edition“ enthält zusätzlich 15 Album-Stücke, die Tom zuhause aufnahm – dabei spielte er sämtliche Instrumente selbst und erlaubt Einblicke, wie er Texte variiert hat. Plus auf CD 4: 14 Live-Performances von Wildflowers-Songs, entstanden auf Touren zwischen 1995 und 2017. Die limitierte „Super Deluxe“-Version beglückt Fans schließlich mit „Finding Wildflowers“ – 16 Studioaufnahmen mit alternativen Takes.

Das remasterte Klangbild wirkt wohltutend auf Ohren und Gemüt: Sehr ausgeglichen und frisch tönt das Originalalbum und die neuen alten Songs, nicht zuletzt dank Promi-Produzent Rick Rubin sowie Mike Campbell (der auch Gitarren und Sitar bediente) und Petty selbst. An den Studioreglern saßen einst unter anderem David Bianco (Bob Dylan, Fleetwood Mac) und Jim Scott (Rolling Stones, Sting). Auch die Demo-Songs überzeugen mit solidem HiFi-Klang. Die Live-Songs wirken dank brodelnder Atmosphäre und fanatischen Fans mitreißend, der Klang bleibt hier dank gutem Raumgefühl und Druck im ordentlichen Bereich.

Tom Petty Wilflowers & All The Rest Aufnahme
Tom Petty mit dem Meister-Produzenten Rick Rubin. Die Aufnahmen fanden zwischen Juli 1992 und April 1994 in Los Angeles statt, bei Sound City“ und Ocean Way Recording

Die 15 Songs des Wildflowers-Originalalbums begeistern auch nach gut einem Vierteljahrhundert dank klarer Arrangements ohne Schnickschnack, treibender Rocknummern sowie chilligen Roadmovie-artigen Stücken. Vier Singles, darunter „You Don’t Know How It Feels“ oder „You Wreck Me“ und „Crawling Back To You“ stürmten die Charts und trugen zum dreifachen Platinstatus des Werks bei.

Unter den zehn (alten) Neuzugängen von damals blühen insbesondere vier Stücke wild und bunt auf: „Leave Virginia Alone“ geht als Westcoast-Rock at its best durch – auf treibender Pianobasis und feinem Gespür für Melodie und Refrain (siehe auch Video-Link unten). „California“ betört mit ähnlichem Charakter, sonnig, energetisch, sanft-rockend. „Harry Green“ lässt als klasse Folk-Ballade mit zwei akustischen Gitarren Gänsehaut aufziehen, der Song beeindruckt zudem mit feiner Auflösung und schöner raumgreifender Atmosphäre. „Somewhere Under Heaven“ stürmt hingegen mit Synthie-Salven groovig-hymnenhaft los.

Die Home-Recordings glänzen dank intim eingefangener Stücke wie dem ungeschliffenen „California“ und Mundharmonika getragenen Songs wie „A Higher Place“. Die Takes der Live-Konzerte schließlich zeigen hin- und mitreißend, wie groß Onkel Tom auf der Bühne sein konnte und das Publikum ins Brodeln versetzte.

Als Tom Petty 2017 auf Nimmer-Wiederhören sozusagen „into the great white open“ verschwand, war das mehr als traurig. Gleichzeitig ist es heute aber schön, dass der liebenswerte Rock-Nöler ein reiches Vermächtnis hinterlassen hat, das Freunde und Familie pflegen und der Musikwelt nicht vorenthalten. So wie dieses Hammer-Album.

Tom Petty Wilflowers & All The Rest Cover
Tom Petty Wildflowers & All The Rest erscheint bei Warner Records in verschiedenen Formaten: (2CDs / 3 LPs; 4CDs / 7 LPs; 5CDs / 9 LPs) oder als Stream sowie MP3-Download, z.B. bei amazon.de  (Cover: Amazon)
Tom Petty Wildflowers & All The Rest
2020/10
Test-Ergebnis: 4,7
Überragend
Bewertung
Musik
Klang
Repertoirewert

Gesamt

Video-Clips

„Wildflowers“ (Home Recording)
„Leave Virginia Alone“ (Musikvideo)

Weitere Top-Alben von Tom Petty

4CD-Box An American Treasure (2018)
Damn The Torpedoes (1979)
Hard Promises (1981)
Full Moon Fever (1989)
Into The Great White Open (1991)
Hypnotic Eye (2014)

Autor: Claus Dick

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Musikfachmann seit Jahrzehnten, aber immer auch HiFi-Fan. Er findet zielsicher die best-klingenden Aufnahmen, die besten Remasterings und macht immer gern die Reportagen vor Ort.