Wenn der König spricht, schweigt das gemeine Volk. In diesem Sinne hat vor ein paar Monaten Pro-Ject Chef Heinz Lichtenegger das Wort erhoben: “Ich verkaufe sehr erfolgreich Plattenspieler – nun will ich auch eigene Schallplatten auflegen.” Es gibt ein schönes Foto, das Heinz Lichtenegger vor seinem Plattenregal zeigt. Das ist kein Sideboard, sondern eine Wand. Der Mann liebt tatsächlich, was er verkauft – den Klang guter LPs. Das macht ihn zum König. Faktisch sitzt er auf dem Thron, weil er Besitzer von Pro-Ject ist. Jener Company, die von Wien aus unfassbare Mengen an Plattenspielern in die weite Welt schickt: der größte Hersteller von Plattenspielern weltweit. Und nun das: Pro-Jects eigene LP-Serie nimmt Gestalt an. Wir hatten drei Aufnahmen mit den Wiener Philharmonikern in der Redaktion – und sind immer noch begeistert.
Doch wie eigene Schallplatten produzieren, wenn man den letzten Schritt zu einem eigenen Tonstudio scheut? Heinz Lichtenegger fühlt sich den Heldentaten der Vergangenheit verpflichtet. Entstanden sind deshalb Doppelalben mit den Wiener Philharmonikern, aufgenommen in den 60er und 70er Jahren von der Decca und der Deutschen Grammophon. Für Pro-Jects eigene LP-Serie sucht man das Ideal – den Ur-Klang, den Mythos. Andere Hersteller hätten einfach eine Kopie in 24 Bit bestellt und an das Presswerk gesendet. Nicht so der wahre Analog-Fan Lichtenegger.
Pro-Jects eigene LP-Serie: das Remastering
Die Geschichte nimmt also einen Sonderweg. Nicht in London am Wohnsitz der Decca wurden die analogen Bänder restauriert, sondern in Wien daselbst. Da braucht man Könner mit dem richtigen Equipment. Beispielsweise der punktgenau richtigen Bandmaschine. Doch auch Wien ist eine Weltstadt. Tief unter dem Wiener Konzerthaus liegt das Studio „Tonzauber“, der Mann an den Reglern heißt Georg Burdicek. Da ist im ersten Schritt weniger Zauber gefragt als das Wissen um die Tontechnik vor 60 Jahren. Immer wieder bereiten die Klebestellen des Tonbandes Kopfzerbrechen. Dann kommt die große Philosophie über die Rauschunterdrückung hinzu.
Viele Fragen, Burdicek entscheidet sich für die hauseigene Studer-Bandmaschine 810. Die Bänder jagen über den Magnetkopf bei 38 Zentimetern in der Sekunde. Glücklicherweise gibt es keine Artefakte. Erstaunlich für die lange Lagerzeit – ein mächtiger Akkord hat sich beispielsweise nicht mit seiner Magnetinformation eine Schicht tiefer als Vorhall in das Band gedrückt. Die Bänder klingen erstaunlich frisch. Die Dynamik ist großartig, bis 15 Hertz kann es hinunter gehen.
Wohlgemerkt: Alle Bausteine sind analog. Zu keinem Punkt hat Pro-Ject zugelassen, dass digitale Zaubercodes oder Optimizer in den ursprünglichen Klang eingreifen durften. Auch die schon zu analogen Zeiten üblichen Kompromisse wurden nicht erlaubt. So gilt: wirklich gut klingt eine LP nur mit 20 Spielminuten pro Seite. In den 70ern wurde aber komprimiert auf über 25 Minuten, was auf Kosten des Klangs ging.
Was auch ein Rätsel in unserem Hinterkopf löst. So hat Pro-Ject – fast – alle Einspielungen von Richard Strauss unter Herbert von Karajan auf ein Doppelalbum gepresst. Das ist ein spätromanischer Rausch mit dem besten Orchester der damaligen Zeit, eben den Wiener Philharmonikern. Aber ein Track fehlt. Pro-Ject hat sich schweren Herzens entschlossen, auf „Till Eulenspiegel“ zu verzichten. Ein Verlust. Aber dafür brillieren die anderen Tracks um so mehr. Huh – bei Don Juan erkennt man, was für ein magischer, regelrecht genialer Dirigent Herbert von Karajan gewesen sein muss. Das klingt wie ein modernes Wunder. Entstanden ist die Aufnahme im Juni 1960 den ebenso legendären Sofiensälen.
Was macht den Saal so besonders? Weil hier die Tontechniker der Decca ausgeschwärmt sind. Nicht der beste Live-Konzertsaal, wie der Goldene im Musikverein, muss zugleich auch der beste Aufnahme-Saal sein. Die Tontechniker wollten Zeit und ein Laboratorium. Genau das boten die Sofiensäle mit ihrem definierten Nachhall und einer wuchtigen Präsenz. Wie auch immer, die Zeit ist vorbei. Die Sofien-Säle wurden erneuert und umgewidmet. Aber in diesen Aufnahmen ahnen wir die Pracht.
Aber folgen wir der Produktion noch einen Schritt weiter. Jetzt bin ich der König – und mein Tonmeister hat mir das frisch erneuerte Master gebracht. Was mache ich dann damit? Ich brauche eine Schneidemaschine und ein Presswerk. Beide Jobs hat Pro-Ject austro vinyl übergeben. Das ist also eine große Seilschaft der vereinten Österreicher. Alles gestampft in edle 180 Gramm Scheiben. Das lässt das Herz eines jeden Vinyl-Fans beben. Die Folie abziehen, dann die Scheibe in der Hülle aus dem Umschlag ziehen und einen Blick auf das nackte, schwarze, neue Vinyl werfen. Das ist nicht pornografisch – oder doch? –, aber sicher erotisch.
Zwölf legendäre Aufnahmen sollen es werden. So gibt es bereits zwei Vorgänger. Beispielsweise die sechste Symphonie von Beethoven, die „Pastorale“ wieder mit den Wiener Philharmonikern unter Karl Böhm. Hier hält die Deutsche Grammophon die Rechte. Die DG presste damals die komplette Symphonie auf eine LP. Pro-Ject widerspricht und gibt der Symphonie drei LP-Seiten, die vierte Seite wird von der Egmont-Ouvertüre veredelt. In diesem Fall wurde im Pallas-Werk zu Diepholz vervielfältigt.
Noch einen Schritt zurück: Mahlers Zweite Symphonie wurde von Pro-Ject bei Optimal in Röbel an der Müritz in Auftrag gegeben. Wir haben es also mit einer Meisterhand beim Mastering und drei unterschiedlichen Presswerken zu tun. Aber genau dieser Mahler wird von den Fans hofiert werden. Zubin Mehta dirigiert – er liebt die dynamischen Facetten, alles bebt, großartig der Zug, das zwingende Element vom ersten Takt bis zum großen Finale. Eine Legende unter den Mahler-Aufnahmen.
Die schlechte Nachricht in der guten: Pro-Ject hat seine Veröffentlichungen limitiert. In meiner Hand halte ich beispielsweise die Strauss-Aufnahme mit der Nummer 1535 von 2000. Bedeutet für den Kunden und unsere Leser: Schnell loslaufen und sich die verbleibenden 465 Exemplare sichern.
Lassen wir unseren Fokus weiter bei Strauss und Karajan. Der Glücksfall will, dass ich die verwandte Box aus den mittleren 70er Jahren auf dem Flohmarkt erstanden habe. Damals noch mit „Till Eulenspiegel“. Die Platten wirken leichter, sicher keine 180 Gramm. Außerdem war die Decca damals brachial: Don Juan und Till Eulenspiegel wurde auf einer einzigen LP-Seite komprimiert. Macht zwar eine Spielzeit von über einer halben Stunde, aber dazu einen deutlichen Qualitätsverlust.
Wie klingen die remasterten Edel-LPs?
Welche Pressung klingt besser? Da müssen wir gar nicht philosophieren oder darum reden: Pro-Ject hat das beste Pferd im Stall. Das klingt schnell, elegant, groß – die perfekte Klangwelt für Richard Strauss. Der 70er Jahre Version merkt man die etwas lieblose Neuauflage an. Eigentlich müssten wir die Erstpressungen aus den frühen 60er Jahren auflegen. Doch obwohl ich manischer Plattensammler bin – diese Schätze sind mir noch nie unter die Finger gekommen. Sie werden mit Gold aufgewogen in den bekannten Foren. Doch ich fühle keinen Hunger – die Pro-Ject-Version klingt fabelhaft. Die Bässe der Wiener, die eleganten Celli – da möchte man sich als Hörer hinein legen. Irgendwann hat sich unter den Kritikern der Trend ausgebreitet, auf Herbert von Karajan böse Worte auszustreuen. Das mag der Zeit geschuldet sein. Es ist unfair. Hier hört man es. Der Mann war ein Genie. Wundervoll formt er nicht nur das perfekte Strauss-Tempo, sondern auch das Klangbild. Die Wiener Philharmoniker waren damals das ideale Orchester, es ist süffig, elegant, strahlend. Hätten wir die Chance gehabt, diese Events live im Musikverein zu erleben, ich hätte ein halbes Monatsgehalt dafür ausgegeben.
Pro-Jects eigene LP-Serie: das Fazit
Hier treffen sich alte Heldentaten mit der Finanzkraft eines Analogliebhabers. Heinz Lichtenegger hofiert die Wiener Philharmoniker – und sich selbst. Das ist clever. Am Ende darf sich der gemeine Vinylfan freuen. Nie klangen die alten Bänder unter der Nadel besser. Der Preis von knapp 40 Euro ist angemessen, fast günstig. Unbedingt den Pro-Ject-Händler des Vertrauens aufsuchen oder über die Website vom Vertrieb ATR – Audiotrade streifen. Hier darf man nicht zu spät kommen…
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