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And The Golden Choir Breaking With Habits – Tobias Siebert
And The Golden Choir – das ist Tobias Siebert aus Berlin im Alleingang als Ein-Mann-Orchester. Breaking With Habits ist sein zweites Album.

And The Golden Choir Breaking With Habits – CD der Woche 7

Wenn einer ganz alleine sämtliche Instrumente spielt , tüftelt, feilt und dabei akustisch und sphärenhafte, jubilierende Sounds favorisiert. Und dann auch noch seine Stimme mit studiotechnischem Know-how zu Chören vervielfältigt, dann … – dann hat das eine überaus betörende Wirkung. Als ob die Heerscharen des Pop-Himmels berauscht auf Erden wandeln. Und uns entführen möchten. And The Golden Choir Breaking With Habits ist genau so ein Album.

Doch der Reihe nach, bevor wir uns hochbeamen lassen… Tobias Siebert wohnt in Berlin-Kreuzberg, ist Musiker, genauer gesagt Komponist, Texter, Arrangeur, Sänger und Multiinstrumentalist. Und er produzierte bereits diverse Kollegen, beispielsweise Juli (genau: die ritten einst „Die Perfekte Welle“…), die Kultband Phillip Boa and the Voodooclub oder Kettcar. Gespielt hat Siebert auch schon mit dem phänomenalen Duo Me And My Drummer. Seine Stimme lieh er zudem der Indieband Klez.e.

Seit ein paar Jahren vergräbt sich Siebert gerne in seinem Kreuzberger Home-Studio „Radiobuellebrueck“. Dort heißt es an Sounds feilen. Tagein, tagaus. Dabei die eigene Stimme im Multiplikations-Modus arrangieren, Layer über Layer, wie einst Abba-Toningenieur Michael B. Tretow bei Agnetha und Anni-Frid – so inszeniert man Pop-Engels-Chöre auch hierzulande.

Live legt Tobias gerne Platten auf: und zwar seine selbst gepressten – mit den Tonspuren, die er live nicht parallel schafft. Oder will. Cool und gewitzt macht er das. Künftig soll noch ein Tonbandgerät auf der Bühne stehen und hier und da dennoch echte Musikerkollegen Support beisteuern. Der Taz verriet er einmal im Interview, dass er das Album Disintegration von The Cure für „die beste Platte aller Zeiten“ hält – sogar noch vor And The Golden Choir Breaking With Habits.

Also: Nun kennen wir Tobias Siebert schon etwas besser. Sein neues, zweites Soloalbum And The Golden Choir Breaking With Habits verrät noch viel mehr über ihn. Und über seine blühende musikalische Kreativität. Sein Markenzeichen sind zart-besaitete Focals, kantig verortet und mit wunderbar melodiösen Hooks veredelt, erstmal so unter die Erdenbürger gebracht auf dem Debüt von 2015 Another Half Live. „Nachdem es so gut lief mit der ersten Platte, meinte ein Freund zu mir: Mach’ genau so ein Album noch mal. Und als er das sagte, war mir klar, dass ich auf keinen Fall in dieser Form bleiben will. Ich will immer weitergehen.“ Gedacht, gemacht: Im Vergleich zum Debüt schleicht sich auf And The Golden Choir Breaking With Habits auch die Digitalisierung ein, denn es branden dort nunmehr viel stärker elektronische Sounds im Meer der glückseligen Melodien. Es blubbert, schillert, zirpt, schabt und pulsiert wohltuend dank dem gehörigen Schuss Elektronik im Mix. „Breaking With Habits“ sozusagen.

Die Instrumente purzeln fast übereinander in „Radiobuellebrueck“, schon alleine ob ihrer Anzahl. Dazu zündet sich Tobias Siebert auch gerne mal ein Kerzchen an, um im Flackerschein frische, zündende Ideen zu erheischen. Woher? Wenn man dem Sound von And The Golden Choir Breaking With Habits  Glauben schenken mag: vom Himmel über Berlin hoch her.

Song für Song: And The Golden Choir Breaking With Habits

Sieberts Songlyrik beleuchtet das Leben an sich, das Warum, Weshalb, Wohin. Das Gute. Und das sollen wir glauben? Warum nicht. Dazu arrangiert er dann Blinddates zwischen Gospel und World Music, Orchestralem und urbanen Sounds, lässt Avantgarde auf hoffnungslos melodienbesoffene Rhythmen treffen. „My Lies“ macht sich zudem beispielsweise leicht verstört auf den Weg, um von hymenhaften Melodienstrahlen gekitzelt zu werden.

„Clocks“ zitiert den Hörer mit Marimba und Klatschen ins elterliche Haus: Eigentlich geht es um die vielen Uhren dort. Die nerven ihn. Sie führen ihr tickendes Eigenleben, das er gar nicht mag. Und so transzendiert er die Sounds auf das Wesentliche dahinter: die Zeit, wie sie läuft. Scheinbar immer schneller. Reflexionen, die die eigene Verortung ausloten. „Ich bin da ein bisschen esoterisch. Ich glaube, dass sich Dinge aus dem Unterbewusstsein in den Stücken verankern, aber dass ganz viel davon erst später klar wird.“

„Air Fire Water“ macht auf den ersten Ohren-Blick auch durch das Windspiel-Intro auf esoterisch und überladen, obwohl das nicht wirklich das Ansinnen ist. Vielmehr versucht er wie bei den meisten anderen Songs das große Ganze von Religion oder/und Spiritualität als Ausgangs-Biwak zu nutzen für weitere, größere, offenere unbekannte Möglichkeiten den Gipfel von Sinnlichkeit und Sinn zu erlangen. Ohne dorthin allzusehr abzuheben.

Wunderbar einfach und fast genial fließt der Song „The Rain“ aus den Lautsprechern, knackige Drums im Intro löst dann seine Stimmgemeinschaft aus vielen Tobias Sieberts ab, die sich in sanften Melodienwogen offenkundig hörbar wohl fühlt und in Herz und Hirn Glückshormone freizusetzen vermag.

Harscher, mit Lennon-ähnlicher Stimme und Beat-Attitüde, schwenkt dann „How To Conquer A Land“ als Alternative-Rock-Meisterstück ins And The Golden Choir Breaking With Habits -Orbit ein – im Video (siehe link unten) erlöst den Protagonisten übrigens die Schauspielerin Corinna Harfouch: mit einer offensichtlich ernüchternden Botschaft auf einem Zettel.

„The Garden“ vermag die Sinne beinahe mit überbordenden Harmoniebögen zu verklären, als ob Außerirdische, zum Cocktail einladen. Ein wie gesagt betörendes Album mit jubilierenden Melodien und sanften Wendungen, das die Hoffnung nährt. Auf Gutes. Wenn man dran glaubt.

And The Golden Choir Breaking With Habits Cover
And The Golden Choir Breaking With Habits (Cover: Amazon)

And The Golden Choir Breaking With Habits ist erschienen bei Caroline/Universal Music und ist erhältlich als Audio-CD, Vinyl-LP und MP3-Download, zum Beispiel bei Amazon.

Weitere Top-Album-Tipps:

Another Half Live von 2015 – damals mit noch mehr handgemachtem, akustischem Instrumentarium. Wer’s mag, dürfte neben dem Musik-Verwandten Rufus Wainwright auch an dem deutschen Musiker Konstantin Gropper alias Get Well Soon seine musikalische Freude haben: Der gebürtige Biberacher besuchte die Popakademie Mannheim und komponiert seit zehn Jahren bittersüße Alben wie „Rest Now, Weary Head! …“. Der Mann mit der Nick-Cave-Stimme ist auch international gut unterwegs und spielte bereits mit Calexico The Thread That Keeps Us – CD der Woche 5 oder Anna Ternheim All The Way To Rio – CD der Woche 48.

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And The Golden Choir Breaking With Habits
2018/02
Test-Ergebnis: 4,3
SEHR GUT
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Musik
Klang
Repertoirewert

Gesamt

Autor: Claus Dick

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Musikfachmann seit Jahrzehnten, aber immer auch HiFi-Fan. Er findet zielsicher die best-klingenden Aufnahmen, die besten Remasterings und macht immer gern die Reportagen vor Ort.