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Calexico The Thread That Keeps Us – die Macher
Mit The Thread That Keeps Us haben die beiden Calexico Macher John Convertino (links) und Joey Burns wieder einmal ein heißes Wüstenrock-Album abgeliefert (Foto: C. Gonzalez)

Calexico The Thread That Keeps Us – CD der Woche 5

Das Etikett „Wüstenrock“ – was genau sollte das eigentlich jemals genau sein? – baumelt immerhin noch mit einer dünnen Naht am staubigen, winderprobten Alternative-Music-Mantel von Joey Burns: Der Sänger, Gitarrist und Chef-Songwriter von Calexico schuf spätestens mit diesem Album einen runderneuerten, eigenständigen Soundkosmos. Das neunte Studioalbum der heiß beliebten Alternative-Band aus Arizona namens Calexico The Thread That Keeps Us flirtet intensiv mit einem äußerst lebendigen, vielfältigen Stil-Bouqet, das seine Kraft aus seinen Roots-Essenzen wie Indie-Rock, Latino und Cumbia-Rhythmen schöpft. Und andererseits frisch aufbereitete Soundelemente aus Westcoast, Blues, Reggae und Folk verschmilzt.

Und das mit „etwas mehr Chaos und Noise im Mix als bei den vergangenen Alben“, reflektiert Burns, der damit auch auf die sensiblen, handverlesenen Machenschaften seines langjährigen Produzenten Craig Schumacher anspielt. Burns ergänzt: „Wenn wir Songs schreiben und mit etwas rauskommen, das zu bekannt in unseren Ohren klingt, kommt immer einer und sagt: Das fühlt sich gut an, aber lasst uns weitermachen und sehen, was wir sonst noch so zum Vorschein bringen können.“ Gut so. Da haben wir also sozusagen wahre Kreative am Werk. Keine, die wie so einige andere Selbstzitate bis zum mentalen Erbrechen zelebrieren. So entstand Calexico The Thread That Keeps Us.

Tucson-Desert-Rock alias „Wüstenrock“ waren Schlagworte, die eingefleischte Genre-Fans bereits seit den 80ern des letzten Jahrhunderts gerne begeistert in den Mund nahmen: für die illustren musikalischen Machenschaften von Giant Sand, einer Truppe aus Arizona, erfunden und zelebriert vom magisch-schrulligen Howe Gelb. Gelb galt vielen als Indie-Zauberer, bei dem Burns und Convertino in die Schule gingen, er war stets offen für neue Formationen und Kollaborationen. Und so wundert es nicht, dass auch die Herren Burns und Convertino Support zuließen oder suchten. Und das durchaus mit oder bei überaus charmanten Persönlichkeiten wie der Schwedin Anna Ternheim oder den frankophilen Damen Francoiz Breut, Marianne Dissard (siehe „Teamwork-Tipps“).

Calexico The Thread That Keeps Us – die Band
Calexico, das sind Joey Burns, John Convertino, Martin Wenk, Jacob Valenzuela, Sergio Mendoza, Jairo Zavala Ruiz und Scott Colberg (Foto: C. Hinkle)

Calexico The Thread That Keeps Us reflektiert die nackte Gegenwart, beinahe zärtlich vertont. Zerrissene Zeit, fragile Hoffnungen. Mutige Helden in der Politik wären hoch dotiert, wenn es sie denn gäbe. Burns & Co sind welche. Musiker freilich, die ihre Finger auf ihre Weise in Wunden legen. Um Heilansätze zu finden für gar so viele Baustellen im System. Oder das System selbst.

Von der Wüste an die Küste: Die Suche nach dem perfekten Aufnahmeort für ihr neues Album führte die Band aus Arizona in den wilden Norden Kaliforniens. Schnurstracks ins „Panoramic House“, das aus Treibholz und Schiffswrackteilen erbaut wurde. Seit rund drei Jahren fungiert es als eine Art Aufnahme- und Erholungskomplex, Meerblick auf den Pazifik inklusive. Das passt. „Je offener ein Studio ist, desto mehr kommt das der Dynamik in unser Musik zugute“, weiß Burns.

Hausbesitzer John Bacciagalupi kramte zudem tief in seinen Archiven und brachte eine „unglaubliche Sammlung von Instrumenten und Aufnahme-Utensilien“ in die Produktion ein. Beste Betreuung und Kreativitäts-Support für Calexico The Thread That Keeps Us also. „Wenn uns mehr Zeit zur Verfügung gestanden hätte, hätten wir ein Triple-Album aufnehmen können“, sagt Burns. Immerhin sind es fünfzehn klasse Songs geworden – auf dem „normalen“ Album. Die Streaming-/Online-Version kredenzt ganze sieben Extra-Songs dazu: ebenso hörenswert. Deshalb gibt’s für die Extended-Version von Calexico The Thread That Keeps Us nochmal einen raren halben VU-Stern von LowBeats obendrauf: insgesamt also so gut wie fünf Sterne.

Dort, an der nordkalifornischen Küste ging Burns viel spazieren. Und spürte sich über seine Gefühle in die Gemütslage der Welt ein. Große Worte, die hier aber durchaus tragen. Der amerikanische Traum – was war das nochmal gleich? Hatte der jemals Realitätsbezug? – kondensiert heute ganz offensichtlich in extremer Spaltung westlicher Gesellschaften, in Ungleichheit, nicht zuletzt in Klimaproblemen. Aber auch, zumindest bei einigen klugen US-Bürgern, weckt dies Verantwortung, Kraftschöpfen und Anti-Klischee-Denken.

Allzu leise Töne wären auf Calexico The Thread That Keeps Us also nicht allzu angebracht gewesen. Und so flossen Burns & Co. teils harsche, kantige, an die Calexico-Wurzeln erinnernde Noten aus der Feder. Aber auch wiederum zartbesaitete Vocals, kantig verortet und mit wunderbar melodiösen Hooks veredelt.

Die einzelnen Stücke von Calexico The Thread That Keeps Us

„End Of The World With You“ lebt von flirrenden E-Gitarren und Burns‘ hell-angerauter Stimme. Shuffle-Fantasmen mit Westcoast-Appeal, rocky-rauchzarten Vocals und psychedelischen Ambitionen versprüht „Voices In The Field“. Sirenenhaft verführt „Eyes Wide Awake“, am Ende mit konterkarierendem Hall und Krach überzogen. Und „Dead In The Water“ stürmt als kratziger Bluesrock los, als ob die Co-Songwriterin PJ Harvey hieße.

Die Beatbox wackelt und kracht in „Under The Wheels“, einem Happening mit Trompeten-Einsprengseln, als hätte sie der mexikanische Comics-Held Speedy Gonzales scharf angeblasen: Gleich kriecht die Klapperschlange in den Gitarrenkoffer. Zarte Streicher-Einheiten umschweben die Seele dann bei den Folk-Fantasmen von „The Town & Miss Lorraine“. Die verhaltene Ballade „Thrown To The Wild“ wiederum wirft einen schüchternen, hymnenhaften Blick auf die Natur. Federnd, luftig, abgehoben, wie eine Fata Morgana in der Wüste: Es könnte der Pazifik sein. Nur einen Steinwurf entfernt vom scheinbar windschief erbauten Aufnahmestudio, mit seinen Wurzeln aus Treibholz und Schiffswrackteilen.

„Sliding into the sea, with cynicism and rum, watching Miss Lorraine, smoking alone with the moon“ heißt es im Song.

Die Texte reflektieren Unbehagen. In der Welt und in den USA. Burns umgarnt tiefe Gefühle, Hoffnungen, Liebe und Ängste mit seiner unnachahmlichen, beinahe fragil umschreibenden lyrischen Art. Calexico The Thread That Keeps Us erzählt Geschichten. Und die gehen mit den Rhythmen und Melodien wiedermal eine unerhört passende Liaison ein. Und zwar so, dass man sich schon wundern muss, dass dies nach über 20 Jahren Bandgeschichte noch so lebendig funktioniert. Kein leises Album, sondern ein eher verhalten lautes. Ein sehr gutes.

Cover Art Calexico The Thread That Keeps Us
Calexico The Thread That Keeps Us (Cover: Amazon)

Calexico The Thread That Keeps Us erscheint bei City Slang im Vertrieb von Universal Music – als Doppel-CD oder LP (180 Gramm) sowie als Doppel-LP (180 Gramm Limited-Edition) mit MP3-Code

Weitere Top-Album-Tipps:
The Black Light (1998) sowie Carried To Dust (2008) und das Album-Happening Slush mit Howe Gelb (Giant Sand) und Violinistin Lisa Germano (John Mellencamp) unter dem Band-Logo OP8

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Und noch ein Lesetipp zum Schluss:
LowBeats CD der Woche 48/ 2017: Anna Ternheim: All The Way To Rio

Calexico The Thread That Keeps Us  2018 live in Deutschland:

09.03. Hamburg, Grosse Freiheit
10.03. Berlin, Tempodrom
11.03. München, Muffathalle
21.03. Stuttgart, Im Wizemann
23.03. Köln, E-Werk

Calexico The Thread That Keeps Us
2018/01
Test-Ergebnis: 4,2
SEHR GUT
Bewertungen
Musik
Klang
Repertoirewert

Gesamt

Autor: Claus Dick

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Musikfachmann seit Jahrzehnten, aber immer auch HiFi-Fan. Er findet zielsicher die best-klingenden Aufnahmen, die besten Remasterings und macht immer gern die Reportagen vor Ort.