LowBeats Autor Christof Hammer hat Auge und Ohren in allen Musik-Genres und stellt bei uns jede Woche ein besonders hörenswertes Album vor. Die LowBeats CD dieser Woche, Andrea Schroeder Void, überrascht den Hörer nicht nur mit Schroeders Stimme oder Anleihen von den Einstürzenden Neubauten…
Drittes Album, dritter Volltreffer: Die Berliner Songwriterin Andrea Schroeder verbindet auf Void packende Chansons noires und aufbrausenden Alternative Rock. Ein Grenzgang zwischen Rock, Chanson, Folk und Blues – und der perfekte Soundtrack für einen wirklich großen Wim-Wenders-Film.
Wer sie nicht kennt, kann ganz schön in die Irre denken. Andrea Schroeder … klingt doch stark nach ZDF-Fernsehgarten, oder? (Man stelle sich vor, ein desorientierter Redaktionspraktikant würde die Lady aus Berlin aus Versehen tatsächlich mal für einen Termin dort buchen … dunkler Alternative Rock zwischen Lena Valaitis, Ireen Sheer und Bernhard Brink – ich werf’ mich weg!)
Andrea Schroeder Void: Wie eine Tochter von Patti Smith und Nick Cave…
Aber Spaß beiseite. Seine Bühnenheimat hat der Schroeder’sche Sound in so feinen Locations wie der Geislinger Rätschenmühle, dem Berliner Frannz Club oder der Zeche Carl in Essen. Dort, wo die Gegenkultur mit trotziger Vehemenz ihre altehrwürdigen Rückzugsgebiete verteidigt. Wo nicht der schicke Pop residiert, sondern seine kleinen, schmuddeligen Geschwister: der schlaksige, hagere Indie-Rock. Das verruchte, gern schwarzgewandete chanson noire. Dazu die entfernten Verwandten aus England und Amerika: trockener Folk, rumpelnder Blues, staubiger Country. All das trifft in der Musik von Andrea Schroeder aufeinander – und noch viel mehr. Obwohl kaum elektronische Komponenten in den Arrangements zu finden sind, werden hier zum Beispiel auch die mittleren Achtziger um die Einstürzenden Neubauten oder Frank Tovey aka Fad Gadget lebendig.
Dazu: eine ziemlich einzigartige Stimme: rauchig, feminin, irgendwo zwischen Marlene Dietrich, Lana del Ray und Amanda Lear (natürlich ohne deren Disco-Background). Als weibliche Antwort auf Leonard Cohen wurde Schroeder ebenso bezeichnet wie als Wiedergängerin von Nico, der rheinischen femme fatale in den Reihen von Velvet Underground.
Wir bei LowBeats würden es so sagen: Wenn Patti Smith und Nick Cave eine gemeinsame Tochter hätten – wahrscheinlich würde sie so musizieren wie die Schroeder. Dass die rockende Singer-Songwriterin mit der Portwein-Bourbon-Stimme nicht im bourgeoisen Kreuzberg oder dem hippen Prenzlauer Berg lebt, sondern im noch halbwegs gentrifizierungs-verschonten, kantig-herben „roten“ Wedding, ist da nur einer von vielen weiteren schönen Zufällen – beziehungsweise von selbstgewählten Richtungsentscheidungen. Ersten Oberflächen-orientierten Jobs wie Grafikdesign und der Arbeit als Fotomodel widmete die gebürtige Westfalin zum Beispiel nur ein paar kurze Jahre an Lebenszeit, um schließlich bei der Musik zu landen. Und das ist ja nun keineswegs ein Zufall, sondern ein Statement.
Eine Stimmbandlähmung entpuppte sich schließlich als jener schicksalhafter Einschnitt, der sie dazu brachte, ihrer (inneren) Stimme zu folgen. Nach Gesangsunterricht und dem Singen in Gospelchören folgten in den frühen 2000er-Jahren die ersten selbstgeschriebenen, folk-beeinflussten Songs; das Internet half beim Netzwerken und Kontakte knüpfen. Zur festen Größe und zum Mittelpunkt einer „richtigen“ Band avancierte dann vor allem der dänische Gitarrist, Bassist und Arrangeur Jesper Lehmkuhl – einer der distinguiertesten Saitenmänner der europäischen Indie-Szene. Drum herum: Drummer aus Australien und Italien, eine Geigerin aus Belgien und der australische Bassist Dave Allen.
Nach dem Klasse-Debüt Blackbird von 2012 und dem von Walkabouts-Chef Chris Eckman produzierten, chrismatischen Where The Wild Oceans End (2014) folgt mit Void nun der dritte Coup. Diesmal mit an Bord: der Toningenieur Victor van Vught, der schon PJ Harvey oder Sonic Youth mit angerauhten Soundkostümen versorgte und zusammen mit dem schwedischen Produzenten Ulf Ivarsson hier ein gleichermaßen wuchtig-massives wie fein ausdifferenziertes Klangbild mit ausgeprägter Raumtiefe entwarf. Auch Void zeigt Andrea Schroeder als musikalisches Nachtschattengewächs, das existenzialistische Chansons Noires mit immenser Intensität interpretiert (“Was Poe Afraid”), verschiebt die Akzente aber hin zu forcierterem Rock. Fiebrig geht es los mit dem Titelsong: Nervöse Drums und flirrend-harsche Saitensounds erzeugen einen Sog von manischer Getriebenheit. In “Burden” kreisen schwere Drums und metallische Gitarrensounds Mantra-artig um ein extravagantes Violinenthema. Auch “Creatures” ist mit rockigem Drive ein Song, der live für mächtig Betrieb in den ersten Publikumsreihen sorgen dürfte. Eher die leisen Töne bespielt “My Skin Is Like Fire”, das nach einem leisen, Doors-artigen Beginn mit impressionistischen Piano-Geigen-Dialogen fesselt. Und “Black Sky” kombiniert klassisch-schöne, aber bittersüße Pianotupfer mit feingliedrigen Americana-Klängen. Macht acht Mal Musik für Nächte mit schwerem Rotwein, starken Zigaretten, für große Gedanken und lange Blicke in die eigene Seele.
In “Drive Me Home” ist die Dunkelheit dann am schwärzesten und das Licht am nächsten: “Carry us across the land / and guide us through the land / turn the light on honey / I wanna see the moths” fleht Andrea Schroeder zu einem minimalistischen Piano-Thema: ein fünfeinhalb Minuten langer Trip zwischen Existenzialismus und Kontemplation. Erlösung bringt schließlich “Endless Sea”: ein Song wie der Sonnenaufgang – Katharsis, Gänsehaut, bewegendes Finale eines Albums ohne Ausfälle, einer elf Songs starken tour de force durch Blues, Rock, Chanson und Folk, bei der jeder Song seinen Platz, seine Sinnhaftigkeit hat, stringent durcherzählt von einer großen Storytellerin und wie geschaffen als Soundtrack für einen großen Film. Also, Wim Wenders, bitte melden: Mit Andrea Schroeder käme zusammen, was zusammen gehört: große Themen, betörende Bilder und ergreifende Musik, unerbittlich herb und traumhaft schön zugleich.
Andrea Schroeder Void ist erschienen bei Glitterhouse/Indigo. Zu haben als Audio-CD, Vinyl LP und MP3-Download
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