Arlo Parks hat das Zeug, ähnlich wie Billie Eilish, die junge Generation Z als neue Musik-Protagonistin zu vertreten: Die 20-jährige Londonerin beeindruckt mit einem eigenständigen Stilmix zwischen Soul-Pop, TripHop und Folk. Und so ist Arlo Parks Collapsed In Sunbeams nicht nur ein klasse Debüt, sondern auch unser Album der Woche.
Jede Generation hat so ihre Eigenheiten. Und ihre Probleme und Zukunftsträume. Anaïs Oluwatoyin Estelle Marinho alias Arlo Parks verschaffte sich 2019 mit ihren Vorstellungen auf ihrer EP „Super Sad Generation“ Gehör. Tiefgründiger Stoff, musikalisch jedoch teils unbeschwert vorgetragen. Durchaus anders als manch Vertreter der älteren Generation Y, der schonmal gerne pathetisch Süßholz raspelte wie James Blunt, den die Süddeutsche Zeitung mal als „Weinerle“ titulierte. In der aktuellen Generation Z – das sind die zwischen 1997 und 2012 geborenen – scheint sich eine energischere, vielleicht ehrlichere Erzählweise zumindest im Musikbereich anzudeuten. Mit Protagonistinnen wie Phoebe Bridgers, Julia Baker oder Billie Eilish. Oder eben mit Arlo Parks.
Die Vorfahren von Anaïs Oluwatoyin Estelle Marinho Vorfahren stammen aus Nigeria, dem Tschad und Frankreich. Und von dieser Vielfalt und ihrer Zweisprachigkeit – französisch und englisch – profitiert sicherlich ein Teil ihrer Musik. Ihr offizieller Weg ins Business sollte mit der Einreichung von Demoaufnahmen zur Plattform „BBC Music Introducing“ gehörig Fahrt aufnehmen. Ihre Single „Cola“ perlte flugs in der Hörergunst nach oben. 2020 erhielt sie dann den „AIM Independent Music Award“ (Kategorie „One to Watch“) sowie den „BBC Music Introducing Artist oft he Year Award“.
Die Generation der Blogger und Influencer scheint wenig Scheu vor kommerziellen Techtelmechtels zu haben. Auch Arlo Parks lässt sich beispielsweise von dem Luxus-Modelabel Gucci einbinden, indem sie in einem recht cool gemachten Imagefilmchen eine Rolle spielt (siehe Videolinks unten). Und auf ihrer Homepage (www.arloparksofficial.com) hält sie ein ganzes Bündel an Merchandising-Gedöns parat. Ob Kommerz Gift für die Kunst ist, muss man wohl individuell betrachten. Die Musik von Arlo Parks jedenfalls scheint (noch) für sich zu stehen. Noch dazu, weil sie Stilrichtungen wie Soul-Pop, R&B, Folk und TripHop gekonnt und recht eigenständig verschmelzen lässt, was stellenweise etwas an den Sound von Portishead oder Massive Attack erinnert.
Ihre Texte reflektieren dabei gerne Themen fern von Oberflächlichkeit. Sehr persönlich, sehr intim, sehr offen. Mit 20 darf man natürlich keine gesellschaftlich relevanten, ausdifferenzierten psychologischen Blaupausen erwarten. Und das macht auch nichts.
Einen Teil des faltbaren Album-Booklets hat Arlo für 72 Tagebuch-Statements und Einfälle reserviert. „Ich trinke schwarzen Tee, höre Pink Floyd und dem sanften Regen zu, der die Straße wässert. Mein Hemd ist lila, meine Augen scheinen in einem bestimmtem Licht schwarz, ich bin 20 Jahre alt und ich schreibe Dir von meinem Schlafzimmer aus. Ich möchte Dich an ein paar Dinge erinnern. Daran, dass Du lebendig und liebenswert bist, dass Du auf Deiner Vergangenheit aufbauen kannst. Ich erinnere Dich daran, dass es in Ordnung ist nicht die ganze Zeit perfekt, energiegeladen oder produktiv zu sein…
Das sagt vieles, auch zwischen den Zeilen. Arlo Parks erzählt emphatisch aus ihrer nicht immer einfachen Lebensgeschichte, auch wenn diese mit 20 Jahren noch nicht allzu viele Kapitel hat füllen können. Sie fühlt sich als Versteherin, Trostspenderin ihrer Generation Z, letztendlich einer etwas neuen, von der fortschreitenden Digitalisierung beeinflussten Jugend. Dennoch gefällt die Musik Dank ihres kompositorischen Könnens absolut generationsüberschreitend.
Dem „The Guardian“ sagte sie: „Ich schreibe Gedichte oder Bewusstseinsströme, spiele Instrumente oder bringe mir DJ-ing bei, indem ich ein stilles Solo-Set mache. Mein Dachzimmer ist mein Safe-Space, in welchem ich bis in die frühen Morgenstunden kreativ sein kann.“ Ihre Song-Geschichten, gerne Namen zugeteilt wie „Caroline“, „Eugene“ oder „For Violet“, wirken zuweilen traurig, schwermütig, machen betroffen. Machen aber auch Mut. Das verblüffende daran: Die Musik dazu klingt völlig unerwartet, anders. Kein melancholisches Gewinsel, keine molligen Runterzieher. Vielmehr schafft sie es, selbst schwierige Themen wie Depressionen mit einer beinahe zärtlichen Heiterkeit auf den Lippen in die Welt zu tragen.
Auch der Klang, eingefangen unter anderem in den Londoner Church Studios (Kaiser Chiefs, Beck, Madonna, Thurston Moore, London Grammar), geht als bodenständiges HiFi-Niveau in Ordnung.
Die Musik von Collapsed In Sunbeams
„Collapsed In Sunbeams“ eröffnet das Album mit Sprechgesang, Anne Clark lässt etwas grüßen… „Hurt“ zieht dann los mit rockigem Soul plus R&B, poltrigen Drums, Soundeinsprengseln und ihrer cool-lasziven Stimme. „Too Good“ beeindruckt als frisch-spritzige Nummer mit brummenden Bass, Orgelflirren, E-Gitarrentupfern und sonnigem Refrain. „Hope“ glänzt dagegen mit jazzigen Touch, Piano und wieder einigen Spoken Words. „Caroline“ geht runter wie ein Sundowner in der Karibik – mit minimalem Rhythmus, schillernd-schöner Melodie und hell-leuchtender Stimme. „Black Dog“ thematisiert Depressionen mit einer verblüffend sanft-schwebenden Atmosphäre. In „Green Eyes“ wirbeln sich Drums, Keyboard und Synthie gegenseitig auf, um einem groovenden Stilmix aus Funk, R&B, Jazz und Pop zu fröhnen.„For Violet“ geht ab mit LP-Knistern auf den Spuren von Massive Attack oder Portishead.
Das ist richtig gut. Und so werden wir bestimmt noch einiges von Arlo Park hören. Bleibt zumindest zu hoffen.
Bewertungen
MusikKlangRepertoirewertGesamt |
Video-Clips:
„Caroline“
„Hope“
Video aus der Gucci-Kampagne