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Tricycle & Benny Goodman
Audiophiler Doppelpack: Remasterings von Benny Goodmans letztem Deutschlandkonzert und "Tricycle" von Flim & The BB's

Benny Goodman Live In Hamburg 1981 und Flim & The BB’s „Tricycle“

Zwei Namen stehen in der audiophilen Tontechnik-Welt unter anderen für herausragende Leistungen – wenn auch mit unterschiedlichen Ausprägungen: Tom Jung, seines Zeichens einst Gründer und Studiochef des Labels DMP sowie Günter Pauler, Inhaber und Master-Mind von Stockfisch Records. Beide leisteten bereits in denAchtzigerjahren Pionierarbeit im Namen des guten Tons. Und beide lassen nun mit HighEnd-Juwelen aus eben dieser Zeit aufhorchen: Günter Pauler mit der Aufnahme des letzten deutschen Konzerts von Jazzlegende Benny Goodman live in Hamburg 1981. Und Jung dank der Neuauflage des HighEnd-Klassikers von Flim & The BB’s mit „Tricycle“. Zwei Alben, zwei charakterlich unterschiedliche Hochkaräter, die in keiner audiophilen Musikbibliothek fehlen sollten.

Wir schreiben das Jahr 1981. Auf der Hannover-Messe bestaunen Besucher eine Schreibmaschine mit chinesischen Schriftzeichen, während IBM den ersten PC präsentiert. Simon & Garfunkel treten wieder gemeinsam auf, nämlich im New Yorker Central Park. Und ein junger Günter Pauler bekommt in Hamburg die Chance, einen der ganz Großen des Swing und Jazz live einzufangen. Der Musikfreund und Studio-Könner wird später mit seinem Stockfisch-Label in Musiker- und HighEnd-Kreisen für Furore sorgen.

Zwei Jahre später, 1983, verlässt die Raumsonde „Pioneer 10“ unser Sonnensystem auf Nimmerwiedersehen in den interstellaren Raum. Udo Lindenberg darf im „Palast der Republik“ in der DDR auftreten. Und ein gewisser Tom Jung begeistert sich in den USA als Toningenieur für die junge digitale Aufnahmetechnik mit seinem Label DMP. Damit wir im Bilde bleiben: Wir reden von einer Zeit, in der CD-Player noch aussehen wie geschrumpfte Waschmaschinen, wie beispielsweise der Vertikal-Spieler von Hitachi oder Siemens (!), und in der HiFi-Magazine wie Audio gerade mal flügge geworden sind.

Digitalsound Made in California!

Doch zunächst zurück zu Tom Jung und DMP Records (Digital Musik Products). Das kalifornische Label fokussierte von Beginn an auf digitale Zweispuraufnahmen ohne Overdubbing. Jazz- und Fusion-Musiker wie Bob Mintzer, Jay Leonhart oder Chuck Loeb zählen zu den bekannten Protagonisten. Übrigens veröffentlichte DMP mit Sacred Feast By Gaudeamus im Jahr 2000 die erste Mehrspur-SACD, bevor die Firma kurz darauf ihre Pforten schloss. Die URL www.dmprecords.com ist heute (Juli 2020) für rund 2500 US-Dollar zu haben.

Soviel zum Schnee von gestern: Die Neuauflage des HighEnd-Klassikers von Flim & The BB’s mit „Tricycle“ aus dem Jahr 1983 verdankt die HiFi-Welt der umtriebigen, badischen Klang-Marke in-akustik, respektive A&R-Leiter Bernhard Rössle plus Team, seines Zeichens ebenso ein Pionier seines Fachs. Der audiophile Tom Jung überließ ihm das Master für die frische UHQCD gerne: Das Zauberwort heißt entschlüsselt „Ultimate High Quality Compact Disc“ (siehe auch Tonträgervergleich und Interview mit Jan Sieveking). Der Trick: Diese CD besteht nicht aus herkömmlichem Polycarbonat, sondern aus UV-gehärtetem Photopolymer mit einer Deckschicht aus Polycarbonat. Das Ziel: eine markant reduzierte Spiegelung des Laserlichts im CD-Inneren und dadurch ein optimierter Kantenübergang zwischen Pits und Lands. Das Album gibt es übrigens in der Neuauflage auch als 180-Gramm-Vinyl-LP.

 

Flim & The BBs innen
liebevoll gestaltetes Booklet (Foto: C. Dick)

Jung ließ die Musiker von Flim & The BB’s in den New Yorker A&R Studios eine von Kunimaro Tanaka (damals angeblich ein ausgewiesenen Freund des audiophilen Klangs) entwickelte Mitsubishi X-80 Zweispur-Digital-Bandmaschine bespielen. Das Zweispur-Juwel schlug damals mit rund 5.000 Dollar zu Buche. „Tricycle“ nährt sich aus Fusion und Jazz, eingespielt am 26, 27. und 28. November 1982 von Billy Barber (Piano, Fender Rhodes, Prophet und Moog-Synthesizer), Bill Berg (Drums und Percussion), Flim Johnson (5-saitiger Bass) nebst Dick Oatts (Alt-, Sopran-, und Tenor-Saxofon, Flöte und Klarinette).

Die Musik von „Tricycle“

Zehn Stücke, zehn Kracher – teils im wahrsten Wortsinne, dank teils famosem Tieftondruck, schöner Klarheit der Instrumente und feiner Auflösung, ein paar Highlights:

Bereits der Opener und Titeltrack beeindruckt mit prägnanten Piano-Passagen, durchzogen von peitschenden Drums, um später in ein federndes Rhythmuskonstrukt überzugehen. Auf „The 8:29“ dürfen Synthies jubilieren – ein Fest für verschiedenste Mitten-Schattierungen.

„Lunch Hour Wedding March“ glänzt dank fein ziselierter Percussion, rollendem Bass und schmeichelndem Sax mit Feindynamik – und Dynamiksprüngen. In „Sweet Winds of Change“ wiederum paaren sich Piano und Schlagwerk mit aufrührerischen Trommel-Wirbeln.

„Thunder And Birdies“ verkörpert raumgreifend mit schmuseweichen Bass-Saiten und fragilem Piano die zarten Saiten des Albums. „Sam’s Samba“ baut mächtig Tiefton-Druck auf mit Bass, Drums, gekrönt von prägnantem Saxofonspiel.

Flim & The BB's Tricycle
Flim & The BB’s „Tricycle“ erscheint bei in-akustik und ist erhältlich auf HQCD und Vinyl, als Stream oder MP3 zum Download (Cover: Amazon)

 

 

Swing and Go mit Benny Goodman Live in Hamburg 1981

Im Jahr 1974 legte Günter Pauler den Grundstein für sein audiophiles Aufnahme-Universum. Stockfisch Records zählt heute zu den Top-Labels in puncto High-End-Klang mit hohem musikalischen Anspruch. Im Tonstudio „Pauler Acoustics“ debütierten Musiker wie Werner Lämmerhirt und legten Koriphäen wie Sara K., Chris Jones, David Roth oder Allan Taylor feine Alben vor.

Bestausstattung im Tonstudio von Stockfisch Records (Foto:Stockfisch Records)

Klar, dass Günter Pauler bereits 1981 über einen erquicklichen Erfahrungshorizont in puncto hochwertige Aufnahmen und Umgang mit Musikern hatte. Sein Mitschnitt während Benny Goodmans Europatournee im Hamburger Congresscentrum am 9. Dezember sollte das eindrucksvoll unter Beweis stellen. Im Rahmen der „NDR-Sonntagskonzerte“ gelang dem Stockfisch-Macher so ein swingendes Meisterstück.

In den Achtzigern hat Günter Pauler für den NDR viele solcher Events aufgezeichnet und natürlich erinnert er sich an die Aufnahme im „CCH Hamburg“ mit Benny Goodman. „Mit meinem selbstgebauten 7-Kanal-Mischpult und einer ‚Nagra IV-S’ saß ich hinter dem Bühnenvorhang.“ Der große Benny Goodman kam in einer Spielpause zu ihm „und spürte wohl meine Anspannung, ohne Sichtkontakt zur Bühne und ohne Soundcheck eine Zweispuraufnahme zu fahren.“ Goodman legte seine Hand auf Paulers Schulter „und sagte so etwas wie ‚es wird alles gut’ …“

Und so ist es denn auch – nein: besser. Denn das Doppelalbum mit seinen 20 Stücken und über eineinhalb Stunden abendfüllender Spieldauer darf als historisches Tondokument gelten: Günter Paulers Mitschnitt von Benny Goodman live in Hamburg 1981 dokumentiert das letzte Konzert des Swing-Altmeisters in Deutschland. Eine Klarinetten-Koriphäe in reifer Bestform, souverän unterstützt von seiner Live-Band. Mit dabei waren Sven Asmussen (Violine, Vibraphon), Philip Catherine (Gitarre), Mads Vinding (Bass), Bjarne Rostvold (Schlagzeug) sowie Claes Crona am Piano.

Stockfisch legt das musikalische Zeitdokument übrigens auch als 180-Gramm-Doppel-LP sowie als Digital-Download auf (Flac, 24Bit/88kHz).

Benny Goodman Live in Hamburg 1981 Booklet
(Foto: C. Dick)

Die Musik von Benny Goodman „Live In Hamburg 1981“

Als Benny Goodman am 16. Januar 1938 ein legendäres Jazz-Konzert in der New Yorker Carnegie Hall gab, machte er Jazz und Swing sozusagen mit einem Schlag salonfähig. Das Meisterstück „Sing, Sing, Sing“ wurde später sogar in der „Hall Of Fame“ des Jazz geehrt.

43 Jahre später in Hamburg pulsierte dieser swingende Geist immer noch hin- und mitreißend – immerhin zählte Goodman damals bereits 72 Lenze. 1986 verstarb der „King Of Swing“ in New York.

Der Klang der analogen Nagra-Aufnahme besticht ungemein: Dank dem feinfühligen Premastering von Hans-Jörg Maucksch von Pauler Acoustics und der hütenden Hand von Master-Mind Günter Pauler ergießt sich ein packendes Live-Werk auf Geist und Gemüt.

Farbschattierungen, Homogenität, Auflösung und räumliches Tiefengefühl stimmen – letztendlich vereint sich die Aufnahmetechnik damit aufs Trefflichste mit der sprühend lebendigen Musikalität und Spielfreude der Goodman-Band.

Der „Spiegel“ lobte seinerzeit das Können Goodmans „… diese unangestrengte Art, Kunst mit Menschlichkeit zu verbinden.“ Autor Michael Naura erinnert sich an die Probe am Nachmittag: „Da wird nichts befohlen, keine strengen Blicke deckeln die Musiker, keine Assistenten wieseln, kein hierarchischer Vorteil wird ausgelebt.“

Und das hört und spürt man angesichts dieser beseelten Aufnahme, allem voran der erwähnte Alltime-Klassiker „Sing, Sing, Sing (With A Swing)“, geschrieben von Louis Prima, mit seinen scheinbar polternd-stolpernden trockenen Drums. Pfiffe und Jubel beim Hamburger Publikum inklusive. Eine Gänsehautnummer.

Aber auch das jazzige „After You’ve Gone“, der Opener des Konzerts, wirbelt gleich vom Start weg mächtig los. Ebenso der Klassiker „Sweet Georgia Brown“ (von Ben Bernie, Maceo Pinkard und Kenneth Casey), der einen mitreißend vereinnahmt und viel Spiel-Raum für die Band lässt.

„I Want To Be Happy“ (Vincent Youmans, Irving Caesar) zelebriert nach dem Taktanzählen ein wieselflinkes Pianospiel und eine teils schräg gespielte Violine. Auf „Nuages“ beeindruckt die raureife Stimme des Meisters bei seiner Ansage der federnden Django-Reinhardt-Nummer. Und „Body And Soul“ becirct als wunderbarer Schleicher mit zartem Jazzbesen-Streicheln.

Mit „It’s Easy To Remember“ verabschiedet sich Goodman dann schließlich nach gut eineinhalb Stunden mit einem ergreifenden Solo.

Benny Goodman Live In Hamburg Cover Stockfisch Records
Benny Goodman Live In Hamburg 1981 ist erschienen bei Stockfisch Records und ist erhältlich als Doppel-Hybrid-SACD, Vinyl Doppel-LP und Download (Cover Amazon)

 

Benny Goodman
Live In Hamburg 1981
2020/07
Test-Ergebnis: 4,8
ÜBERRAGEND
Bewertungen
Musik
Klang
Repertoirewert

Gesamt

 

Im Beitrag erwähnt:

Tonträgervergleich CD/XRCD/SACD und Interview mit Jan Sieveking

 

 

Autor: Claus Dick

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Musikfachmann seit Jahrzehnten, aber immer auch HiFi-Fan. Er findet zielsicher die best-klingenden Aufnahmen, die besten Remasterings und macht immer gern die Reportagen vor Ort.