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Bob Seger I Knew You When
Immer noch hochdynamisch: Bob hat mit "I Knew You When" wieder einen klassischen Seger abgeliefert.

Bob Seger I Knew You When – die CD der KW 46

Bob Seger I Knew You When
Seger-Typ: Mit rund 50 Millionen verkauften Tonträgern kann Bob Seger auf eine Bilderbuchkarriere zurückblicken. Inzwischen 72 Jahre alt, verleiht der „Silberrücken“ des klassischen American Rock seinem Genre neue Würde und Vitalität

Wir haben lange nichts von ihm gehört, doch nun meldet sich der „Working-Class”-Rocker aus Detroit mit neuem Album zurück: Bob Seger I Knew You When, die LowBeats CD der KW 46, zeigt den erstaunlich vitalen „Silberrücken“ eines vom Aussterben bedrohten Genres, der auch mit 72 Jahren sehr viel richtigmacht.

Mein Erstkontakt mit Bob Seger? Im Sommer 1978 brachte der ältere Bruder ein Exemplar von Stranger In Town nach Hause. Ein erster Blick aufs Cover – und schnell machte sich bei mir Skepsis breit. Was war das nur für ein Typ, der mir da entgegenblickt? Der bis dato letzte Mann, der so viele Haare auf dem Kopf trug, war mir einige Jahre zuvor im TV-Kinderprogramm begegnet und hieß Catweazle.

Und überhaupt: Was war denn das ob rechts auf dem LP-Cover? Unübersehbar prangte dort das Logo von „HörZu“ – und damit war die Sache für mich quasi erledigt.

Was Deutschlands Fernsehzeitschrift für das maximal gesittete Bürgertum empfiehlt, davon musste ich, seinerzeit musikalisch Richtung The Clash, Simple Minds oder OMD unterwegs, mich nun wirklich nicht angesprochen fühlen.

Doch es kam anders … Was da im Bruderzimmer aus den Boxen kam, hat mich vom Fleck weg förmlich angesprungen.

Ob die Gitarren-Schlagzeug-Stampede „Hollywood Nights“, die vollmundige Midtempohymne „Still The Same“, „We’ve Got Tonight“, nach wie vor eine der zehn schönsten amerikanischen Balladen der 70er-Jahre, oder die ergreifende „Famous Final Scene“: Das Feuerwerk, das der löwenmähnige Fremde hier abbrannte, entpuppte sich als American Mainstream Rock vom allerfeinsten und Stranger In Town avancierte zu einem der absoluten Klassiker, die dieses Genre für mich hervorbrachte.

Danach arbeitete ich mich im Seger-Oeuvre freudvoll rückwärts und blieb vor allem bei Night Moves (1976) und Mongrel“ (1975) hängen, die mich als anglophil gepolten Teenager mit ihrem Touch von Westcoast Music in die Reize der amerikanischen Rockmusik einführten.

Seit dem sind fast 40 Jahre vergangen und noch heute freue ich mich sehr über ein neues Album von Bob Seger. Zumal diese Anlässe rar gesät sind – mit It’s A Mystery (1995), Face The Promise (2006) und Ride Out (2014) veröffentlichte Seger gerade mal drei Alben in 20 Jahren.

Nun folgt mit Bob Seger I Knew You When ein Album der Stärke und voller Selbstbewusstsein, geprägt von einer Haltung des sich-nicht-unterkriegen-Lassens und des erhobenen Hauptes in harten Zeiten. Denn, nicht vergessen: Bob Seger stammt aus Detroit – einer Stadt, in der man eher nicht zum Siegertyp geboren wird.

Hier, in der US-Krisenmetropole schlechthin, kennen viele Menschen den amerikanischen Traum nur aus der Ferne und für sich selbst in etwas anderer Form: Statt vom Tellerwäscher zum Millionär verläuft der Lebensweg vieler bürgerlichen Existenzen eher umgekehrt – vom bescheidenen Mittelständler zum Habenichts.

Bob Seger hat ihn als Jugendlicher selbst erlebt, als die Familie nach der Trennung der Eltern aus dem Mittelstand in die Armut abrutschte.

Diesen Background merkt man seiner Musik bis heute an. Nichts Glamouröses haftet ihr an, und Seger musiziert eher noch näher am Leben seiner Fans als der andere „BS“ des American Rock, der sein Herz ja ebenfalls am richtigen Fleck trägt.

Doch während Bruce Springsteen sozusagen das Beispiel dafür ist, dass der American Dream in Ausnahmefällen doch wahr wird, indem er mit großen Hymnen zum Megastar des American Rock avancierte, hängte Seger als Chronist der kleinen Leute seine Songs eine Etage tiefer. Dass er es dennoch auf rund 50 Millionen verkaufter Tonträger gebracht hat, zeigt, wie sehr er dabei gleichwohl den richtigen Ton getroffen hat.

Auch auf Bob Seger I Knew You When widersteht er der Versuchung, großen Stadionrock zu schmettern, sondern bleibt bodenständig – und das, ohne einen klebrig kumpelhaften Ton anzuschlagen. Los geht es staubtrocken mit „Gracile“, einem keineswegs grazilen, sondern sehr muskulösen Rocker, der den musikalischen Schwerpunkt des Albums schon markant auf den Punkt bringt.

Bob Seger I Knew You When ist ein unerwartet saitendominiertes Album. Auf rund Dreiviertel der zehn Titel (die Deluxe-Edition bringt noch drei zusätzliche Tracks; darunter den „Glenn Song“, mit dem Seger seinem Kumpel, dem verstorbenen Eagles-Frontmann Glenn Frey Referenz erweist) geben kernige, scharfkantig aus dem Klangbild herausgefräste E-Gitarren mit manchmal fast metallischem Unterton den Ton an – man nehme nur das Solo in „Runaway Train“, der zudem noch von einem resoluten Saxophon auf Tempo gehalten wird.

Fast etwas Led-Zeppelin-artig: „The Sea Inside“ mit einem orientalisch anmutenden Streicherarrangement und Siebzigerjahre-Rockgitarren. In der Coverversion von „Busload Of Faith“, im Original von Lou Reed, sorgen hingegen Akustikgitarre, Klimperpiano und Southern-Soul-Bläser für Druck und Atmosphäre.

Der Titelsong wiederum gehört mit kräftigem, melodischem Piano und leicht wehmütigem Gesang in die Kategorie des typischen Seger-Midtemposongs, und „I’ll Remember You“ repräsentiert zusammen mit „Marie“ die Abteilung Balladen – beide Male irritiert Segers noch immer ungebrochenes Faible für leicht überkandidelte Begleitsängerinnen, aber Piano, Gitarren und ein voluminöses Schlagzeug halten auch hier den Sound schön im Lot.

Der Vorhang fällt mit einem großen Ausrufezeichen: das von Fiddle und Marschrhythmus getragene „Democracy“ – Leonard Cohens Hymne auf die Toten des chinesischen Volksaufstandes von 1989 und auf die Verheerungen, die Glaube und Geld in dieser Welt anrichten und wie am Ende doch der Wunsch nach Freiheit und der Wille zum Frieden obsiegt. Fanal eines „last man standing“ des klassischen Rock der 70er-Jahre – möge er Recht behalten.

Cover Art Bob Seger I Knew You When
Bob Seger I Knew You When (Cover: Amazon)

Bob Seger I Knew You When erscheint bei Capitol Records im Vertrieb von Universal und erhältlich als Audio-CD, Vinyl-LP und MP3-Download.

Bob Seger I Knew You When
2017/11
Test-Ergebnis: 4,1
GUT – SEHR GUT
Bewertungen
Musik
Klang
Repertoirewert

Gesamt

Autor: Christof Hammer

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Seit vielen Jahrzehnten Musikredakteur mit dem Näschen für das Besondere, aber mit dem ausgewiesenen Schwerpunkt Elektro-Pop.