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Bruce Springsteen On Broadway Rezension Aufmacherbild
Eine fantastische Konzertreihe überzeugend aufgenommen: Bruce Springsteen On Broadway ist das LowBeats Album der Woche

Bruce Springsteen On Broadway – das Album der Woche

Der „Boss“ solo in intimer Broadway-Atmosphäre? New York City war elektrisiert im Herbst 2017 – und konnte Bruce Springsteen anschließend vierzehn Monate lang an jeweils fünf Abenden pro Woche als großen Musiker und hinreißenden Geschichtenerzähler genießen. Jetzt gibt es den Mitschnitt zu dieser famosen Konzertreihe – Bruce Springsteen On Broadway ist dasLowBeats Album der Woche.

Bruce Springsteen ist ein begnadeter Songwriter, Rockmusiker und Geschichtenerzähler, einer der größten Söhne, die Amerikas Musikszene je gesehen hat. Nun, im, sagen wir: beginnenden Herbst seiner Karriere, tritt eine weitere Qualität immer deutlicher zu Tage. Mit inzwischen 70 Jahren und nach knapp einem halben Jahrhundert Künstlerdasein ist der „Boss“ eben nicht mehr „nur“ storyteller – er ist im Range eines Geschichtsschreibers angekommen: ein Chronist der amerikanischen Gegenwartskultur, ein Biograf des american way of life der 1970er- bis 2020er-ff-Jahre, der in seinem Werk fünf Dekaden US-Geschichte dokumentiert, nacherzählt, für die Nachwelt konserviert.

In eben diesem Rang zeigt ihn der an zwei Abenden im Juli 2018 aufgenommene Audio-und TV-Mitschnitt seines Bruce Springsteen On Broadway -Projektes – und alles zusammen bildet im Paket mit seiner 2016 erschienenen Autobiografie Born To Run eine Art Lebensbilanz der Musikers und Menschen Bruce Springsteen. Es mögen noch weitere Alben hinzukommen zu seinem diskografischen Werk, aber es sind diese beiden Werke, die sein Vermächtnis, seine Bedeutung als zeitgeschichtliche Persönlichkeit jenseits rein musikalischer Kriterien, jenseits seines normalen Album-Oeuvres definieren.

Im Winter 2016/17 begann der „Boss“ mit der Idee einer dauerhaften Präsenz im Zentrum der hochwertigen amerikanischen Unterhaltungskultur zu liebäugeln – seine Seele war nun ganz offensichtlich bereit für ein solches Unternehmen. Bis zum Sommer 2017 war schließlich das Konzept ausdefiniert, die Organisation abgeschlossen und nur wenig später dampfte bereits die Gerüchteküche. Springsteen solo in einer der kleinsten Locations des Big Apple? Das Walter Kerr Theatre hatte er sich für dieses Projekt ausgesucht; einen der letzten schön nostalgischen Broadwayschuppen, gerade mal 960 Besucher fassend. New York City war elektrisiert, und am 3. Oktober war es dann soweit. Der Vorhang im Kerr Theatre hob sich für einige erste Vor-Premieren; offiziell starteten die Performances dann am 12. Oktober. Gespielt wurde fünf Abende pro Woche, stets von Dienstag bis Samstag. Schnell schossen auf dem Schwarzmarkt die Preise für ein Ticket auf über 6.000 Dollar in die Höhe – das Interesse war gewaltig.

Auch deshalb wurde aus der ursprünglich auf zwei Monate veranschlagten Konzertreihe eine etwas größere Sache. Statt der angedachten acht Wochen gastierte Springsteen schließlich insgesamt vierzehn Monate; erst am 15. Dezember 2018 fiel nach insgesamt 236 Auftritten endgültig der Vorhang für diese Abende, die Springsteen auf zauberhafte Art und Weise als Grenzgänger zwischen den Welten zeigen.

Man erlebt den Privatmann, der sich ungemein persönlich an seine Jugend erinnert und die Beziehung zu Vater und Mutter thematisiert, den nachdenklichen Grübler, den altersweisen Melancholiker, den Mahner und Mutmacher („the future is not yet written!“) wie auch den Entertainer, der Ausflüge in komödiantische Gefilde nach Herzenslust auskostet.

Bodenständig mit schwarzer Jeans und T-Shirt zeigt sich Springsteen in der gleichnamigen, für Netflix produzierten Filmdokumentation, aber durchaus theatralisch: spielt stimmlich mit Modulation, Lautstärke, Erzählhaltung, schlendert die Bühne auf und ab, schwankt dramaturgisch absichtsvoll zwischen Ehrlichkeit und Bodenständigkeit und deren künstlerischen Inszenierung.

„I come from a boardwalk town where everything is tinged with just a bit of fraud – so am I“, verrät er zu Beginn des Abends: Aus einer Gegend stamme er, wo ein bisschen Flunkern einfach dazugehört zum Leben, so auch bei ihm. Auch der Songwriter und Geschichtenerzähler Springsteen arbeitet in der Grauzone zwischen präziser Realitätsabbildung und deren gelegentlicher Dramatisierung – und beides braucht es, um ein Oeuvre voll musikalischer Brillanz und literarischer Dichte zu schaffen.

Genau diese zweite erzählerisch-dramaturgische Ebene jenseits seines musikalischen Werkes betritt er nun mit diesem Broadway-Event. Jeden Song des Abends leitet Springsteen mit ausführlichen, extrem persönlichen Worten ein. Und es sind diese auf seiner Biografie „Born To Run“ wurzelnden spoken-word-Passagen, die das eigentliche Herzstück dieser 150-Minuten-Sets ausmachen. Bis zu elf Minuten lang und tendenziell gut verständlich sind diese als eigene Tracks angelegten „Introductions“, in denen sich der Geschichtenerzähler Springsteen jenseits seiner klassischen Songlyrik genießen lässt: gewitzt, gelassen, gereift.

Die Musik von Bruce Springsteen On Broadway

Das Repertoire von Bruce Springsteen On Broadway umfasst, dem Blick auf die eigene Biografie angemessen, Songs aus allen Werkphasen. Los geht’s mit „Growing Up“, das der damals 23 Jahre junge Nachwuchsfolkie für sein Debüt Greetings From Asbury Park N. J. komponierte. Es folgen vierzehn weitere Tracks, darunter Klassiker wie „Born In The USA, „The Rising“, „Dancing In The Dark“ und (als stupender Rausschmeißer) „Born To Run“, aber auch selten zu hörende Lieder wie das den Eltern gewidmete „The Wish“.

Der Konzeption von Bruce Springsteen On Broadway folgend geht es rein akustisch zu. Springsteen performt solo mit Akustikgitarre, am großen Konzertflügel und mit Mundharmonika; zweimal, in „Tougher Than The Rest“ und „Brilliant Disguise“, rückt Gattin Patti Scialfa zum Duett an seine Seite. Wer den „elektrischen“ Springsteen, den Stadionrocker bevorzugt, muss also umdenken – hier geht es eher in Richtung „Nebraska“ oder „The Ghost Of Tom Joad“.

Dass jeder Song auch ohne großes Besteck und den cinemascopischen Breitwandsound der E Street Band unter die Haut geht, dafür garantiert die reine kompositorische Klasse wie auch Springsteens Charisma als Musiker und Performer, der mit voller, teils schön rauher Stimme agiert, warmes Pianospiel und sämtliche Saitensounds von leiser Lagerfeuerklampfe bis erdiger Blues Guitar abruft.

Enorm lebendig eingefangen wurde die Atmosphäre der Bruce Springsteen On Broadway -Auftritte von Bob Clearmountain (Tonmischung) und Bob Ludwig (Mastering), die auch Lautstärkeschwankungen, geschuldet des öfter mal fernab der Mikrophone umherwandernden Hauptdarstellers, ohne nachträgliche Korrekturen übernahmen und den Hörer so mitten hinein ins Kerr Theatre entführen.

Bruce Springsteen On Broadway Cover
Bruce Springsteen On Broadway (Cover: Amazon)

Bruce Springsteen On Broadway erscheint bei Columbia im Vertrieb von Sony Music und ist erhältlich als Doppel-CD, 4-LP-Set und als Download. Der Konzertfilm ist bei Netflix zu sehen.

Bruce Springsteen On Broadway
2019/01
Test-Ergebnis: 4,5
ÜBERRAGEND
Bewertungen
Musik
Klang
Repertoirewert

Gesamt

Autor: Christof Hammer

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Seit vielen Jahrzehnten Musikredakteur mit dem Näschen für das Besondere, aber mit dem ausgewiesenen Schwerpunkt Elektro-Pop.