Was passiert, wenn sich drei talentierte studierte Musiker das Werk eines wunderbaren Impressionisten vorknöpfen? Ein feine akustische Patisserie mit vielen erfrischenden Überraschungsmomenten. Das Trio Harcsa-Razvalyaeva-Fenyvesi belebt Stücke von Claude Debussy mit Stimme, Harfe, Gitarre und Elektronika famos grenzüberschreitend und kreiert dabei facettenreiche Neuinterpretationen in strahlendem Klangkostüm. Debussy Now! ist eine echte audiophile Perle.
Fangen wir mit dem Urheber an. Es ist immer wieder auf den ersten Blick erstaunlich, wenn ein herausragender Musiker in seiner Kindheit nicht wirklich intensiven Kontakt zur Noten-Welt hatte. Achille-Claude Debussy wuchs in den Sechzigerjahren des 19. Jahrhunderts in eher bescheidenen, nicht künstlerischen Verhältnissen auf, eine Schule besuchte er nicht.
Daran soll seine Mutter nicht unbeteiligt gewesen sein, sie wollte dem Kleinen, angeblich unter einem Hagel an Ohrfeigen, das Grundrüstzeug in puncto Lesen und Schreiben selbst beibringen. Was ihm immerhin dazu verhalf, später bei der renommierten Kunstzeitschrift “La Revue blanche” patente Musikkritiken zu verfassen. Die sind übrigens hierzulande unter dem Buchtitel „Sämtliche Schriften und Interviews zur Musik“ zu haben. Gut, als Kind nahm ihn der Vater ab und zu mit zu Operettenaufführungen, sein Pate ermöglichte dem kleinen Claude schließlich, das Klavierspielen zu lernen, und zwar so prima, dass eine Dame aus besseren Kreisen, Madame Mauté de Fleurville, ihn quasi als erste Klavierlehrerin auf den Pfad eines Musikstudiums führte.
Ein Virtuose des Instruments wurde Claude nicht. 1884 gewann er den hoch anerkannten „Prix de Rome“ mit der Komposition seiner Kantate L’enfant prodigue und durfte vier Jahre lang in der römischen Villa Medici studieren – für ihn ein „Sträflingsschicksal“, geprägt von einem für ihn zu hohem Maße an „Sicherheit“, die ihn am wirklichen Leben hindere. 1887 brach er ab und schlug sich mit kleineren Kompositionen durch. Zurück in Paris lernte er Kollegen wie Erik Satie und Maurice Ravel kennen, auch die Arbeit von Igor Strawinsky mochte er.
Aber ebenso die (dank der mit der Weltausstellung im Jahr 1889 einströmenden) Musikstile aus Südostasien, wie der Klang der Gamelan-Orchester, faszinierten ihn. Sie komplettierten den eigenständig-sphärischen Stil, welcher auch das Trio Veronika Harcsa (Stimme), Anastasia Razvalyaeva (Harfe) und Márton Fenyvesi (Gitarre, Elektronika) fasziniert. Die Musiker schätzen den Impressionisten als „Rebellen, Visionisten, Impressionisten, einen Poeten der Akkorde, Komponisten von Licht und Farben“, ja sogar als eine Art Ur-Ur-Großvater des Jazz. Und damit sehen sie in ihm viel mehr als nur einen „französischen Komponisten“.
Die russische Harfistin Anastasia Razvalyaeva wuchs mit den Musikergenen ihrer Familie auf. Ihre Musikprojekte sind von einem „Wunsch nach Identitätsbestätigung erfüllt“, im Spannungsbogen zwischen Barock und zeitgenössischer Musik. Mit der Sopranistin Emöke Baráth (seit 2019 im Ensemble der Bayerischen Staatsoper) spielte sie Schuberts Liederzyklus „Winterreise“ für Harfe und Stimme.
Die ausgebildete Jazzsängerin Veronika Harcsa studierte in Budapest und erlangte ihren Mastertitel am Königlichen Konservatorium Brüssel als Jazzsängerin. 2005 gründete sie ihre eigene Jazz-Band und gestaltete 2015 eine Improvisations-Programmreihe in Berlin, zu der KollegInnen wie David Friedman oder Julia Hülsmann kamen. In der Klassik arbeitete die 38-jährige mit dem Franz Liszt Kammerorchester oder dem Dirigenten Jiri Menzel.
Der dritte im Bunde bringt sich als Gitarrist, Komponist, Arrangeur, Produzent und Sounddesigner ein. Márton Fenyvesi studierte an der Budapest Music Academy sowie in Amsterdam, Paris und Kopenhagen. Sein Faible für Experimentelles führte zu Projekten mit dem Dés András Trio, aber auch mit Pop-Produktionen und Bigband-Kollaborationen (Bigband Modern Art Orchestra). In seiner gerne improvisatorischen Gitarrenarbeit sucht er den „intensiven physischen Kontakt zu dem Instrument“.
Damit ist klar, warum und wie das Trio elf Stücke des Franzosen aufspüren, hineinschlüpfen und quasi von innen heraus zu etwas anderem, Neuem führen. Da passt es, dass Debussy als einer gilt, der vor über 100 Jahren die Harfe hoffierte. 1904 schrieb er beispielsweise Zwei Tänze für Harfe, begleitet von Streichern. „Vielleicht war Debussy der erste, der wirklich die Kostbarkeit von Klangfarben, die einer Harfe innewohnt, erkannte und versuchte sie in seiner Arbeit zu nutzen“, so Anastasia Razvalyaeva. Und weiter: „Debussys Musik sprudelt nur so vor Akkorden und Akkordfortschreibungen, die sich auch in Pop und Jazz finden.“
Die Musik von Debussy Now!
Die Produktion entstand am 28. und 29. Mai 2020 im Budapester BMC Studio, für Aufnahme, Mix und Mastering steht der Studio-Mastermind Viktor Szabó. Das Klanggewand strahlt mit tollem Raumgefühl, anmutiger Feindynamik und schönen Klangfarben. Elf Stücke umfasst das Debussy-Werk des Trios, allesamt reflektieren dabei die gleiche Attitüde – sich nicht um Genres und Grenzen zu scheren. Das klingt teils avantgardistisch verfremdet, jedoch ohne die Bodenhaftung zu verlieren und dabei zarte bis mutige Kommentare zu den Stücken des teils ungewöhnlich arbeitenden Impressionisten zu geben.
Beispiele:
„Beau soir“, ursprünglich als Kunstlied mit einer Gedichtsvertonung von Paul Bourget, eröffnet den Reigen wie ein pastellfarbener, zartrosa Abendhimmel. Als Auftakt schillern die Gitarren- und Harfensaiten, Veronika Harcsas Stimme webt sich vorsichtig in die Stimmung ein, sanft gebettet auf molligen Noten.
„La mer est plus belle (trois mélodies de Verlaine I“) von 1891 besticht durch filigranes Saitenzupfen. Gitarre und Harfe spinnen ein zartes Rhythmusgerüst, schwingen sich vehement zu einem Dialog auf, elektronische Einsprengsel betupfen die akustische Szenerie dabei, Harcsas Stimme mischt sich ab der Mitte forsch ein und versöhnt sich später mit teils sphärischen Sequenzen.
„La chevelure (Trois chansons de Bilitis II)“ prägt eine jazzige, dunkel-energisch anschwellenden Stimme, daei gleichzeitg sehnend-melancholisch, begleitet von einer bedächtigen Gitarre.
„L’échelonnement des haies (Trois mélodies de Verlaine III)“ wogt sich die Gesangsstimme sanft in ein Zwiegespräch mit Harfe und zarten Elektroniktönen, eine schwebende akustische Mélange-à-trois, in der Harfe und Stimme teils keltische Züge annehmen.
„La Fille aux cheveux de lin“ leuchtet mit facettenreicher Stimmphrasierung und feinen Schattierungen, hell und klar markanten Harfentönen, die von einem kleinen Elektroniksturm am Ende weggepustet werden.
Vier Video-Clips
– La fille aux cheveux de lin
– Trois chansons de bilitis I
– Trois mélodies de Verlaine III
– Nuit d’étoiles:
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