Ein frisches Bandprojekt von erfahrenen Musikern: Der Reflection Club schufen mit ihrem Debüt-Album eine kraftvoll-kreative Reminiszenz an einen Mega-Klassiker des Progressive-Rock: „Thick As A Brick“ von Jethro Tull. Schön: Der fabelhafte Klang verleiht dem Werk zusätzlichen Wind unter den Flügeln. Reflection Club Still Thick As A Brick ist daher unsere audiophile CD der Woche.
Was für ein Album, was für eine Idee, die Ian Anderson und seine Jungs 1972 von England in die damals extrem bunte Musikwelt hinaustrugen: Der Nachfolger des legendären Longplayers „Aqualung“ (1971) verteilte ein einziges Stück auf zwei LP-Seiten. Dabei vereint „Thick As A Brick“ einen Hybrid aus verschiedenen Stilen – Folk, Rock, Klassik, Jazz finessenreich arrangiert, mit äußerst akzentuierten Vocals sowie teils wilden, wandlungsfähigen Querflötentönen à la Bandchef. Die Scheibe sollte zum Meilenstein des Progressive-Rock-Genres avancieren. Ian Anderson veröffentlichte 2012 übrigens auf Thick As A Brick II 17 Songs, die von vielen Kritikern jedoch eher als durchschnittlich befunden wurden.
Und nun nähert sich ein frisch ins Leben gerufenes Quartett diesem beinahe einem halben Jahrhundert alten Stoff. Mutig oder naiv? Lutz Meinert, seines Zeichens ein alter Hase im Musikbusiness, ist Mastermind des Reflection Club. Seit ein paar Jahrzehnten sang und spielte der Berliner Multiinstrumentalist in diversen Bands, vorzugsweise im Rock-, Progressive- und Jazz-Rock-Genre. Er gründete das Label Madvedge und steht zudem auf den guten Ton. Das hat beinahe Tradition: Sein 2014er Album „Psychedelic Teatime“ heimste den Titel „Beste Studioaufnahme des Jahres 2014“ ein (Deutscher Rock- und Pop-Musikerverband) und die KollegInnen von Stereoplay kürten die Scheibe in der Februar-Ausgabe 2015 zur „Audiophilen CD des Monats“.
Bei „Thill Thick As A Brick“ zog der Berliner wieder viele Register: Er hat komponiert, arrangiert und produziert, übernahm Mixing und Mastering, auch in HiRes und Surround. Zudem spielte er Drums, Percussion, Elektro- und Doppelbass, Orgel, Piano, Spinett, Vibraphon oder Glockenspiel und Sitar.
Ulla Harmuth steht für die Flötentöne des Albums – bis auf „Part 2 Time Out“, den spielte Sänger und Akustikgitarrist Paul Forrest in den USA ein. Gitarrist Nils Conrad brachte schließlich die elektrischen Gitarren zum Glühen und Jubilieren – mehr Infos im Interview mit Lutz Meinert.
Der Bandname „Reflection Club“ erinnert etwas an die Wortschöpfung „Dichter und Denker“ – tatsächlich spielen Rückschau, Besinnung und das Wiederaufleben. Denn das Album kommt wie schon der Tull-Klassiker von 1972 in multimedialer Gestalt daher. Der progressive Stoff füllt so ein Mediabook mit CD, DVD („PCM Stereo 96kHz/24bit, dts Digital 5.1 surround mix 48kHz/24Bit, Dolby Digital 5.1 surround mix 48kHz/24bit“) sowie ein 88-seitiges Hardcover-Buch mit einer fiktiven Zeitung. Darin stößt der Leser auf schlau inszenierte, teils ironische Artikel, Artwork und Corporate Identity, sprich CI, inklusive. Ein Gesamtkunstwerk sozusagen. Der Zeitungstitel spielt dabei „The Rellington Stone“ auf die Musikgazette „The Rolling Stone“ an.
Die Musik und der Klang von Reflection Club Still Thick As A Brick
Die vier internationalen Musiker sind seit Jahren in der Szene aktiv, Forrest als langjähriger Jethro-Tull-Cover-Sänger, der mit seinen „Vorbildern“ auch schon auf der Bühne stand. Er versteht sich auf eine beinahe wundersame leichte Näherung an Anderson – setzt jedoch gleichzeitig eine klare eigene Note in puncto Phrasierung und Timbre. Flötistin Ulla Harmuth schafft es ebenso souverän Paste-and-Copy gar nicht erst aufkommen zu lassen. Sie inszeniert vielmehr „ihre“ Anderson-Hommage, aber natürlich mit Anspielungen. Lutz Meinert schließlich hat zu all dem die kompositorische DNA gelegt, die Arrangements fließend, pointiert mit Wendungen nebst Ecken und Kanten stilgerecht eingefädelt platziert.
Kann sein, dass manch einer doch Vorbehalte mit dem „covern“ ist. Oft zu unrecht. Denn vielleicht ist das ja ähnlich wie (früher) in der Schule mit dem Auswendiglernen. Wenn alle Wörter und Sätze perfekt abgespult wurden, gab’s ne Eins. Hätte man nach Inhalt, allgemeiner oder persönlicher Bedeutung gefragt, wären wohl einige Antworten mau gewesen. Will sagen: Ein tiefes Verständnis und Durchdringen und Beseeltsein würde dem Weltenlauf wohl eher dienen als Worthülsen runter zu spulen. Die Parallele in der Musik könnten messbar perfekt gespielte Noten sein. Soll ja keiner sagen, man spiele falsch. Ob das Dargebotene jedoch emotional packend ist, Herz und Verstand anspricht?
Den Vier vom Reflection Club jedenfalls hört man an, dass ihr Projekt eine Herzensangelegenheit war und ist. Die Stücke leben von Innen heraus, können sich so mit Stilsicherheit und Finesse entfalten. Und so entstand innerhalb des Genres Progressive Rock Neues auf der Basis von im Grunde Bekanntem. Musikalisch tun sie das mit Grazie und vielleicht sogar um das altmodische Wort zu benutzen: Edelmut.
Und so ziehen einen gleich der Opener und „Time Out (Part 2) beinahe magisch hinein ins imaginäre Geschehen im Ort „Rellington“. Die Hammondorgel röchelt, der Bass pumpt sonor, die Drums knallen mächtig. Spaß pur. Zumal der Klang erstaunlich differenziert und prägnant beeindruckt. Tieftondruck und Klangfarben stimmen, ebenso Auflösung und Detailtreue. Auch wenn Raumtiefe und Plastizität nicht das audiophile Maximum erreichen – was für eine Rockaufnahme ohnehin ultraschwierig ist.
Es folgen herrliche Prog-Rock-Attitüden wie Stimmungswechsel, Instrumentenvielfalt wie Piano, Gitarre oder Glockenspiel und sogar eine Sitar. Die insgesamt elf Stücke verweben sich miteinander harmonisch, geben sich quasi die akustische Klinke in die Hand, variieren sich dabei hier und da selbst spielerisch und bleiben doch erkennbar abgegrenzt. Wir hören Folk, Klassik, Jazz oder eben Rock. Oder Stimmungen und Assoziationen, Ableitungen davon.
Schön Auf „The Foray Of The Sharks (Part 6)“ huschen Flöten und treibende Drums plus Orgel umeinander und erinnern so für einen keinen Moment an einen anderen Prog-Rock-Ikone: Kansas. Und Im finalen Stück „Look Across The Sea (Part 11)“ wallen nochmal Flöte, Piano und sogar eine kleine Dudelsackorgie auf, um den Hörer dann wieder in die triste Realität zu entlassen.
Die Songs leben aber auch dank der lyrisch verdichteten Andeutungen auf wirtschaftliche und gesellschaftliche (Miss-)Verhältnisse, respektive deren gerne verleugneten Abgründe und Strukturen – in Rellington Town ebenso wie in unserer Wirklichkeit.
„Down by the seashore, close to the river lies a small village, a place lost in reverie.“ … „Painters, musicians, artist and actors, they bring new life and new style by and by into town.“
Die heile Welt kippt…:
„For a qualified puppet master secret doors open faster, give you warm welcome to the secret league of finance jugglers an willing butlers…“ „…Receiving generous donations or later a pole position in a supervisory board.“ „…All the golden calves are made of cheap fool’s gold.“
Zurück in die Zukunft: Ein neues Werk, transformiert mit eigenem Charakter. Die Musik setzt dabei keineswegs voraus, das 50 Jahre alte Ur-Werk von Jethro Tull zu kennen. „Still Thick As A Brick“ beeindruckt als eigenständiges Album, das viele Freunde des Genres begeistern wird.
Bewertungen
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Der Video-Trailer von Still Thick As A Brick