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Elbow Giant Of All Sizes LP
Elbows neues Album Giants Of All Size ist bemerkenswert gut geworden – und löblicherweise auch auf LP zu haben (Foto: Universal Music)

Elbow Giants Of All Sizes – das Album der Woche

Art-, Prog- und Indie-Rock statt Britpop: Elbow nutzen persönliche und gesellschaftliche Krisen für einen beherzten Wurf jenseits ausgetretener Pfade. Keine ganz leichte Kost, aber eine bemerkenswerte künstlerische Häutung einer Band, die sich nicht mit Altbewährtem begnügt. Elbow Giants Of All Sizes ist unser Album der Woche.

Als Gute-Laune-Bär war Guy Garvey ja noch nie unterwegs. Und dann noch der Tod des Vaters während der Arbeit am neuen Elbow-Album sowie Themen wie die Brandkatastrophe im Londoner Grenfell Tower von 2017 und natürlich das unendliche Brexit-Drama, das für Garvey nicht nur eine abstrakte Ungewissheit bedeutet, sondern eine sehr konkrete Bedrohung für das Leben von Millionen von Engländern: Elbow Giants Of All Sizes hätte das traurigste aller acht bisherigen Alben der Manchester-Männer werden können. Stattdessen überraschen Elbow nun mit einem beherzt disparaten Werk, dem man den Willen zum Dagegenhalten anhört.

Okay, Party-Pop gibt’s auf den neun neuen Songs zugegebenermaßen nicht zu hören. Aber der Trauer und der Frustration stellen Garvey und seine Mitstreiter zwei andere Werte als Gegenpole gegenüber: die Wut und die Hoffnung. So entstand eine kreative Reibungsfläche, an der sich subtile musikalische Funken entzünden.

Elbow Giant Of All Sizes Band
Zufluchtsstätte mit drei Buchstaben? Welcher Brite müsste da lang überlegen … Elbow wissen genau um die emotionale Bedeutung eines gut gepflegten Pubs. Guy Garvey (zweiter von rechts) & Co. sind dabei in doppelter Hinsicht vom Fach: in ihrer Heimatstadt Manchester betreibt die Band ein eigenes Trinklokal… (Foto: Universal Music)

„Ein Album wie eine wütende, alte blaue Klage, das seine Heilung in der Familie, Freunden, der Band und einem neuen Leben findet“, nennt Garvey diese Songkollektion mit britisch-poetischem Unterton. Wir bei LowBeats erlauben uns eine eigene Umschreibung und sagen: Die Gemengelage aus persönlichen Tragödien und gesellschaftlichen Erschütterungen – verbunden mit der Erkenntnis und dem Willen, dass das Leben weitergehen muss und zwar bestmöglich – nutzen Elbow als emotionale Rohmasse für ein eindringliches Werk zwischen Schmerz, Leid, Melancholie und Widerstand.

Die Musik von Elbow Giants Of All Sizes

Wie das klingt? Mal vertraut, aber auch unerwartet überraschend und überraschend vielfältig dazu. Die Verblüffung beginnt gleich ganz am Anfang. „Dexter & Sinister“ eröffnet mit fast Prog-Rock-artigen Klängen. Schwere Beats und klöppelnde Perkussion, verzerrte Gitarren und synthetische Bässe: Das Arrangement dieses komplexen Siebenminüters könnte auch aus der Klangküche von Peter Gabriel stammen. Auch „White Noise, White Heat“ an Position 5 klingt mit kernigem Schlagzeug und komplexen Keyboard- und Gitarrendialogen in etwa so, wie es heißt und wirkt wie eine Symbiose aus Art-, Prog- und Indie-Rock: Radiohead trifft auf die Genesis der „The Lamb Lies Down On Broadway“-Ära und von draußen (beziehungsweise mittlerweile von Wolke 7) schaut Talk Talk-Mastermind Mark Hollis mit Wohlgefallen auf dieses musikalische Treiben herab.

Dazwischen setzen erst „Seven Veils“ und dann „Empires“ entspannte Kontrapunkte. Hier rückt Guy Garveys brüchiges Timbre in den Mittelpunkt, lässt aber genügend Platz für unverbrauchte Saiten-Tasten-Dialoge. „The Delayed 3:15“ bringt dann mit einem romantischen Streicherthema und einem wehmütigen Klarinettensolo großes Gefühlskino, ohne freilich auch nur ansatzweise in klebriges Pathos abzudriften.

„My Trouble“ startet mit einer Kirmesorgel, dann treten Mark Potters Akustikgitarrensounds, luftiges Allerlei und zarte Perkussionsounds hinzu, ehe schwelgerische Streicher in ein versöhnliches Finale überführen. Alles vertraute Elemente – aber auch hier finden Elbow den Dreh, Wiedererkennbarkeit in ein unverbrauchtes Klangkostüm zu stecken.

Am weitesten von ihren Wurzeln im britischen Pop entfernen sich Elbow dann in „On Deronda Road“, das mit Saiten-Plingplang, Harmoniegesängen wie eine Jamsession zwischen Crosby, Stills & Nash mit einem indonesischen Gamelanorchester klingt.

All das macht Elbow Giants Of All Sizes zur gelungenen künstlerischen Häutung einer Band, die sich nicht mit einer Routinearbeit oder dem Verweilen in ihrer einmal gefundenen Komfortzone begnügt, sondern die in sich hineinhört, innere und äußere Verwerfungen mit seismografischer Sensibilität registriert und darauf mit ambitionierten Klängen reagiert, die klassische Genrekategorien wie Folk, Soul, Elektro- oder Gitarrenpop souverän hinter sich lässt.

Elbow Giant Of All Sizes Cover
Elbow Giants Of All Sizes erscheint bei Universal Music und ist erhältlich als CD, LP und Download (Foto: Universal Music)
Elbow
Giants Of All Sizes
2019/11
Test-Ergebnis: 4,1
SEHR GUT
Bewertungen
Musik
Klang
Repertoirewert

Gesamt


Autor: Christof Hammer

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Seit vielen Jahrzehnten Musikredakteur mit dem Näschen für das Besondere, aber mit dem ausgewiesenen Schwerpunkt Elektro-Pop.