Eine weitere Platte von Element Of Crime, die fast wie alle anderen zuvor klingt? Wie schön! Denn wie nur wenige Kollegen beherrschen Sven Regener und seine Band die Kunst, auch mit Bewährtem immer wieder auf’s Neue die Seele ihrer Hörer zu berühren. Mit seiner Mischung aus feinsinnigen Texten und schwelgerischem, bläserbetontem Folkrock ist Element Of Crime „Morgens um vier“ daher das aktuelle LowBeats-Album der Woche – und sorgt nicht nur morgens um vier für wundervolle Hörmomente
Auch nach siebenunddreißig Karrierejahren ist bei Element Of Crime noch immer fast alles beim Alten – und könnte es eine bessere Nachricht geben für Fans von Sven Regener & Co? All paar Jahre beliefern Regener und seine Mitstreiter die Musikwelt mit einem neuen Album im hinreißend leichtfüßigen und wunderbar tiefsinnigen Bandduktus, der fortsetzt, was 1991 mit Beginn der zweiten Werkphase begonnen hat: unaufgeregte, lebenskluge deutschsprachige Musik jenseits von Betroffenheitslyrik und schablonenhaftem Unterhaltungs-Pop.
Nun also „Morgens um vier“, und wer unbedingt mosern möchte, dass EOC eigentlich dieselbe Platte immer wieder aufs Neue aufnehmen, der liegt natürlich nicht ganz falsch. Grundlegende Veränderungen sind weniger denn je vorgesehen bei Sven Regener & Co.; das Leben ist und bleibt ein langer ruhiger Fluss bei EOC. Und doch liegt der feine Unterschied im Detail: Auch wenn der Fluss der altvertraute ist, so ist es nie dasselbe Wasser, das an uns vorüberfließt. Mag auch das Allermeiste so sein, wie es schon lange war: Die Jahre, die vorüberziehen, bleiben nicht ohne Auswirkungen, verändern uns unmerklich. Die Zeit hinterlässt ihre Spuren, wenn auch in Zeitlupe.
Und schließlich: Was zieht uns denn mehrmals pro Woche in die wohlbekannte Stammkneipe in der Nachbarschaft, was in den warmen Nächten eines jeden Sommers immer wieder auf die Aussichtsplattform hoch über der Stadt, von der aus der schon hundertmal gesehene Sonnenuntergang immer wieder aufs Neue seine Fans begeistert? Von daher preisen die Element-Of-Crime-Freunde unter uns einmal mehr die Macht der guten Gewohnheit und freuen sich über ein weiteres Album im typischen EOC-Stil, voll schwelgerischer Melodien und gut abgehangener Texte, deren leichtfüßigen Plauderton die Schreibarbeit, die in ihnen steckt, allenfalls erahnen lässt. Dabei zeigt Sven Regener einmal mehr, dass er (sorry an alle „Herr Lehmann“-Freunde) als Liedtexter so viel besser und wichtiger ist, denn als Buchautor – tauscht er im Kontext eines Songs die Geschwätzigkeit seiner Romancharaktere doch gegen eine viel wertvollere sprachliche Präzision aus, die Kopf und Herz miteinander in Einklang bringt. Wo Regeners „Lehmann“-Figuren sich – ganz wie im richtigen Leben – seelisch und verbal oft nur mit jeder Menge Banalitäten über Wasser halten, zeigt der Songtexter Regener, wie man mit prägnanter Poesie die wirklich wichtigen Dinge und Gedanken des Lebens auf den Punkt bringt.
Die Musik von Element Of Crime „Morgens um vier“
Und einmal mehr walzert die Musik zu diesen sommertrunkenen Alltagsphilosophien unnachahmlich entspannt, leichtfüßig und heiter-melancholisch durch Folk, Chanson, Jazz und dezent alternativen Rock und streunt mit beiden Beinen gleichermaßen durch Berliner Hinterhöfe wie auch durch das Bremer Land, der Heimat von Sven Regener, wo die Flüsse Este und Oste heißen, Wümme und Hamme, Schwülme oder Ochtum. Und auch wer nicht im Wedding wohnt, in Friedrichshain oder Lichtenberg, wer nicht aus der Neuen Vahr stammt, aus Verden, Achim oder Delmenhorst, der spürt, welch wohltuende Wirkung diese Mischung aus urbaner Bohème und von wohldosierter Tristesse durchzogener nordisch-ländlicher Gelassenheit auf die Seele ausstrahlt.
Sven Regener und Jacob Ilja fieseln dafür ein paar spröde Riffs oder ab und an auch ein herrlich verschrobenes Gitarrensolo (etwa in „Was mein ist, ist auch dein“) aus den Saiten, Richard Pappik streichelt und tätschelt sein Schlagzeug aufs Zärtlichste mit Besen und Drumstick. Dazu sorgen Regeners wie immer ausdrucksstarke, aber brillant unprätentiöse Trompete und das Musette-Akkordeon von Ekki Busch für frankophile bis balkaneske Klangfarben, Pappik bläst noch ein wenig oder auch mal sehr viel („Ohne Liebe geht es auch“) in seine Mundharmonika und Rainer Theobald steuert wunderbar beiläufig einige Saxophon- und Klarinettenparts bei. Über allem: Sven Regeners mal wohldosiert romantischer, mal knochentrockener Sprechgesang, neben dem auch Tobias Bamborschke von Isolation Berlin als Duettpartner im schunkelig-wehmütigen „Dann kommst du wieder“ einen schweren Stand hat.
Bleibt noch der Verlust von David Young: Der Langzeitbassist, -produzent und die gute Seele von Element Of Crime starb im September 2022 nach über zwanzig Jahren Bandzugehörigkeit; für ihn neu an Bord ist Markus Runzheimer. Wie sehr der Freund David Young fehlt, wissen allein die Angehörigen der EOC-Familie; alle anderen dürfen „Morgens um vier“ in der Gewissheit genießen, dass Runzheimer als Bassist nahtlos den Fußspuren seines Vorgängers folgt.
Einzelne Songs aus diesem Reigen an Liebesliedern und Lebensbetrachtungen herauszuheben, fällt schwer und ist im Grunde überflüssig – jede einzelne dieser Szenen und Milieustudien erzählt eine ganz eigene Geschichte, steht für sich wie ein liebevoll gemaltes Bild. Dennoch gehört etwa „Kaltes Herz“ zu den schönsten Stücken im gesamten EOC-Oeuvre, auch „Wieder Sonntag“ ist so tragischbitter und traurigschön, dass es beinahe weh tut. Und dass auch alle weiteren sieben Songs dem klassischen Bandstil gehorchen, versteht sich von selbst.
Der finale Titelsong „Morgens um vier“ setzt als Schlussakkord eines wunderbar melancholischen, bekannt „crime-ishen“ Sets schließlich den ganz frühen Morgenstunden ein Denkmal – jenem am meisten unterschätzten Momentum eines 24-Stunden-Tages, das wie kein anderes Raum für Gedanken gibt, die in den Tages- und Nachstunden meist außen vorbleiben. Und ja: Es sind nicht immer die schönsten, positivsten aller Gefühle und Erkenntnisse, die in diesem Zeitfenster zu Tage treten – aber meist jene, die am dichtesten am wirklichen Leben dran sind.
Bewertungen
MusikKlangRepertoirewertGesamt |
Mehr von Element Of Crime:
Element Of Crime “Schafe, Monster und Mäuse”