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Element Of Crime Schafe, Monster und Mäuse – Review Aufmacherbild
"Immer schön locker bleiben" ist das Motto von Element Of Crime Schafe, Monster und Mäuse. Es ist unser Album der Woche

Element Of Crime Schafe, Monster und Mäuse

Die Berliner Pop-Poeten Element Of Crime stiften wiedermal vorsätzlich zu chansonesker Anarchie an: Mit ihrem neuen Album Element Of Crime Schafe, Monster und Mäuse begeben sich Sven Regener & Co diesmal verstärkt ins psychedelische Rocklicht-Milieu. Rein vorsätzlich, versteht sich.

Was bisher geschah: Gerade mal ein Jahr jung war der Film des dänischen Regisseurs Lars von Trier, als ein musikbegeisterter Hanseat den Titel „The Element of Crime / Spuren des Verbrechens“ für eine frisch gebackene Band-Idee entlieh. Vor 33 Jahren war das. Es folgten im Jahresrhythmus englischsprachige Alben, von denen Try To Be Mensch (1987) von keinem Geringeren als John Cale produziert wurde, seines Zeichens Gründungsmitglied der Avantgarde-Rocker Velvet Underground.

Eine ehrenhafte Auszeichnung und Ansporn zugleich, weiterhin rotzig-rockende, aber auch wunderbar chansoneske, gewitzte Songs zu schreiben, die sich später sogar anschicken sollten, die lyrisch und musikalisch ambitionierten Gene von Kurt Weill oder Bertolt Brecht zu spiegeln. Was lag da näher als vom Englischen ins Deutsche zu wechseln. Und so veröffentlichte die Berliner Gruppe 1991 ihr erstes, fantastisches „deutsches“ Album Damals hinterm Mond. Ausgezeichnet mit Preisen wie „das Goldene Ohr“ von AUDIO, wo Sven bei der Preisverleihung in Stuttgart zunächst beschämt hinter seinem Glas Becks-Bier saß, um sich dann im weiteren Verlauf des Abends umso mehr wie Bolle über die Trophäe zu freuen.

Element Of Crime Schafe, Monster und Mäuse – Regener beim Abhören
Mastermind beim Abhören: der Sänger, Trompeter, Komponist und Buchautor Sven Regener

Und sich die nächsten Jahre im Vordergrund des Mondes, fernab jeglicher Eklipse im Kritikerlob zu sonnen. Crime-Sänger und -Trompeter Sven Regener inszenierte sein Lied-Gut weiterhin mit lyrischer Luftigkeit und zart-bitterer Ironie wie auf Psycho 1999. Das Album spielten die Elements damals im legendären Can-Studio im Eifel-Nest Weilerswist ein, wo man im altehrwürdigen Hotel zum Schwan (mit Porzellanschwan im gedimmten Flur) nächtigte, nachdem man sich am Holztisch im rustikalem Ambiente der Gaststube Deftiges einverleibte. Früchte des Albums sind Songs wie „Jetzt muss Du springen“ oder „Weil es schön war“. Immer mehr schuf Sven einschlägige Zeilen wie „aus dem Freibad kommen die, die nicht ertrunken sind“. Solche Sätze hebeln Regeln der Wahrnehmung aus, drehen irgendwas um: Ja, klar, denkt man sich, logisch, sowas muss man nicht aussprechen. Wenn es aber passiert, ist die Wirkung der gesungenen Zeile immens. Sehr gewitzt, der Herr Regener. Obwohl der Bremer an anderer Song-Stelle auch gerne mal untertreibend kokettiert mit Sätzen wie „in meiner Kehle sitzt ein Tier, das frisst die klugen Worte auf“, so in die Welt gesetzt 1996 im Song „Wer ich wirklich bin“ vom Album Die schönen Rosen.

Was weiter geschah: Nach diesem zehnten Album stand Sven Regeners Einstieg in das Literatur- und Filmbusiness auf dem Plan – „Herr Lehmann“ lässt grüßen. Und nun, Jahre später, neun Alben weiter – zählt man die diversen Download-Alben von Konzerten nicht mit – geht es um „Schafe, Monster und Mäuse“. Bonjour, schwerelose Melancholie: Selbstbewusst frei schwebt sie, getragen von Akkordeon, Bläsersätzen und beschwingt konterkarierenden Streichern. Sie trägt Svens racke-rauchzarte Stimme hinein in kleine Alltagsbeobachtungen. Seine Texte liefern wiedermal eine fein gehäkelte Blaupause für die Unzulänglichkeiten des Lebens, wie gewohnt äußerst charmant formuliert, diesmal aber in manchen Songs musikalisch dunkel psychedelisch geteert und sanft abgefedert durch freudig erregte Arrangements mit wippend-beschwichtigenden Weisen. Spinnert. Und klug. Und irgendwie wie gehabt. Wobei: Zwischen den Zeilen und Noten tun sich beim genauen Hineinhören von Element Of Crime: Schafe, Monster und Mäuse neue Schattierungen auf, lockern gewollte oder fahrlässig gesetzte Selbstzitate überraschend erfrischend auf.

Die Musik von Element Of Crime Schafe, Monster und Mäuse

Weill/Brecht/Lou Reed und Bob Dylan tanzen gemeinsam im Rhythmus der chansonesken Musik-Lyrik. Auf Element Of Crime Schafe, Monster und Mäuse hagelt es feinsinnge Arrangements, raubeinige Vokalsätze, Sprechgesang ist teils ausdrücklich erlaubt. Jakob Dreiw Ilja zupft wieder souverän-facettenreich die Gitarre, Richard Pappik bearbeitet dezent-vehement seine Drums und die Percussion-Abteilung, David Young greift beherzt in die Basssaiten und Rainer Theobald bläst gefühlvoll in Saxophon und Klarinette. Und zwar kriminell gut: Da werden Tempi verschleppt, Gitarren in Artrock-Gefilde entführt, Streicher-Einheiten auf Rock-Aufschneidereien angesetzt, Schleicher mit Soul geknebelt oder mit scheinbar harmloser, schafsbraver Alltags-Lyrik ein schmutziges Spiel getrieben. Textlich kondensieren offene Geheimnisse am Zaudern des Unbewussten, fragile Empörung fließt „hinter geschlossenen Lidern“. Es bauschen sich kaleidoskopartig-bunte Gedanken zu Monstern auf. Unterbewusstsein und Über-Ich zocken um die Wette und machen manchmal aus Mäusen Elefanten. Eine Crime-Scene eben.

„Am ersten Sonntag nach dem Weltuntergang“, der ersten Single-Auskopplung aus Element Of Crime Schafe, Monster und Mäuse, sogar mit Bootsfahrt-Video (siehe unten), bahnt sich eine introvertierte Weltuntergangsstimmung im Schunkel-Wiege-Rhythmus den Weg, getupft von Bläsersätzen (Sven pustet nicht alleine!) sowie wirbelnden Drum-Stick-Einsätzen. Das zeitigt zudem so harsche Sätze wie „…grausam ist der Haifisch…; treulos ist die Sonne…; treulos warst auch Du.“ Damit ist alles gesagt: Sven ist wieder in seinem Element – scheinbar banal-Alltägliches auszuleuchten, die Untiefen der seelischen Pein zu durchforsten. Aussprechen, was banal erscheint – und damit ein bisschen unsterblich werden.

Element Of Crime Schafe, Monster und Mäuse – Wannseefahrt
Auch nach 33 Jahren ist man sich noch zugetan: EOC bei der Bootsfahrt

„Ein Brot und eine Tüte“ empfiehlt sich mit wippendem Rhythmus und schnoddrigen Situations-Karikaturen, zu denen ein Chor einstimmt. Eigenständig. „Bevor ich dich traf“ lebt von funkelnden E-Gitarren-Sounds, einem aufblühenden Akkordeon – und beißender Ironie à la Crime. „Immer noch Liebe in mir“ hüpft als beherzter Polka-Trip im Schmuddel-Sound-Gewand.

„Stein, Schere, Papier“ begeistert durch finessenreiche Psychedelic-DNA mit Trommel-Wirbel, geharschten E-Gitarren und sonstigem Elementschem Pi-Pa-Po – nebst einem Saxophon, das an Pink Floyd’s „Us And Them“ vom Album Dark Side Of The Moon erinnert. Doch das Ambiente wird schnell verdrängt, indem sich das muggelig-soundtrackartige „Im Prinzenbad allein“ mit Bläsern und cool-relaxtem E-Gitarrensolo freischwimmt.

„Karin, Karin“ lockt fingerschnippend zu einem Hinterhof-Kombo-Happening während „Nimm dir, was du willst“ – nomen est omen – mächtig aufdreht mit zackigem Drum-Einsatz, rotierenden Gitarren und extrem energisch-schnoddrigen Vokalsätzen.

Und zwischendrin schafft immer wieder Svens markantes Trompetenspiel schöne Verbindungen. Wer weiß, vielleicht mag er sich ja mal mit Joey Burns und John Convertino von Calexico (LowBeats CD der Woche 5/2018) treffen, die immer gerne die Trompete im Tex-Mex-Rhythmus tanzen lassen: Die Rolle könnte dann – in einer gemeinsamen Session – Sven übernehmen. Mindestens.

Schön, dass auch der gute Ton überzeugt: Das Klangbild von Element Of Crime Schafe, Monster und Mäuse besitzt Kraft und leuchtende Farbe, strahlt eine gut durchhörbare Transparenz aus und findet auch für feindynamische Kleinigkeiten große Aufmerksamkeit.

Element Of Crime Schafe, Monster und Mäuse – Regener beim Aufnehmen
Hier wird selbst Mastering-Hand angelegt

Hört sich so an, als ob das längste Album in der Bandhistorie eines ihrer besten geworden ist. Crime pays. Für Fans läuft die Fahndung insofern sowieso bereits. Und für die meisten dürfte Widerstand zwecklos sein.

Cover Art Element Of Crime Schafe, Monster und Mäuse
Element Of Crime Schafe, Monster und Mäuse (Cover: Amazon)

Element Of Crime Schafe, Monster und Mäuse erscheint bei Vertigo Berlin / Universal als CD, Doppel-LP, MP3-Download oder Stream sowie als „Limited-Songbook-Edition“, z.B. bei amazon.de.

Zusatzinfo zu Element Of Crime Schafe, Monster und Mäuse

Das neue Album mit knapp einer Stunde Spieldauer gibt’s auch als limitierte „Songbook-Edition“: Mit einem 40-seitigem Hardcover-Buch nebst Umschlag im Format 22×28 Zentimeter mit sämtlichen Texten und Noten und dem CD-Album. Im Buch wenden sich Sven & Band mit einem Grußwort an den geneigten Leser, zudem locken zahlreiche Fotos sowie teils skurrile iPhone-Foto-Impressionen von den Studio-Sessions. Dazu gibt’s eine Postkarte mit den Tourdaten 2019 – die kann man ankreuzen und an Freunde verschicken.

Video-Link zu „Am ersten Sonntag nach dem Weltuntergang“:

https://www.youtube.com/watch?v=Rb8MxchphEc

Element Of Crime Schafe, Monster und Mäuse
2018/10
Test-Ergebnis: 4,2
SEHR GUT
Bewertungen
Musik
Klang
Repertoirewert

Gesamt

Autor: Claus Dick

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Musikfachmann seit Jahrzehnten, aber immer auch HiFi-Fan. Er findet zielsicher die best-klingenden Aufnahmen, die besten Remasterings und macht immer gern die Reportagen vor Ort.