Hier ein homogenes Bandquintett um die Damen und Herren von Klitzing, Fenstermacher und Dahlke, dort ihr nicht ganz einfacher Frontmann Peter Hein: Die Gruppengeometrie bei den Fehlfarben ist, sagen wir: eher speziell – man muss sich immer wieder mehr zusammenraufen, als dass man einander freudig begrüßt. Doch das Sich-Zusammenraufen hat sich einmal mehr gelohnt: Mit Fehlfarben “?0??“ präsentiert eine der nach wie vor wichtigsten Bands der deutschen (Punk-)Rockszene ein überraschend vitales Album am Puls der Zeit.
Wer Peter Hein einmal in natura erlebt hat, kann es kaum anders sagen, aber: Der Fehlfarben-Sänger ist nicht gerade ein Sympathieträger. Zufriedenheit strahlt er eigentlich nur aus, wenn er Unzufriedenheit artikuliert und gegen jeden und alles motzt, zudem umgibt ihn ein unangenehmer Hang zur Empathielosigkeit und zum Zynismus. Sitzt man gerade entspannt in seiner Stammkneipe und Hein käme zur Tür herein: Man würde jedenfalls inständig hoffen, dass der Typ sich jetzt bitte nicht an denselben Tisch setzen möge.
Nun ist everybody’s darling zu sein nicht gerade der Job eines Musikers, es sein denn, man performt in einer Boygroup. Hein aber steht bekanntlich Deutschlands dienstältester und vielleicht wichtigster Post-Punk-Truppe der frühen 1980er-Jahre vor, ist mit seinen markant gebellten Vocals mitverantwortlich für den „signature sound“ der Band und kümmert sich recht wenig darum, was andere von ihm halten. Von daher ist eine Persönlichkeit mit Ecken, Kanten und auch der ein oder anderen Macke da schon mal drin. Apropos gebellte Vocals: Nach über vier Jahrzehnten am Mikrofon hat Hein als Sänger tatsächlich einiges mehr drauf als nur den „Schäferhund-Duktus“ der Anfangsphase und performt mit allerlei vokalen Verzierungen mitunter fast schon pop-nah. Doch dazu gleich mehr.
Zunächst aber: Popstar zu sein war so ziemlich das letzte, was in Heins Lebensplan stand; folgerichtig verließ er die Fehlfarben schon kurz nach Erscheinen des Legenden-Debüts „Monarchie und Alltag“ und flüchtete in ein unscheinbares Angestelltendasein beim Büromaschinenhersteller Xerox. In den Jahrzehnen danach hatte der Punk-Pionier aus Düsseldorf dann mal Lust auf das Musikbusiness und auf seine Bandkolleg*innen, dann auch mal wieder keine. Seit knapp zwanzig ahren aber ist eine gewisse Stetigkeit wieder zurück, und das Fehlfarben-Stammquintett kann regelmäßig auf seinen Sänger bauen.
Nach etwas längerer Pause zum 2015er-Werk „Über … Menschen“ , nun also „?0??“, entstanden wie bei den Fehlfarben fast schon Tradition, mit allerlei Geburtswehen. Wobei damit weniger die Corona-Verwerfungen der Jahre 2020/21 gemeint sind als die grundsätzliche Bandkonstellation: Sie müssen sich förmlich zusammenraufen, die weiteren Fehlfarben und ihr etwas spezieller Frontmann, können nicht so recht mit-, aber auch nicht ohne einander: hier das Quintett mit Schlagzeugerin Saskia von Klitzing, Gitarrist Thomas Schneider, Bassmann Michael Kemner sowie den beiden Allroundern Frank Fenstermacher und Kurt Dahlke, dort ihr Frontmann, dessen Haltung und gelegentliche Eskapaden einiges an Toleranz abverlangen. Aber: Es hat sich wieder mal gelohnt, das Zusammenraufen. „?0??“ stellt die richtigen Fragen zur Zeit, klingt verdammt frisch und enthält einige der besten Fehlfarben-Songs der letzten zwanzig Jahre.
Die Musik von
Fulminant gerät der Auftakt: „In die Welt gestellt“ erinnert mit stoischem Gitarren-Uhrticken zunächst an „Paul ist tot“ vom 1980er-Debüt „Monarchie und Alltag“, um dann als dunkler Gitarrrenrocker das Thema Identitätssuche auf persönlicher wie auch auf gesellschaftlicher Ebene zu verhandeln. Noch besser dann „Der letzte Traum“ mit teils sägenden, teils schön geachtelten Saitensounds, einem massivem Groove und extravaganter Synthiegarnitur; einen griffigen Refrain inklusive. Und in beiden Fällen gibt es – Stichwort: gereifter Sänger – den überraschend facttenreichen Vokalisten Peter Hein zu erleben, der versiert mit Silben und Tonlagen spielt. Das klingt manchmal fast schon zu kunstvoll für eine Noch-immer-Punkband, verdient aber allemal Respekt.
Und was das Fehlfarben-Quintett dazu besteuert, ist ein Paradebeispiel für musikalische Ökonomie: Kein Takt, kein Ton wird hier zu viel gespielt, und das, was da ist, befindet sich punktgenau am richtigen Platz. Unnachgiebig treibt Michael Memners Bass in „Der letzte Traum“ die Gitarre von Thomas Schneider vor sich her, Saskia von Klitzing trommelt wunderbar trocken, metrisch genau und garniert ihre Figuren mit ein paar schönen Fills, und Frank Fenstermacher und Kurt Dahlke assistieren mit schrägen Sounds von Keyboards bis Vibraphon. Auch „Nachhaltig“ liest zu einer nervösen Post-Punk-Kulisse einem vermeintlich korrekten Konsumverhalten unserer Welt die Leviten; „Stolz?“ hinterfragt zu einem verschleppten, leicht dreckigen Dub-Groove und einer Gitarre wie zu besten Post-Punk- und New-Wave-Zeiten ranzig-nationalistische Deutschtümelei und „Tanz auf der Straße“ erinnert mit dem Beastie-Boys-Zitat von „Fight For Your Right (To Party“) die Stammkundschaft daran, dass einst nicht das Rechthaben, sondern das Spaßhaben das Lebensgefühl der Szene bestimmte.
Und stets kneift die Musik dazu den Hörer mit Basspower und Gitarrenwucht wie eine Beißzange in den Hintern. In „Brot ohne Spiele“ und in „Europa“ packt dann Frank Fenstermacher zu zackigen Beats sein wunderbar fahles Saxofon aus. Und in „Ich kann es kaum erwarten“ teilt Peter Hein zu schön silbriger Gitarre nach so ziemlich allen gesellschaftlichen Seiten aus. „Das Rennen macht müde“ fährt dann 2:24 überraschend noisige Elektronik auf, ehe das höchst tanzbare „3 Kapitäne“ mit einem Tutti aus Saxofon, Gitarrenlärm und allerlei synthetischen Sounds ein unerwartet frisches und dicht gewirktes Album beendet.
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