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Hotel Rimini „Allein Unter Möbeln“
Pop-Chanson-Gastgeber: Das Sextett Hotel Rimini lädt mit seinem äußerst charmanten Debüt-Album „Allein unter Möbeln“ zum Check-In (Foto: M. Threlfall)

Hotel Rimini „Allein unter Möbeln“: das Album der Woche

Hotel Rimini ist keine Touristen-Absteige an der Adria, sondern ein famos sympathisch spielendes Sextett aus Leipzig. Die Newcomer wandeln leichten Fußes auf den Pop-Chanson-Spuren von Element of Crime. Aber nicht nur, keinesfalls! Ihre DNA entwickelt sehr eigenständige und facettenreiche Charakterzüge: Hotel Rimini „Allein unter Möbeln“ ist unser Album der Woche – und eigentlich mehr.

Es war einmal: „Sechs „verhinderte MusikerInnen“ arbeiteten „als Hotelangestellte in einem heruntergekommenen Urlaubsresort an der Küste der Adria. Julius und Paul fuhren als Liftboys in ausgebeulten Uniformen ihre immer gleichen Wege zwischen oben und unten. Annegret leitete das hoteleigene Volleyballteam, was bei ihrer Größe von 1,58 Meter mehr als beachtlich war. Jakob war für die Küche zuständig, Valentin arbeitete als Bademeister und Paula brachte die Zimmer mit routinierter Akribie auf Vordermann. Das triste Lied der Nebensaison sang seinen immergleichen Refrain, bis es jäh vom herbstlichen Lockdown unterbrochen wurde. Tristesse virale sozusagen. Das Hotel schloss seine Pforten und die ohnehin wenigen Gäste verließen den Hafen des Pauschaltourismus. In dieser Gemengelage aus leerstehenden Zimmern und wachsender Inspiration gründeten die sechs eine Band, quartierten sich kurzerhand in der Präsidentensuite ein und entwickelten ihr Debütalbum“.

Und wenn sie nicht gestorben sind… Soweit der Gründungs-Mythos des Sextetts, eine Legendenbildung aus dem Reich der Fantasie: Gefunden haben sich die MusikerInnen, die teils auch Schauspieler sind, tatsächlich in Leipzig. Das war so vor ein paar Jahren. Und fortan spielten sie glücklich miteinander, jüngst auch vielerorts live im Lande. „Es ist auf jeden Fall eine glückliche Fügung – ich glaube insgesamt sind wir eine Band, die sich außergewöhnlich gut versteht“, so Sänger und Texter Julius Forster, seines Zeichens Musiker und Schauspieler.

Er war so etwas wie der Initiator. Und doch fügten sich märchengleiche Umstände in die Anfangsphase. Ein markanter Ort dabei: Das Badezimmer auf einer WG-Party. „Das war der einzige Ort, wo man rauchen durfte. Dort haben wir uns dann die ganze Zeit unsere musikalischen Vorlieben am Handy gezeigt, dazu Alkohol getrunken“, so Julius über das Beitrittsritual von Gitarrist Paul Pötsch. Die Band vereint nun sechs Köpfe mit unterschiedlichen Instrumenten und Erfahrungen, auch aus der Theatermusik. Mit dabei: Cellistin Paula Schieferecke, Geigerin Annegret Enderle und Kontrabassist Valentin Link sowie Schlagzeuger Paul-Jakob Dinkelacker.

Was machen die? Wunderbar akustisch geprägte Deutsch-Pop-Chansons, gerne auch mal mit kleinen Post-Punk-Überfällen inszeniert oder mit Horn garniert, dazu gibt’s hier und da wohl temperiertes Klavier an Akustikgitarre, wiederum ab und an gepiekt von Effektgeräten.
Julius durchdringt die teils vielschichtigen Arrangements mit seiner sonor-markanten Stimme, die – ja, es wirkt mancherorts eben etwas so – an Rio Reiser erinnert. Wen’s an dieser Stelle interessiert, das Box-Set „Blackbox“ von Rio vereint phänomenal sein Schaffen.

Und doch intoniert Julius wieder ganz anders salopp, eigenständig seine selbst geschriebene Lyrik. Themen wie Alltagsbewältigung, Sehnsüchte, oder Wohlstandspickel auf der Seele wohnen in seinem Wort-Reich und formen dort den Wort-Schatz. Da will zum Beispiel einer ständig nur gefallen. Und tut sich selbst überhaupt keinen damit. „Deutsch ist die Sprache, in der ich mich am besten ausdrücken kann. Mir ist es dabei sehr wichtig genau zu sein oder sprachlich Bilder zu schaffen, die vielleicht einen emotionalen Zustand eher übersetzen als ihn nur 1:1 bebildern.“

Blenden wir kurz rüber zum Inspirations-Pool. Neben Chet Baker, Hildegard Knef oder den Beatles taucht da auch eine gewisse deutsche Band auf, die einst mit englischen Texten angefangen, das aber dann 1991 mit ihrem wunderbaren Album „Damals hinterm Mond“ hinter sich gelassen hat. Das Deutsch-Debüt von EOC gewann 1991 das Goldene Ohr von AUDIO und Sven nahm es damals höchstselbst in Stuttgart feierlich entgegen.

Und da, wo Sven textlich scheinbar banal bemerkt: „… aus dem Freibad kommen die, die nicht ertrunken sind…“ hält Julius süffisant entgegen: „… Und auch der Tag geht vorbei, mit verbrannter Zunge schlürfe ich am Einheitsbrei …“

Ja, die Songs von EOC, die ich bei Treffen mit Sven plus Band und im Can-Studio Weilerswist erleben durfte, erinnern teils an die von Hotel Rimini. Aber wie erwähnt: dann auch wieder gar nicht. Und das ist gut so.

Die Musik von Hotel Rimini „Allein unter Möbeln“:

Vorneweg: Der Klangabteilung gebührt großes Lob, das Album glänzt mit Farbstimmigkeit, Dynamik, Auflösung und Detailreichtum. Kompliment. Und auch die vielen kleinen Sounddetails verzücken, fein eingewoben entdeckt man sie erst nach mehrmaligem Hören. Und diesem Sog erliegt man einfach.

Produziert hat Sascha Hünermund. Man mag sich. Sehr. „Wir sehr mag ich diese Band?! Nicht nur dass sie allesamt wunderbare Menschen sind, sie sind definitiv auch eine meine absoluten Lieblingsbands! Und es war mir ein große Freude ihr Debutalbum zu produzieren“, so Sascha auf Social Media.
Auch für Mixing und Mastering hatten die Hoteliers ein glückliches Händchen, mit Johannes Ziemann und Markus Abendroth. Beim Song Arbeit und Struktur war auch Helge Hasselberg (Band Trümmer) beteiligt.
Songs wie „Kalter Kaffee“ sind nah an „Weißes Papier“ von Element of Crime gebrüht. Doch dann entfalten sich andere Assoziationen, zu den drängend-minimalistischen Rhythmen von Radiohead („Gespenster“) oder zu einem Schuss Reinhard Mey („Granola“). Und die akustisch geprägten Arrangements sowie das Gespür für helle Melodien entwickeln einen sympathischen, eigenwilligen Flow, der sich durch das gesamte Album zieht.

Hotel Rimini „Allein Unter Möbeln“ Cover
Hotel Rimini mit „Allein unter Möbeln“ erscheint bei Listen Collective als CD oder LP sowie als Stream oder Download, z.B. auf amazon.de

Insofern: Ein sehr gelungenes Debüt, das wahnsinnig Lust auf Mehr macht. Da Julius & Co bereits an neuen Songs schreiben, werden wir wohl noch einiges von den Hoteliers hören. Viel Spaß schonmal beim Check-In von „Allein unter Möbeln.“
Claus Dick

Die sechs haben einige illustre bis gewitzte Videoclips gedreht, beinahe zehn. Hier eines davon:

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Bewertung

Hotel Rimini „Allein unter Möbeln“
2023/12
Test-Ergebnis: 4,5
ÜBERRAGEND
Bewertungen
Musik
Klang
Repertoirewert

Gesamt

 

Autor: Claus Dick

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Musikfachmann seit Jahrzehnten, aber immer auch HiFi-Fan. Er findet zielsicher die best-klingenden Aufnahmen, die besten Remasterings und macht immer gern die Reportagen vor Ort.