Es lebe der Cuba Son: Ry Cooder knöpfte sich nochmal die Originalbänder von Ibrahim Ferrers Meisterwerk „Buenos Hermanos“ von 2003 vor – der Gitarrist und Produzent remasterte und ergänzte das Grammy-Album um vier hüftschwingende großartige Stücke. Ein Glücksgriff. Ibrahim Ferrer Buenos Hermanos (Special Edition) ist das LowBeats Album der Woche.
Es klingt wie der amerikanische Traum auf Kubanisch: 1996 stand ein gewisser Juan de Marcos González Cárdenas bei Ibrahim Ferrer vor der Tür und fragte den Mann im reifen Alter von beinahe 70 Lenzen, ob er nicht dabei sein und mit ihm ein Album aufnehmen wolle. Zu dieser Zeit arbeitete der ehemalige Sänger und (Straßen-)Musiker Ferrer als Schuhputzer und stand, noch schmutzig von der Arbeit, vor dem Bandleader der Afro-Cuban All Stars. Die beiden gingen schnurstracks ins Studio, in dem die Musiker Compay Segundo, Rubén González – und Ry Cooder warteten. Das Märchen nahm seinen Lauf, das famose Album des Buena Vista Social Club, produziert von Cooder, erschien ein Jahr darauf und erhielt Grammy-Ehren.
Als Waise war der kleine Ibrahim schon früh auf sich selbst gestellt und schlug sich als Zeitungsverkäufer, Schuhputzer – und Straßenmusiker durch, der mit „Jóvenes del Son“ sogar seine eigene Band gründete. Von 1953 bis Anfang der 90er spielte er insel-auf und abwärts und wurde zumindest auf Kuba ein bisschen berühmt.
Der Rest ist Musikgeschichte, das Album des Buena Vista Social Club erlangte Weltruhm, die Story verfilmte zudem Wim Wenders (siehe Videolink am Ende des Textes). Das Schicksal war Ferrer weiterhin gewogen und verhalf ihm 2003 zu einem weiteren verdienten Erfolg. Sein Solowerk Buenos Hermanos sollte als bestes traditionelles Latin-Album die letzten Jahre seines Lebens beglücken, das am 6. August 2005 in Havanna erlosch. Buenos Hermanos strahlt als weitere Perle in der Reihe glückseliger Cuba-Son-Alben à la Buena Vista Social Club.
Produzent und Gitarren-As Ry Cooder knöpfte sich jüngst nochmals die Masterbänder vor, ergänzte das Album um vier Songs, mischte die Stücke neu ab und versah das Ganze mit frischem Artwork. Es ist besser denn je, wenn ich das sagen darf“, kommentiert Ry die neuen Mixe. „Wir sind noch einmal in die Session-Tapes gegangen und haben Songs gefunden, die aus irgendeinem Grund übersehen wurden, und du wirst genauso begeistert sein wie ich. Wir haben es aufpoliert und verbessert und erweitert, es klingt fast brandneu. Eines ist sicher: Wir brauchen etwas Gutes, etwas Schönes in diesen Tagen und Zeiten“, so ein schwärmerischer Cooder.
Neu ist auch das Artwork, das ein alternatives Foto des Album-Shootings von Fotografin Christien Jaspars vereint. Die verschiedenen Formate (siehe Textende) beinhalten die englischen und spanischen Texte nebst einem neuen Vorwort von Ry Cooder.
Faszinierend wie Sänger Ferrer, der Meister romantischer Balladen und des Boleros, souverän auch die vier zusätzlichen, sehr eigenständigen Stücke aus den alten Sessions intoniert und so den traditionellen Cuba Son ins 21. Jahrhundert beamt. Natürlich nicht ohne das handverlesene Ensemble mit den Musikern Orlando ‚Cachaito’ López am Bass, Manuel Galbàn (E-Girtarre, Klavier und Orgel), Chucho Valdés am Klavier, Miguel ‚Angá’ Diaz (Congas) sowie Ry Cooder an der Gitarre. Nicht zu vergessen Flaco Jimenez mit seinen gerne verspielten Akkordeontönen, Trompeter Jon Hassell und die Blind Boys of Alabama, die einigen Songs gehörige Gospel-Power einhauchen.
Übrigens war Ry Cooder die letzten beiden Dekaden selbstredend auch solo aktiv, zum Beispiel mit seinem hervorragenden jüngsten Werk The Prodigal Son von 2019.
Die Musik von Ibrahim Ferrer Buenos Hermanos
Das Album becirct nun mit 17 anstelle der bisherigen 14 Stücke – hier ein paar Highlights und die vier neuen Songs. Das Klangbild strahlt übrigens beeindruckend raumgreifend, fein aufgelöst und mit leuchtenden, authentischen Farben.
„Boquiñeñe“ wärmt als Opener schon mal sanft auf, mit dezenten Klavieranschlägen und Ferrers kraftvoller Stimme; ab Laufzeit 2:30 gibt’s sogar eine kleine Jodeleinlage. „La Música Cubana“ macht seinem Namen alle Ehre – mit einem knallig-kraftstrotzenden Piano-Intro sprühender Percussion nebst einem genüsslichen Groove. Schön: das pikante Piano-Solo mit glasklaren Anschlägen. Auch „Boliviana“ macht mächtig an mit quirligem Piano, das hier und da pointiert stolpert und von einem kleinen Chor umrahmt wird, hell intoniert wie die karibische Sonne. „Me Voy Pa Sibanicú“, einer der vier „neuen“ Songs, wärmt im charmanten „Guaracha“-Rhythmus die Herzen, einem dem Son verwandten, humorvoll-satirischen Stil, der häufig in den Straßen von Ibrahim Ferrers Heimatstadt Santiago de Cuba durch die Straßen schallt. Markenzeichen: schnell, mit einem zackigen Chor und einer schraddelig-coolen Gitarre.
„Ojos Malvados“ („Böse Augen“), ebenfalls ein Albumdebüt, stammt von Cristina Saladrigas, einer der wenigen Frauen der traditionellen kubanischen „Trova“-Wandermusikerbewegung. Wir hören einen eleganten Bolero mit gediegen-unaufgeregten Stimmen. Mit „Guaguancó Callejero“ geht mächtig die Post ab: Trompeten funkeln und durchleuchten die Rhythmen quirliger Klaviereskapaden; eine peppige Angelegenheit im lustig arrangierten, mehrstimmigen Bandfieber … ojojoojooooo … „Como El Arrullo De Palma“ lädt zum gechillten Mojito-Sundowner ein. Mit hüpfendem Rhythmus, einem hell verspielten Piano, einer kindlich wirkenden Orgel und einem seidig-wärmenden Akkordeon.
„Mujer“, Nummer drei der vier frisch hinzu gekommenen Songs, bewegt das Gemüt als berühmter Bolero, komponiert vom Mexikaner Agustín Lara: E-Gitarre und Bass-Intro, sehr gemächlich arrangiert, eine sanfte Ballade mit einer facettenreichen Stimme Ferrers. „Ven Conmigo Guajira“ rundet das Neulings-Song-Quartett ab und stammt aus der Feder von Francisco ‚Machito’ Grillo. Das Stück betört mit einer beinahe schon unverschämt hochprozentigen Kuba-Romantik. „Wir müssen verrückt gewesen sein, das wegzulassen“, so Cooder. „Das ist die beste Version des Songs, die ich je gehört habe.“ „Fuiste Cruel“ schließlich frönt dem Slow-Motion-Jazz, mit zärtlicher Trompete nebst Solo und sanft getupftem Piano.
Für Ry Cooder galt Ibrahim Ferrer als ein Großer des Son. Er sieht Ferrer ohne Zögern auf eine Ebene mit historischen Helden der kubanischen Musik wie Benny Moré. Und da hat er wohl recht: Solch einer unglaublichen Magie wie der rhythmischen Kraft und lebendigen Energie dieses Albums dürfte sich kaum einer entziehen können.
„Das sind Lieder, bei denen ich mich jünger fühle“, so Ibrahim Ferrer einst. „Ich habe meine tiefsten Gefühle in sie hineingelegt und es ist meine Art, meinen Zuhörern etwas zurückzugeben und ihnen für ihre Unterstützung zu danken. Ich genieße das Gefühl, dass in dem, was ich singe, etwas steckt.“
Gracias, Ibrahim. Thanx, Ry.
Ibrahim Ferrer | 2020/02 |
ÜBERRAGEND |
Bewertungen
MusikKlangRepertoirewertGesamt |
Für frisch gebliebene Kuba-Nostalgiker und Fans des Son: ein Interview mit Ry Cooder und Wim Wenders aus dem Jahr 1999 zum Filmprojekt „Buena Vista Social Club“