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Ry Cooder The Prodigal Son
Der Altmeister gibt sich wieder die Ehre: Ry Cooder The Prodigal Son ist die LowBeats CD- der Woche (Foto: J. Cooder)

Ry Cooder The Prodigal Son – CD der Woche 21

Es gibt Gitarristen, die die Musikwelt beflügel(ten) und prägen. Ry Cooder ist so einer. Einer, der das zudem recht unspektakulär und souverän macht. Schon mit 15 Lenzen zupfte der heute 71-Jährige nicht nur Saiten, sondern entlockte seiner Gitarre mit dem Bottleneck diesen typisch spacigen Sound. Ryland Peter Cooder gab sich fortan dem betörenden Slide-Gitarrenklang hin, und zwar so formidabel, dass ihn der „Rolling Stone“ vor sieben Jahren unter das erste Drittel der besten Gitarristen aller Zeiten wählte. Dieser Mann nahm nun ein neues Album auf: Ry Cooder The Prodigal Son.

Als einer der Gründungsmitglieder der Rising Sons kollaborierte er dann Mitte der 60er Jahre mit dem Blues-Ass Taj Mahal. Stilistisch erweiterte er seinen musikalischen Horizont stets – Folk, Calypso, Country, Jazz, südamerikanische Rhythmen oder Gospel standen auf seiner persönlichen Genre-Liste immer mal gleichrangig, wie zum Beispiel 1976 mit einem Cover von „Stand By Me“ (Album Chicken Music) mit dem Akkordeonisten Flaco Jiménez.

Ein Welt-Musiker, der afrikanische, indische oder Latino-Kollaborationen mit Künstlern wie Ali Farka Touré, Vishwa Mohan Bhatt – oder mit dem famosen Buena Vista Social Club hervorbrachte: 1996 erarbeitete er so mit dem kubanischen Sänger, Arrangeur und Produzenten Juan de Marcos Gonzalez das wohl erfolgreichste Album der Kategorie Weltmusik.

Ry Cooder The Prodigal Son
Gestatten Cooder, Ry Cooder. Produzent, Arrangeur und Komponist einiger der erfolgreichsten Alben der Musikgeschichte und Hauptakteur der LowBeats CD der Kalenderwoche 20  (Foto: J. Cooder)

Eric Clapton, Bob Dylan, Van Morrison, Randy Newman, John Lee Hooker, die Rolling Stones („Love In Vain“): Cooder arbeitete mit seinen Promikollegen auch als hoch geschätzter Studiomusiker. „Ich muss meinen Hut vor Ry Cooder ziehen. Er zeigte mir wie man die Offene G-Stimmung spielt.“ Das sagte voller Bewunderung kein Geringerer als Keith Richards. Temporär spielte er zudem mit John Hiatt, Jim Keltner und Nick Lowe als Band Little Village ein Album ein.

Zu den langjährigen Weggefährten seiner beeindruckend kreativen Karriere zählen so einige, darunter „Rolling-Stone“-Top-100-Drummer Jim Keltner (John Lennon, Ringo Starr, Tom Petty, Bob Dylan, Steely Dan) oder Pianist Jim Dickinson – ein Teamwork, das den fantastischen und poetischen Soundtrack zu Wim Wenders epischem Filmdrama Paris, Texas musikalisch reduziert und ungemein feinfühlig formte.

Hier dürfen wir natürlich David Lindley (Jackson Browne) – nicht vergessen, der diesen Soundtrack mit bestritt und mit Cooder auch die Musik zu dem Western The Long Riders einspielte. Insgesamt über zwanzigmal stellte sich Cooder in den Dienst der bewegten Leinwandbilder. Der Gitarrist und Sänger zieht aber auch schon mal andere Saiten auf – mit Mandoline oder Saz.

An dieser Stelle sei noch das wunderbare – letzte – Musikwerk von Harry Dean Stanton erwähnt, der 1984 in Paris, Texas den Travis spielte und letztes Jahr verstarb: Partly Fiction von 2014 glänzt auf dem Niveau von Johnny Cashs Reife-Saga American Recordings der Jahrtausend-Wende.

Wenders sollte auch später ein seelenverwandter cineastischer Bruder Cooders im Geiste bleiben: Mit seinem formidablen Film über den Buena Vista Social Club aus dem Jahr 1999. Schließlich schrieb Cooder auch tontechnisch Geschichte: HiFi-Fans dürften sich gerne an sein 79er Album Bop Till You Drop erinnern, das als Rock-Pionierwerk der digitalen Tonaufzeichnung gilt.

Sein neues Album Ry Cooder The Prodigal Son führt den umtriebigen Musiker vom Bolero oder Afrosound zurück zu seinen musikalischen Wurzeln, die als Vorbild für neu arrangierte Songs alter Hasen dient. Und was für welche. Cooder stöberte auf dem Dachboden der Musikgeschichte routiniert im reichen Fundus der amerikanischen Musik der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts, als Blues, Folk, Bluegrass und Gospel die Szenerie prägten – mit Größen wie den Pilgrim Travelers, The Stanley Brothers oder Blind Willie Johnson.

Schon immer engagierte sich der Kalifornier zudem auch politisch, zum Beispiel beim „No-Nukes“-Konzert 1979 im New Yorker Madison Square Garden, unter anderem an der Seite von Kumpels wie Jackson Browne. Oder eben hier und jetzt, in dem er aufblühenden Rassismus, die Finanzkrise oder soziale Themen auf dem Plan hat – wie den dissozialen, auch bei uns nicht wirklich bekämpften Trend zur Gentrifizierung.

Ry Cooder The Prodigal Son zeigt so unverblümt auf unser teils verlogenes moralisches Handeln im psychologischen Sinne einer ausgeprägten kognitiven Dissonanz. Ein Soundtrack zur Gegenwart auf der Blaupause „alter“ Songs. Sein Motiv ist klar, Cooder möchte Politik und Wirtschaft mit dem persönlichen Leben verbinden. Einem Leben, das vielerorts von Übervorteilung und Unfreiheiten geprägt ist. Und mit seinen elf souverän geschriebenen oder neu interpretierten Songs so wunderbar erdig, kraftvoll oder auch fragil – und mitreißend klingt.

Die Musik von Ry Cooder The Prodigal Son

„Straight Street“, ein Erfolgs-Gospelsong der Pilgrim Travelers von 1950, illuminiert Cooder beinahe zärtlich mit Banjo und Mandoline, im Verlauf mit E-Gitarrentupfern und samtig federnder, farb- und grundtonreicher Stimme – wunderbar raumgreifend und tontechnisch luftig eingefangen. Das gesamte Album glänzt mit feinem, plastischem Raumempfinden, angenehmer Feindynamik, Impulsstärke und schöner Auflösung.

„Shrinking Man“ stampft und prustet dann als zackiger Country-Blues-Mix, angereichert mit harschen Gitarren.

„Gentrification“ beißt und kratzt mit sozialkritischen Texten angesichts der verantwortungslosen Unverantwortlichkeit von Politikern, die sehenden Auges ganze Schichten der Bevölkerung den teils inflationsartig hochgesetzten Mietforderungen aussetzen. Cooders wandlungsfähige, hier kehlige Stimme durchdringt das motizige Ensemble aus A- und E-Gitarren, Glocken, Kalimba und schrillen Pfiffen sonor.

„Everybody Ought To Treat A Stranger Right“ von Blind Willie Johnson betört mit Trommelwirbel-Intro, brummigen Vocals und einem erdig-bluesigem Chor.

Das Titelstück von Ry Cooder The Prodigal Son offeriert später für highfidele Ohren eine fein ziselierte Percussion-Abteilung (inszeniert von Sohnemann Joachim Cooder!), während Cooders Bottleneck-Arbeit das brodelnde Southern-Comfort-Ambiente bereichert.

In der Folge entzücken sphärisch-spacige Sounds, konterkariert von flirrenden Saiten-Sprüngen und eindringlichen Vocals („Nobody’s Fault But Mine“). „You Must Unload“ wiederum kommt als relaxter Country-Ausritt, den Bassist Robert Francis und Violinistin Aubrey Haynie akustisch schillernd bebildern.

Der Klassiker „I’ll Be Rested When The Roll Is Called“ von Blind Roosevelt Graves lebt durch Banjo, Mandoline und Snare-Sounds als Marschmusik der Seele auf.

Auf Cooders Eigenkomposition „Jesus And Woody“ reflektiert er schließlich den Traum von einer besseren Welt ohne Faschismus und Ausbeutung. Hoffen wir mit ihm das Beste. Das Anhören von The Prodigal Son geht schonmal runter wie Sahne.

Ry Cooder The Prodigal Son
Ry Cooder The Prodigal Son (Cover: Amazon)

Ry Cooder The Prodigal Son erscheint bei Caroline (Universal) und ist erhältlich als CD, LP, MP3-Download oder Stream, z.B. bei amazon.de.

Ry Cooder The Prodigal Son
2018/05
Test-Ergebnis: 4,5
ÜBERRAGEND
Bewertungen
Musik
Klang
Repertoirewert

Geamt

Autor: Claus Dick

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Musikfachmann seit Jahrzehnten, aber immer auch HiFi-Fan. Er findet zielsicher die best-klingenden Aufnahmen, die besten Remasterings und macht immer gern die Reportagen vor Ort.