Der Komponist Clemens von Reusner (CvR) wandelt auf den Spuren von Karlheinz Stockhausen, zelebriert aber seine Stücke gleichermaßen modern wie hoch-spannend. Von Reusner sammelt Sounds, er komponiert elektronische Mehrkanalmusik und gibt ambitionierte akusmatische Konzerte – also im Dunkeln. Wir besuchten den Künstler in seiner wendländischen Wahlheimat und durften mehreren kleinen Konzerten beiwohnen. Bei der Gelegenheit gab er uns ein ausführliches Interview…
LowBeats: Du erschaffst als Komponist der Elektroakustik mehrdimensionale Klangwelten, die das Publikum schon mal in einem abgedunkelten Vorführraum von einem Datenträger als Quelle über mehrere Lautsprecher erleben kann. Was sind akusmatische Konzerte?
CvR: Der dunkle Raum und die Lautsprecheranordnung in Kreisform gehören schon lange zur Aufführungspraxis in der akusmatischen Musik.
LowBeats: Das Grundprinzip geht auf den griechischen Philosophen Pythagoras zurück, der zu seinen Schülern hinter einem Vorhang sprach, damit diese nicht abgelenkt werden sollten…?
CvR: Ja, Pythagoras war hinter einem Vorhang verborgen und in seinem Unterricht, so wird gesagt, sollte man nur die Stimme hören. Die akusmatische Musik hat sich das dann mit einem dunklen Saal zu Eigen gemacht und meint damit eine Situation reinen Hörens. Die meisten Leute haben im Konzert sowieso häufig die Augen zu. Und tatsächlich ist es schon toll, wenn man nicht durch visuelle Eindrücke abgelenkt wird. Heutzutage ist ja die Inszenierung auf der Bühne im Gegensatz dazu unglaublich wichtig, auch im klassischen Bereich. Aber in der Akusmatik bist du mit dir und dem Klang alleine und hast Raum für eigene innere Bilder.
LowBeats: Für Karl-Heinz Stockhausen als Pionier der elektronischen Musikerzeugung kommt im Bereich der Klangerzeugung noch ein weiterer essentieller „unsichtbarer“ Punkt hinzu…
CvR: … der besagt, dass wir möglichst unbelastet von unseren Wertungen und Einstellungen dem Klang zuhören sollten, wie er sich entwickelt. Für Stockhausen war es wichtig, dass die ‚elektronische Musik“’ – wie sie damals noch genannt wurde, möglichst assoziationsfrei ist. In der Dunkelheit im Konzert gibt es zudem ja keinen Aufschluss über die Klangquelle, keine klangerzeugende Geste und vielen Klängen kann man ihren Ursprung auch nicht mehr anhören.
LowBeats: In diesem realen, verdunkelten Raum gestalten ja dann die meist digital elektronisch erzeugten Klänge die Raumdimension in Tiefe, Breite – und in optimaler Ausprägung auch in der Höhe, also in 3D, und ziehen so Zuhörer in ihren Bann …
CvR: Der durch die Lautsprecher erzeugte Raum geht ja über den realen Raum weit hinaus. Dass ein Wechselspiel der Klänge Raumwirkung erzeugt, ist übrigens eine Idee, die es schon seit der Renaissance gibt, zum Beispiel in der „venezianischen Schule“ von Claudio Monteverdi. Es gab in der Kirche zwei Chöre oder zwei Orgeln und man hat schon damals mit dieser Aufstellung diesen Effekt erzeugt. Es liegt also nicht an unserer modernen Technik, gedanklich ist das alles schon viel älter und wir können das heute viel einfacher nutzen. Deshalb ist es stets ein Thema meiner Einführungen bei den akusmatischen Konzerten, wo ich versuche, diese Brücke herzustellen. Es ist für mich aber nicht die Elektroakustik oder eine Frage der Technik – es geht um die Frage des Stils und die Formulierung einer ästhetischen Position.
LowBeats: Du führst Konzerte beinahe rund um den Globus auf – eignen sich denn die verschiedenen Aufführungsorte technisch für die Wiedergabe mehrkanaliger, dreidimensionaler Kompositionen?
CvR: Es gibt nur wenige Aufführungsorte, an denen man das perfekt abspielen könnte, wo es also Lautsprecher auch über dem Publikum gibt. Deshalb habe ich mich entschlossen meist in der Fläche zu arbeiten, also alle Lautsprecher auf einer Höhe, obwohl in der Komposition auch Höhenparameter vorkommen. Auch dabei entsteht ein erstaunlich guter Raumeindruck, da sich Klänge auch um Dich herumbewegen.
LowBeats: Ist denn diese „Fläche“ dann kein limitierender Faktor?
CvR: Nein, das habe ich so noch nicht empfunden. Unsere Hörerfahrung ist ja meist eine horizontale mit zwei Lautsprechern. Und mit 4 oder 8 Lautsprechern, die im Konzert um das Publikum herum aufgebaut sind, lassen sich Raumeindrücke und Klangbewegungen schon gut vermitteln. Durch bestimmte Filtervorgänge bei der Klangkomposition oder bei der Mischung lässt sich der Eindruck von Höhe herstellen und zudem arbeite ich mit Entfernungsparametern, die über den Lautsprecherkreis hinausgehen. Meine Stimme klingt ja in ein oder zwei Metern Entfernung anders, als wenn ich 50 Meter weit weg wäre. Dann sind bestimmte Frequenzen abgeschwächt. Beim Komponieren helfen auch spezielle Tools, mit denen man Klänge im Raum positionieren kann.
LowBeats: Gehen wir doch kurz zu diesen Schallquellen in Deinem Homestudio, wie hörst Du Deine Kompositionsschritte ab?
CvR: Ich sitze inmitten von acht Lautsprechern, die im Kreis angeordnet sind.
LowBeats: … die sind als Nahfeldmonitore installiert…?
CvR: Ja, der Durchmesser des Kreises beträgt drei Meter. Es sind die aktiven 2-Wege-Monitore Genelec 8330 mit Subwoofer 7350. Sie sind untereinander vernetzt und ich kann dabei mit einem zentralen Regler die Lautstärke verändern. Zudem lassen sie sich auf den Raum einmessen. Und zu den Messpunkten, die die Software vorschlägt, lassen sich noch eigene setzen, weil man die Frequenzverläufe jedes einzelnen Lautsprechers anschauen kann. Das ist sehr praktisch.
Ich arbeite zudem mit Ambisonic. Das hat den Vorteil, dass man zwei Prozesse in der Produktion hat: Du machst eine Komposition und encodierst sie in das sogenannte „B-Format“, danach kann sie auf verschiedene Lautsprecher-Set-ups decodiert werden. Vom „B-Format“ kann ich auf 8.0, auf 5.1, 4.0 oder auf 2.0 und sogar binaurale Wiedergabe decodieren. Und wenn Veranstalter mitunter anfragen, ob eine Aufführung auch mit vier Lautsprechern möglich wäre, dann kann ich eine 4.0-Version herstellen. Auf den SACDs gibt es dann Stereo- und 5.0 Versionen.
LowBeats: Arbeitest Du auch mit Kopfhörern?
CvR: Ganz wenig. Ich brauche beim Komponieren die Kontrolle über den Raum, innerhalb meiner 8 Lautsprecher. In diesem Raum sind die einzelnen Klänge auf individuellen Bewegungspfaden quasi als räumliche Kontrapunkte unterwegs. Außerdem kann ein Kopfhörer einen Subwoofer nicht wirklich ersetzen. Kopfhörer kommen aber zum Einsatz, wenn es an die Feinarbeit geht: Editing, Entfernen von Störgeräuschen, Rauschen, Schneiden, etc. Zudem produziere ich auch achtkanalige Sounds. Und die kann ich dann sowieso nur mit den Lautsprechern anhören.
Dennoch habe ich Kopfhörer schon immer geschätzt. Meine Kopfhörerzeit war stark gekoppelt an das was ich früher gehört habe im Popbereich, Pink Floyd oder die frühen Genesis. Es hörte sich über Kopfhörer einfach besser an, man war näher dran Musikgeschehen.
LowBeats: Du hast beim Studio-Ass Günter Pauler und Toningenieur Hans-Jörg Maucksch Mehrkanal-SACDs mastern lassen – wie wichtig ist hochauflösende Musik für Dich?
CvR: Im Studio arbeite ich mit 48 kHz und 32 Bit, um mögliche Verluste klein zu halten. Das hängt aber auch mit meiner Arbeitsweise zusammen: Sagen wir, ich habe einen Klang A, den ich gut finde und deshalb mit diesem Prozess läuft. Dann entstehen Varianten, A1, A2 … A70 … Wenn es dann in die Komposition geht, entscheide ich zum Beispiel, drei Varianten zu verwenden. Und dazwischen darf kein Verlust entstehen, im Sinne Bit-Abschneidungen, Dithering…
LowBeats: Elektroakustik spielt keine Hauptrolle in der Musikbranche – wie affin sind denn hier Veranstalter und Auftraggeber, wie ausgeprägt ist das Verständnis dafür?
CvR: Hierzulande scheint mir das Interesse an reiner elektroakustischer Musik bei Festivals und im Rundfunk – wo diese ja einmal entstanden ist – eher gering zu sein, Es gibt jedoch große internationale Festivals, die Ausschreibungen für das Konzertprogramm machen, einen „call for works“. Dann schickt man seine Sachen ein und eine Jury entscheidet darüber, was gespielt wird. Und im besten Fall bekommt man dann eine Mail… wunderbar, Glückwunsch – eine Einladung zur Aufführung!
LowBeats: Dann Glückwunsch – denn ein wichtiges Festival findet jetzt (2021) mit den renommierten „Sommerlichen Musiktagen“ in Hitzacker statt. Dort wird Dein Werk „KRENE“ uraufgeführt. Wie kam es dazu?
CvR: Für Hitzacker hatte ich schon einmal einen Kompositionsauftrag. Den Intendanten Oliver Wille hatte ich zuvor im Rahmen eines anderen Kompositonsauftrages bei einem Künstlergespräch kennengelernt. Vor etwa zwei Jahren gab es dann eine Anfrage und ist so das Stück „draught“ entstanden. Inhaltlich ging es damals um die Klanglandschaft der Elbe zwischen Hitzacker und Dömitz – 30 Jahre nach dem Mauerfall. Die Uraufführung fand seinerzeit in dem historischen Karstadt-Kaufhaus in Dömitz statt. Im Jahr 2021 lautet das Motto der Musiktage „Schubert.JETZT“ und der Oliver Wille bat mich, in einem elektroakustischen Werk eine Verbindung zu Schubert herzustellen.
LowBeats: Und dann kam „KRENE“, griechisch „Quelle“ und nimmt elektroakustisch Bezug auf Franz Schuberts B-Dur-Sonate im Live-Dialog mit dem analogen Original am Klavier … Deine letzte SACD mit dem Titel „Ideale Landschaft“ vereint dagegen verschiedene Arbeiten aus einer Dekade – wir sind hier in der schönen Nemitzer Heide: ist das eine „ideale“ Landschaft?
CvR: Ja, die Nemitzer Heide ist auch eine von vielen idealen Landschaften, jedoch nicht in dem Sinn, um dem es auf meiner SACD „Ideale Landschaft geht. Das Landschaftsthema ist eines, das mich schon länger beschäftigt. In der akustischen Ökologie gibt es den Begriff der „Klanglandschaft“ (soundscape), der von dem kanadischen Komponisten und Klangforscher Murray Schafer in den 1970er Jahren geprägt wurde. Und in der Bildenden Kunst gibt es den Begriff der „Idealen Landschaft“ in der Landschaftsmalerei besonders des 17. und 18. Jahrhunderts. Das sind alles konstruierte Landschaften.
Sie sind nicht wirklich. Von Goethe gibt es dazu einen Satz, dass sie zwar nicht wirklich sind – aber „die höchste Wahrheit“ besitzen. Es gibt es bestimmte Elemente, die in diesen Landschaften oft vorkommen. Wasser ist oft präsent, ebenso wie Hügel und Bergwelten und Vergänglichkeit – oft als Ruinen dargestellt. Auf diesem Album gibt es all diese Dinge. Das Thema Vergänglichkeit spiegelt sich zum Beispiel gut im Stück „Rückbau“, in dem technische Anlagen im Mittelpunkt stehen, die einmal errichtet wurden und die wieder verschwinden.
LowBeats: Hörst Du als Komponist viel Musik?
CvR: Für mich höre ich kaum Musik …
LowBeats: Jemand, der komponiert und ein ausgesprochener Freund von Musik ist, hört gar nicht viel Musik…?
CvR: Ja, einfach weil meine Hörkapazität begrenzt ist. Wenn ich stundenlang im Studio arbeite, reicht mir das, danach möchte ich meine Ohren ausruhen lassen. Doch wenn ich Musik höre, dann ist alte Musik wie neue zeitgenössische Musik ebenso dabei, wie die Oper und der Jazz und auch manches aus der Pop-Musik.
LowBeats: Du hast studiert – Schlagzeug, Musikpädagogik und Musikwissenschaft. Wann ist der Entschluss zu diesem Mix gereift?
CvR: Ich weiß es nicht genau, das geht ja nicht von heute auf morgen. Es ist eher so, dass zunächst viele Dinge im Kopf sind, die du gerne machen möchtest, und du dich dann fokussierst.
LowBeats: Welche Instrumente haben Dich zu Beginn begleitet?
CvR: Am Anfang war das Schlagzeug und mein erster Synthesizer, vom Tanzmusikgeld erworben, war ein ARP-Odyssey, das war 1978. Es gab damals die Moog-Synthesizer und die ARP-Synthesizer, die noch bezahlbar waren. Der ARP-Odyssey war immerhin schon zweistimmig. Ein Freund hat das Gerät dann zusätzlich für mich modifiziert.
LowBeats: Welche Lehrer oder Vorbilder haben Dich geprägt?
CvR: Die Schlagzeuger Peter Giger und Abbey Rader sowie Hermann Fuchs, akademischer Musikdirektor, waren sehr wichtig. Hermann Fuchs war eine Koryphäe in Harmonielehre und Kontrapunkt, auch im Spielen vom Blatt in mehreren C-Schlüsseln. Und im Durchdenken von musikalischen Strukturen. Er ist mir bis heute im Gedächtnis mit seiner Anschauung, die besagt: Wenn wir uns musikalische Kompositionen angucken, selbst eine einfache Melodie, wirken darin Kräfte, die sich entwickeln wollen.
Und es geht darum, diese Kräfte wahrzunehmen und in der Komposition zu fragen: was kann als Nächstes passieren? Wenn ich hier eine Ansammlung an Energie habe, dann muss die sich irgendwann wieder auflösen. Wie tut sie das? Schnell, langsam, wohin tut sie das? Das sind Fragen, die ich mir andauernd stelle bei einer Komposition. Was ist der nächste Schritt? Dabei kann es auch vorkommen, dass ich sage, nein – ich mache hier einen harten Bruch. Also beides ist gut und möglich.
Es handelt sich weniger um Technik, als um Stil und das hat damit zu tun, wie sich ein Stil gebildet hat. Das fasziniert mich auch bei Werken von anderen: Wenn ich merke, aha, da gibt es plötzlich eine vertikale oder horizontale Dichte – und die löst sich so und so auf und führt wieder ganz woanders hin …
LowBeats: Hat diese Herangehensweise auch mit Deinem Werk „KRENE“, das sich mit Schubert beschäftigt, zu tun?
CvR: Ja, Das ist etwas, was man bei Schubert findet Es gibt immer wieder überraschende Wendungen. Und dann kommt an einer Stelle etwas, womit du überhaupt nicht gerechnet hast. Das sind Anknüpfungspunkte und insofern bestimmen solche Erfahrungen das musikalische Denken.
LowBeats: Welche Musiker-KollegInnen schätzt Du?
CvR: Es gibt für mich Referenzstücke wie Stockhausens „elektronische Studie II“. Das dauert zwar nur knapp drei Minuten, ist aber nach wie vor ein ganz großartiges Werk. György Ligetis „Artikulation“ schätze ich ebenso wie Werke von Gottfried Michael Koenig, Trevor Wishart, Hiromi Ishii, Horacio Vaggione, Savannah Agger, oder auch Asmus Tietchens aus Hamburg, den ich sehr gerne höre.
LowBeats: Du hast auch eine Musiksoftware entwickelt, die Musik grafisch antizipiert…
CvR: Ja, übrigens brachten mich die beiden genannten Werke von Ligeti und Stockhausen auf die Idee die „Kandinsky Musik Painter“ Software zu entwickeln. Es ist eine Errungenschaft der Musik des 20. Jahrhunderts, dass sie neben dem Notentext noch andere, wie eben grafische Notenmutationsformen entwickelt. Es gibt von Ligetis „Artikulation“ eine großartige Hörpartitur, die nachträglich angefertigt wurde von Rainer Wehinger. Und der hat diese komplexe Komposition nach Ligetis Produktionsnotizen farbig visualisiert und Lautsprecherzuordnungen markiert. Aber auch Frequenzen und Arten von Klängen. Man sitzt da wie vor einem offenen Buch – ganz großartig. Ich dachte, so etwas möchtest du als Werkzeug haben. Und damals kamen die ersten bezahlbaren Heim-Computer mit denen man arbeiten konnte…
LowBeats: …Atari lässt grüßen. Das war Ende der 80er Jahre…
CvR: Ich habe dann mit meinem Freund Frank Rein den „Kandinsky Musik Painter“ entwickelt. Die einfache Idee darin: wir haben grafische Werkzeuge, die man kennt: Sprühflasche, Linie usw. – und jedes Pixel wird dann in MIDI-Steuerdaten für elektronische Klangerzeugung umgesetzt.
LowBeats: Hast du das Programm weiterentwickelt?
CvR: Nein – das Problem damals war, dass Atari vom Markt verschwand. Und wir es nicht geschafft haben, eine größere Firma so dafür zu interessieren, dass wir das Programm auf neue Füße stellen konnten – also den Code umschreiben und auf eine andere Plattform (PC, MAC) portieren. Ich selbst arbeite noch gelegentlich damit und bekomme auch immer noch Mails, in denen nach dem Programm gefragt wird.
LowBeats: Und das war’s dann gewesen mit dem „Painter“…?
CvR: Bislang ja. Die Zeitschrift Keys hatte es seinerzeit in einer abgespeckten Version als Diskettenbeilage veröffentlicht. Diese Version ist immer noch im Internet zu finden genauso wie ein ATARI-Emulator mit Namen STEEM der auf PCs läuft. Dazu eine kleine Anekdote: Bei einem Konzert in New York traf ich einen Kollegen, den Komponisten Gerald Eckert. Er führte ein Stück für Elektronik und Pikkoloflöte auf, seine Frau Beatrix Wagner war die Solistin. Nach der Aufführung stehen wir dann neben der Bühne und er sagt: „Übrigens, das habe ich mit deinem Programm gemacht“. Ich sage: „Was?“ Er: Ja, das ist fast 30 Jahre her, als ich noch studiert habe. Unser damaliger Professor hat uns mit dem Programm bekannt gemacht…“ Es war eben eine ganz andere Art, um musikalische Strukturen zu organisieren. Und die adaptierte teilweise übrigens auch die junge Techno-Szene. Denn mit diesen Sprühdosen oder mit Sinuskurven, die du auflöst und auch überlagerst, lassen sich repetitive Sachen machen.
LowBeats: Woher kommt denn die Inspiration, die Impulse beim Komponieren?
CvR: Das ist sehr unterschiedlich, manchmal sind es zufällige Begebenheiten: Eine Bekannte erzählte mir zum Beispiel, dass ihr Mann in einem Institut für Strömungsmaschinen arbeitet. Dann konnte ich in diesem Institut Tonaufnahmen machen, in einer großen Halle mit Strömungsmaschinen – dazu zählt übrigens alles vom Föhn bis zur Flugzeugturbine. Die Lautstärke in der Versuchshalle war unbeschreiblich, alle trugen einen Gehörschutz. Also mussten Kontaktmikrofone ran, um den reinen Sound einzufangen. Dann merkte ich: so rein ist der Sound gar nicht. Da gibt es Störungen. Da gibt es plötzlich Schläge. Das sind zum Beispiel Verdichtungen oder Luftblasen im Strom, so genannte Kavitationen, von Lateinisch Höhle, die sich auf diese Weise rhythmisch äußern. Und so war die Erzählung dieser Bekannten Impuls genug, der Sache nachzugehen – entstanden ist eine einstündige achtkanalige Komposition mit dem Titel „Continous Flow Machines“.
In meiner Komposition „morgue“ für den Hessischen Rundfunk war ein früher Gedichtzyklus von Gottfried Benn der Ausgangspunkt für eine elektroakustische Reflexion von Sprache und Sprachklang und „topos concrete“ geht zurück auf das Ausfegen einer Garage…
LowBeats: Also willst Du wahrscheinlich auch nichts bebildern?
CvR: Nein. Wenn ich mich auf ein Bild beziehe, wie auf die Arbeit eines Künstlers wie Ernst von Hopffgarten, geht es eher um eine Struktur. Ich zeichne dann nichts nach oder ich mache da keine programmatische Musik daraus. Jede Komposition ist für mich ein Klangort. Wenn andere sich da auch aufhalten mögen, freue ich mich. Wenn nicht, ist das auch ok. Und ich gestalte diesen Ort so, dass ich da gerne bin, dass er für mich stimmig ist und das dauert manchmal sehr lang, bis ich spüre, dass er stimmt.
LowBeats: Wo siehst Du Dich in der musikalischen Landschaft verortet in puncto Stil, Historie und Vorbilder? Bei Elektronik-Musikern wie Kraftwerk…?
CvR: Da sehe ich mich nicht wirklich. In der Begrifflichkeit der GEMA ist das, was ich mache keine elektronische, sondern elektroakustische Musik, also sogenannte „E-Musik“. Bei Kraftwerk gibt es zudem einen starken performativen Aspekt. Kraftwerk ohne das Licht, ohne die Kostüme, ohne die Aktion auf der Bühne ist eigentlich nicht vorstellbar. Obwohl ich so ein tolles Stück wie damals „Autobahn“ immer noch sehr gerne höre. Und auch eine takt-metrisch gegliederte Zeit spielt in meinen Arbeiten nur selten eine Rolle. Näher als Kraftwerk sind mir neben den schon genannten auch Komponisten wie z.B. John Chowning.
LowBeats: Also steht wie eingangs besprochen, die Akustik absolut im Vordergrund …
CvR: Ja. Werke, die mit Bühnenauftritten kombiniert sind, sind eher die Ausnahme, wie die Komposition „AECHOME“ für Cello, Altquerflöte und Elektronik. Es ist für die schon erwähnten Gerald Eckert und Beatrix Wagner geschrieben und wurde übrigens auch in New York aufgeführt. Der Elektronikteil ist in Stereo vorproduziert. Es gibt eine Partitur und der Instrumentalpart muss synchron zum elektronischen Teil gespielt werden. Das ist nicht ganz einfach aber gang und gäbe in der Elektroakustik mit Instrumenten und Zuspiel.
LowBeats: Gibt es etwas, was Du bisher künstlerisch noch nicht realisiert hast?
CvR: Ich mag den zeitgenössischen Tanz und ich höre immer mal wieder von Leuten nach einem Konzert, dass in meiner Musik eine Art von Bewegung ist. Und ich kann mir gut vorstellen, in dieser Richtung einmal etwas zu machen.
LowBeats: Wie steht es denn um die analogen Klänge – Du spielst Jazz, quasi als Brücke zurück in die Zukunft?
CvR: Nur für mich privat, ja …
LowBeats: … mit Kumpels?
CvR: Ja, das ist toll! So, wie wir gerne spazieren gehen, machen wir auch einfach gerne Musik mit Instrumenten. Denn wir sind ja analoge Wesen. ;-)
LowBeats: Clemens von Reusner: Vielen Dank für das Gespräch.