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Kasabian
Der Frontmann und Sänger Tom Meighan ist weg und trotzdem legt Kasabian mit "The Alchemist's Euphoria" ein exzellentes Album vor. Unser Musiktipp der Woche! (Foto: N. Bedford)

Kasabian „The Alchemist’s Euphoria“ – das Album der Woche

Good news aus Leicester: Auch nach knapp zwanzig Jahren und auf dem mittlerweile siebten Album klingt der Electro-Rock von Kasabian noch so bissig und relevant wie zu Karrierebeginn. Zugleich beweisen die local heroes um Sergio Pizzorno, dass man den Abschied des langjährigen, 2020 ausgeschiedenen Sängers Tom Meighan gut verkraftet hat. Gründe genug also, warum Kasabian „The Alchemist’s Euphoria“ zu unserem aktuellen Album der Woche avancierte.

Um es gleich vorwegzusagen: Ich liebe diese Band einfach. Wann sich Kasabian in mein Herz gespielt haben, weiß ich dabei ehrlich gesagt gar nicht genau; noch nicht mit ihrem selbstbetitelten 2004er-Debüt jedenfalls. Aber spätestens seit 2009 und „West Ryder Pauper Lunatic Asylum“ rockt das Trio aus Leicester regelmäßig auf meinem musikalischen Radar und kreist in konstanter Flughöhe irgendwo zwischen Brit-Rock-Erneuerern wie den kurze Zeit großartigen, inzwischen längst wieder vergessenen Hard-Fi und den fast immer großartigen Foals (das jüngste, leider ziemlich nach Plastik-Pop müffelnde Album „Life Is Yours“ allerdings ausgeklammert) einerseits und Rave-Ikonen wie den Stone Roses oder Eletronica-Revoluzzern wie den Chemical Brothers andererseits.

Und auch heute kann ich der emotionalen, zugleich kantig-insulanischen Gangart von Sergio Pizzorno & Co. partout nicht widerstehen. Wer mit diesem Adjektiv-Trio nun nicht so richtig etwas anzufangen weiß, der kann sich eine Begegnung mit Kasabian in etwa so vorstellen: Da schusselt man bei seinem allerersten Großbritannien-Aufenthalt als orientierungsloser Tourist auf dem Weg zur U-Bahn fürchterlich tollpatschig einem Einheimischen in den Weg – und ebenjener entschuldigt sich seinerseits mit einem trockenen, leicht genervten „excuse me“. Und damit willkommen in der Rubrik „kulturelle Missverständnisse“, denn dieses „excuse me“ bedeutet nun eben nicht eine Entschuldigung im Sinne eines europäischen Festlandbewohners, sondern eher eine Art „Sorry, aber nur meine gute Erziehung hindert mich gerade daran, dich nicht gleich die Rolltreppe runterzuwerfen, du blinder Vollpfosten! Und jetzt pass gefälligst auf, wo du hinläufst!“ Und dann begegnet man denselbem Typ zufällig eine Viertelstunde danach im Pub um die Ecke – und ein, zwei Pints später hat man womöglich einen Kumpel fast fürs Leben kennengelernt. Denn nachtragend ist er eher nicht, der Brite mit der rauhen Schale und dem großem Herz.

Hart, aber herzlich zeigt sich das Trio Pizzorno, Chris Edwards (Bass) und Ian Matthews (Schlagzeug) auch auf „The Alchemist’s Euphoria“ und lässt mit seinem von Industrial-Sounds durchschossem Indie-Rock einmal mehr die Wände von musikalisch korrekt aufgestellten Clubs und Indie-Discos wackeln. Und noch immer klingt die bandtypische Mischung aus biggen Beats, kernigen Gitarren, knorrigen Synthies und dem Gesang von Sam Pizzorno nach nichts anderem als nach Kasabian – und noch immer klingt keine andere Band aus diesem Dunstkreis so wie Kasabian.

Die Musik von Kasabian „The Alchemist’s Euphoria“

Wer die Leicester-Boys schon länger kennt, hat vier Zeilen oberhalb übrigens richtig gelesen: „The Alchemist’s Euphoria“ ist das erste Album, das in Triobesetzung und ohne den langjährigen, 2020 aus persönlichen Gründen ausgeschiedenen Sänger Tom Meighan entstand. An dessen Stelle hat der langjährige Gitarrist Pizzorno nun auch den Job als Frontmann übernommen und macht seine Sache ausgesprochen gut – zu besichtigen etwa in „Scriptvre“, wo Sergio Pizzorno einem mitreißenden Arrangement aus bollernden Drums, finster grunzenden Synthies und harschen Gitarren mit Vocals im Stil von Brit-Rappern wie Mike Skinner einen kernigen Kick gibt.

Kasabian The Alchemists Euphorias
Kasabian „The Alchemist’s Euphoria“ erscheint bei RCA im Vertrieb von Sony Music und ist erhältlich als CD, LP, als „limited indie edition“ in orangenem Vinyl sowie als Stream und Download (Cover: Qobuz)

Doch Pizzorno kann auch „richtig“ singen, so etwa in „T.U.E.“, das fast schon als verträumte Synthieballade daherkommt. Oder er kann sogar richtig empathisch und fast zärtlich auftreten, wie in der finalen Akustikgitarrenzupferei „Letting Go“. Das eigentliche Terrain bleiben aber zackige Electro-Rock-Stomper, die das Trio noch immer mit unnachahmlichem Drive aus den Tasten und Saiten fieselt. „Alygatyr“ etwa sorgt mit einem durchdringenden Heulbhojen-Synthie und schön krawalligem Groove für Stimmung; noch besser geriet „Chemicals“, das mit seinen Stromlinien-Gittern, einem straighten Rhythmus und einem hymnischen Refrain das Zeug dazu hat, im Konzert für einen amtlichen Moshpit zu sorgen. Auch „Rocket Fuel“ mit Chemical-Brothers-Flair und das nervös pulsierende „Stargazr“ überzeugen als Beispiele für topmoderne Großstadtmusik; und „Strictly Old Skool“ zeigt schließlich, wie gut auch ein Hauch HipHop in diesen urbanen, nach vielen Seiten offenen, aber kompromisslos seine Grenzen ziehenden Soundkosmos hineinpasst.

Kasabian „The Alchemist’s Euphoria“
2022/08
Test-Ergebnis: 4,4
SEHR GUT
Bewertungen
Musik
Klang
Repertoirewert

Gesamt

Autor: Christof Hammer

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Seit vielen Jahrzehnten Musikredakteur mit dem Näschen für das Besondere, aber mit dem ausgewiesenen Schwerpunkt Elektro-Pop.