Nach drei Alben (das digitale Indie-Debüt Lana Del Rey A.K.A Lizzy Grant ausgeklammert) kennt die ganze Welt Lana del Rey als die verträumte Vintage-Lady, hinter deren vermeintlich liebevoll-naivem Antlitz ein unergründlicher Kosmos aus Verheißung und Verderbnis lauert. Aber kennt man diese Künstlerin, diese Bette Davies der @-Generation, wirklich? Mit Lana del Rey Lust For Life geht das Rätsel um die Prinzessin des „Sadcore“ nun in seine vierte Runde: ein erneut faszinierendes Spiel mit Identitäten und Erwartungen – und die LowBeats CD der KW 29.
Das Cover zeigt eine lächelnde Lana del Rey. Sie trägt Margeriten im Haar; ob die Blumen wohl echt sind? Ihr Lächeln ist eingefroren. Es ist das Cover eines wunderbaren Albums – und es ist eine Farce, eine einzige Inszenierung, so wie die gesamte Persönlichkeit dieser amerikanischen Sängerin.
Im wirklichen Leben heißt Lana del Rey bekanntlich Elizabeth Woolridge Grant und offenbart als eine der größten Kunstfiguren unserer Zeit ein merkwürdiges Phänomen in Sachen Kulturrezeption. Im Gegensatz zum Kino hat die Musikszene nämlich noch immer gravierende Schwierigkeiten, den Unterschied zwischen einem Künstler und seiner Bühnen- oder Plattenpersönlichkeit zu erkennen und zu akzeptieren.
Respektiert beim Film so ziemlich jeder Zuschauer, dass der Schauspieler oben auf der Leinwand eine Rolle spielt, so erwartet das Publikum in der Musikszene auch anno 2017 überwiegend noch immer, dass öffentliche und private Person deckungsgleich sind.
Lana del Rey hingegen treibt dieses Spiel zwischen Schein und Sein so weit wie kaum eine Musikerin unserer Tage – mit ihrem Erscheinen im Jahr 2011 mussten jene Teile der Popbranche, die das Phänomen Lana del Rey in seiner ganzen Komplexität und Unschärfe zu fokussieren versuchten, eine Art Reifeprüfung ablegen.
Nun erscheint mit Lana del Rey Lust For Life das vierte Album der heute 32-jährigen Sängerin aus New York. Der Titel Lust For Live (das Debüt von 2011 hieß Born To Die) verspricht eine emotionale Wendung um 180 Grad – Lebenslust statt Todessehnsucht. Aber keine Bange: Lana del Rey Lust For Life klingt nur einen kleinen Tick anders als gewohnt.
Wieder ist alles da, wofür man diese Musik so schätzt: die Vintage-Gitarren im Stil der späten fünfziger Jahre, die sanft anrollenden Beats zwischen TripHop und Edel-Pop, dazu diese Stimme zwischen melancholischem Alt und Mezzosopran – das wahrscheinlich traurig-schönste Timbre im aktuellen Popbusiness.
Ganz unterschiedlich ist diese Stimme in die Songs integriert, mal klingt sie wie aus fremden Galaxien herbeigefunkt, dann wieder singt Lana del Rey fast wie eine klassische Country-Lady aus einem Amerika, das nur eine Wegbiegung entfernt ist.
Dass Lana del Rey Lust For Life hier und da moderner klingt als die Vorgängeralben und auch thematisch näher an der Gegenwart ist, macht diesen Songkosmos nochmals reizvoller.
In „Summer Bummer“ kommt durch den US-Boy ASAP Rocky etwas Rap ins Spiel, im Titelsong tritt der kanadische R&M-Topstar The Weeknd zum Duett an: Es ist ein zärtliches tête-à-tête mit sehr subtilem erotischem Knistern.
„Coachella – Woodstock In My Mind“ schlägt den Bogen zwischen der Mutter aller Festivals, ihrem modernen Wiedergänger der 2000er-Jahre und der Korea-Krise des Jahres 2017, „Beautiful People Beautiful Problems“ betrauert mit Fleetwood-Mac-Diva Stevie Nicks als Vokalpartnerin den Niedergang des grünen Planeten, der sich plötzlich blutrot färbt, und „Love“ erinnert die aktuelle „Hauptsache, wir haben Spaß“-Generation daran, dass einem der süße Vogel Jugend nicht die Freiheit und das Recht dazu gibt, jeden nur denkbaren Unsinn mit sich und der Welt anzustellen.
Und plötzlich verwandelt sich die Kunstfigur Lana del Rey, dieses Traumgeschöpf aus den Hollywood-Filmen der 50er- und den Hollywood-Filmen der 80er-Jahre (das gesamte David Lynch-Oeuvre von Blue Velvet über Twin Peaks bis Mulholland Drive lässt grüßen) in eine Person der Gegenwart, die Träume, Ängste, Sehnsüchte unserer Zeit besingt.
Dann steigt Lana del Rey von der Leinwand herunter ins reale Leben, wird zu Elizabeth Woolridge Grant – bleibt aber die rätselhafte Femme Fatale, die ein halbes Jahrhundert Popkultur in sich fokussiert: nicht zu fassen, nicht zu greifen, unnahbar und doch ganz nah.
Lana del Rey Lust For Life erscheint bei Vertigo im Vertrieb von Universal Music und ist erhältlich als Audio-CD, Deluxe-Boxset, Doppel-Vinyl-LP und MP3-Download.
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