Das Jahr 2016 nimmt uns die Besten. David Bowie, Eagles-Chef Glenn Frey, Maurice White, die Stimme von Earth, Wind & Fire – und nun Prince. Der zusammen mit Michael Jackson wichtigste schwarze Musiker der letzten 30 Jahre starb mit 57 Jahren im Fahrstuhl seines Paisley-Park-Anwesens in Canhassen, Minnesota; dem Vernehmen nach an den Folgen einer Grippe. LowBeats Autor Christof Hammer erinnert an eine (beziehungsweise zwei) Ikone(n) der Popmusik, an ein großartiges Konzert in Stuttgart und lässt die wichtigsten Platten von „His Princeness“ Revue passieren:
Als langjähriger (und lebenslanger) Musikfan erlebt man so einiges an Liveshows; arbeitet man als Musikredakteur, kommen noch mal viele berufsbedingte
Konzertbesuche hinzu. Eine dreistellige Zahl an Events ist da also schnell beisammen, und neben vielem, was man fix vergessen hat, gibt es jene Shows, die einem ewig im Gedächtnis bleiben. (Sie hätten nun gerne einen kleinen Einblick in meine persönliche Konzert-Hitparade? Okay – hier einige meiner erinnerungswürdigsten Livemomente: Die noch schüchternen, aber bereits stadiontauglichen Coldplay 2005 in der Sporthalle Böblingen. Die brachial-glamourösen Guns `N Roses 1992 als 70.000-Zuschauer-Event auf dem Cannstatter Wasen in Stuttgart. Die Simple Minds im frühen Zenit ihrer Karriere in der mit kaum mehr als 600 Zuschauern grotesk unterbesuchten Stuttgarter Liederhalle – war das 1982? Die klirrend-charismatischen New-Wave-Romantiker Echo & The Bunnymen 1981 in Berlin im Kant Kino. Dexy’s Midnight Runners in der Stuttgarter Mausefalle: „Young Soul Rebels“, die 1980 meine Welt aus den Angeln hoben – ihr Debütalbum tut es noch heute. Weitere Live-Highlights verrate ich dann ein andermal …).
Und dann wäre da der 1. Juli 1992. Zu Gast in Stuttgart: „His Princeness“ im Rahmen seiner Diamonds And Pearls-Tournee. Die Vorzeichen standen allerdings eher auf wolkig statt auf heiter. Man hätte sich eine glamourösere Location gewünscht als die dortige Schleyerhalle, eine 1983 gebaute Multifunktionshalle, in der auch Reitturniere oder Erotikmessen stattfinden – und mit einer Atmosphäre, die kaum kuscheliger ist als die der nahegelegenen S-Bahn-Station. Klar, dass akustische Aspekte hier nur eine untergeordnete Rolle spielten – ein mäßiger Sound zählt quasi zu den Risiken und Nebenwirkungen, die man als Musikfan mit dem Kauf einer Eintrittskarte als programmierten Kollateralschaden quittiert.
Auch vom Meister selbst hatte man Unterschiedliches gehört. Rund zehn Jahre zurück lagen seine großen Erfolge mit 1999 und Purple Rain, längst war der zwar eigenwillige, aber legendär ehrgeizige Pop-Performer zur exzentrischen Diva geworden. Unberechenbar seien seine Shows, hieß es, oft mit deutlicher Verspätung startend, mal lustlos heruntergespielt, mal in ausgiebige Sessionphasen zersplitternd und in obskures Fahrwasser abdriftend. Aber: Wenn die neben Michael Jackson vielleicht größte Diva der damaligen Musikszene in der Stadt ist, lässt man sich das natürlich trotzdem nicht entgehen. Meine Erwartungen waren gleichwohl … limitiert.
Live mit The Revolution, Vanity 6 und The Time
Die Show begann dann pünktlich wie eine Opernaufführung, keine zwei Minuten nach 20 Uhr. Der 1. Juli war ein brüllend heißer Sommerabend, die Schleyerhalle schon vor dem ersten Ton eine brechend volle Schwitzbude. Dann betrat seine Extravaganz die Bühne – ein Effekt so ähnlich, als würde der Zeremonienmeister einer finnischen Landsauna seine Werkzeuge auspacken und hochätherischen Kiefernnadel-Sud auf einen ordentlich durchgeglühten Kohlenhaufen gießen. Ein Aufguss, der die Hallentemperatur binnen Sekunden in die Höhe schießen ließ. Der Boden suppte vor Schweiß, die Luft war zum Schneiden. Die Show begann dann mit „Thunder“ aus dem Diamonds and Pearls-Album auf Weltklasse-Level, um sich im Niveau dann peu à peu nach oben zu winden. Der Chef: eine Autorität, topfit, drahtig, eine Ausstrahlung irgendwo zwischen Bullterrier und Mephisto. Die Band? Prince umgab sich immer mit erstklassigen Musikern: The Revolution, Vanity 6, The Time. Die beste aller Formationen war wahrscheinlich trotzdem seine New Power Generation: kernig im Punch, knisternd in den erotischen Parts. Dazu Tänzer zum Niederknien – einen präziser getanzten Wirbel an Schrittfolgen, ineinander fließenden Figuren und raffinierten Posen zwischen off-Broadway-Kunst und avantgardistischen Performancetheater hat die Schleyerhalle in ihrer Geschichte nicht mehr gesehen. Gut zwei Stunden dauerte dieses Erlebnis fürs Leben.
Prince gegen Michael Jackson
Prince und Michael Jackson – die Musikindustrie versuchte daraus etwas anders zu machen: Prince gegen Michael Jackson. Die Geschäftswelt liebt Duelle, sie befeuern das Business. Schumacher gegen Senna, Sampras gegen Agassi, Barca gegen Bayern – diese Konstellationen treiben die Einschaltquoten und die Auflagen nach oben, sorgen dafür, dass der Rubel richtig rollt. Auch die Musikbranche ist – oft jenseits jeder künstlerischen Sinnhaftigkeit – seit jeher bemüht, ihre Duelle zu inszenieren. Die Paarung der sechziger Jahre lautete Beatles contra Stones. In den 90ern hieß es Oasis versus Blur. Das Duell der 80er Jahre, klar: Jackson gegen Nelson. Beide schwarze Soul-Men mit immenser Strahlkraft auch in den Pop-Mainstream hinein, beide auf unterschiedliche Art Charakterfreaks. Wer verkauft mehr Platten, wer inszeniert die größere Show, wer hat das bizarrere Ego? Die Show funktionierte von Anfang mehr schlecht als recht und schon nach kurzem gar nicht mehr. Jackson, traumatisiert seit Kindertagen und die sensibelste Künstlerseele, die man sich vorstellen kann, wurde, erst langsam, dann immer schneller zu einer gebrochenen, zerbrochenen Persönlichkeit. Umgab sich lieber mit Affen als mit Menschen (was man gut verstehen kann), baute sich mit seinem Neverland-Anwesen sein persönliches Disneyland. Prince war mental der stärkere Typ; scheinheilige Liebesbekundungen machten ihn nur noch ignoranter oder arroganter. Statt sich in Fantasiewelten zu flüchten, baute er sich lieber eine richtige Musikfabrik. Sein Paisley Park war Tonstudio, Businesskomplex, Lebensmittelpunkt – auch das ein privates Reich, aber kein Rückzugsort, keine Endstation Sehnsucht, sondern die Kreativfabrik eines Kämpfers.
Während Jackson vom Motown-Soul der Sixties über nur kurze Zwischenstationen bei Disco und Phillysound schnell bei modernem R&B und Soulpop landete, avancierte der resolute 1,58-Mann aus Minneapolis zum großen Querdenker der schwarzen Musik, blieb konsequenter als Jackson an deren Kern. Das Erbe von Funk- und Soul-Legenden wie Sly & The Family Stone oder James Brown war bei ihm in den richtigen Händen, und den Rock nahm Prince gleich dazu unter seine Fittiche. Michael Jackson hingegen musste zur Rockgitarre getrieben werden; seine Allianz mit dem Hardrock (mit Eddie Van Halen an der Gitarre in „Beat It“) war ein Marketingcoup, eine strategisch motivierte Zwangsehe zwischen schwarzem Soul und weißem Rock, die eine im wahrsten Sinne goldene Brücke zwischen bis dahin zwei streng voneinander getrennten Marktsegmenten bildete. Prince hingegen war selbst Gitarrist, und er spielte, als wär’ er der Sohn von Jimi Hendrix. Sein Sound klang im einen Moment so, als seien die Saiten aus Gummi, im anderen, als seien seine Finger aus Stahl – ein Stil, nicht weniger einzigartig und heraushörbar wie die Gitarre von Carlos Santana oder Mark Knopfler.
Megaseller der 1980er: 1999 und Purple Rain
Prince war gegenüber dem harmonieorientierten und nach Liebe und Anerkennung süchtigen Jackson einfach der wesentlich unbotmäßigere, rebellischere Charakter; ein Hang zum Größenwahn inklusive. Schon sein Debütalbum ließ 1978 erahnen, welche Eskapaden später noch folgen sollten. Das für eigentlich drei Produktionen geplante Budget von 180.000 Dollar ging bereits für For You drauf. Dass die Disc floppte, beschädigte sein Selbstbewusstsein nicht weiter. Und er sollte Recht behalten: Das zweite Werk Prince (mit der Single „I Wanna Be Your Lover“) erreichte bereits Platinstatus in den USA. Dirty Mind (1980) und Controversy (1981) hielten ihn mit explizit erotischen Texten und Sounds zwischen Rock, Funk und New Wave im Gespräch und in den Charts, ließen aber Luft nach oben. Und zwar genau bis zum 27. Oktober 1982. Da erschien 1999. Prince trieb die Elektrifizierung seines Sounds mit Drumcomputern und Synthesizern voran, wechselte vom bis dahin oft bevorzugten Falsett auch in tiefere Stimmlagen und setzte weiter auf anspielungsreiche Texte voller erotischen Schlüpfrigkeiten. 1984 dann der Millionenseller: Purple Rain belegte 21 Wochen Platz 1 der amerikanischen Albumhitparade, mittlerweile liegen die Verkaufszahlen weit jenseits von 25 Millionen Exemplaren. Der Zwerg war zum Gigant geworden und spielte in der Liga der US-Superstars von Springsteen über Jackson bis Madonna. Der Erfolg machte ihn jedoch keineswegs pflegeleicht. Prince unter Vertrag zu haben bedeutete für eine Plattencompany: Sprengstoff an Bord.
The Artist Formerly Know As Prince“
Der Burgfrieden mit der Musikbranche hielt bis 1993, dann eskalierte der Streit mit Warner Brothers. Fortan trieb Prince die Manager seiner Firma erst auf die Palme und jagte sie anschließend zum Teufel. Gründete sein eigenes Label Paisley Park, verweigerte Warner, seinen Namen zu verwenden. Mehr noch: Er fühlte sich nicht nur als Sklave der Musikbranche, er zeigte es auch. Wo andere einen Backenbart trugen, prangte bei ihm das Wort „slave“. Wenig später wurde aus Prince … ein Symbol. Die „Symbol“-Ära begann und ging nahtlos in die TAFKAP-Phase über. Nicht mehr Prince war Vertragspartner, sondern nur noch The Artist Formerly Know As Prince“. Das Online-Zeitalter veränderte sein Verhältnis zur Musikbranche als Wirtschaftszweig nochmals drastisch – und nur scheinbar ins Irrationale. Dass er auf der einen Seite Raubkopierer verfolgen ließ und andererseits ganze Alben im Internet verschenkte? Privatsache, sozusagen. Entweder es gibt eine Verwertungskette – dann will er sie auch kontrollieren. Oder aber es steht nichts mehr zwischen ihm und seinen Fans – die Entscheidung über das Geschäftsmodell wollte aber immer Prince selbst treffen.
Die nächste Stufe der Eskalation ließ nicht lange auf sich warten. Sein 2007er-Album Planet Earth verschenkte er aus Protest gegen das Geschäftsgebaren der Branche zunächst als Gratisbeilage der britischen Sonntagszeitung „Mail On Sunday“, ehe er es seiner Plattenfirma zum Verkauf überließ. Anderes veröffentlichte er erst oder gar nur via Internet oder als obskure Garagenproduktion. Man verlor den Überblick über sein Oeuvre. Und ein wenig scheint es, als habe die Welt der immer grenzenloseren Möglichkeiten selbst einen Alleskönner und Multimedialisten wie Prince überfordert. Als Musiker war er ein Universalgenie. Komposition, Produktion, Gesang: made by Prince. Kein gängiges Instrument, das er nicht beherrschte (sein Albumdebüt spielte er komplett im Alleingang ein), fast kein zeitgenössischer Stil, in dem er nicht kompetent unterwegs war.
„Nothing Compares To You“: der Songwriter
Seine Rolle als Songwriter hingegen? Zwiespältig: Einerseits setzte er Standards (man denke an „Diamonds And Pearls“, „Raspberry Beret“ oder „When Doves Cry“), wenn nicht sogar Maßstäbe („Nothing Compares To You“) – und ruinierte andererseits seinen Ruf durch eine unnötig hohe Zahl halbfertiger Songfragmente voll hektischer, plakativer Funkyness. Hier zeigte sich am ehesten, dass Prince mehr war als nur ein Workaholic: ein Getriebener, gehetzt einerseits vom Willen zur größtmöglicher Spontaneität bei gleichzeitigem Anspruch auf Perfektion. Den Idealzustand, in dem beides zusammenkam, erreichte auch er nur selten und in den 2000er-Jahren quasi gar nicht mehr, aber eines dieser beiden Ideale prägte sein Songwriting immer. Andere Komponisten haben weder das eine noch das andere. Was bleibt von Prince? Mir scheint, er starb als Unvollendeter. Trotz zuletzt magerer Jahre machte er immer den Eindruck, als habe er noch einen Geniestreich in sich.
In seiner Zeit als Musiker veröffentlichte Prince unglaubliche 39 Alben. In einem Sonderbeitrag hat LowBeats die wichtigsten und besten von ihnen, also seine Top-5, noch einmal vorgestellt.