Rufus Wainwright zählt zu den eigenständigsten Singer-Songwritern unserer Zeit. Der gebürtige New Yorker beweist seit über 20 Jahren ein außerordentlich begabtes Händchen für finessenreiche, mit schwelgerischen Emotionen getränkte Songs inklusive klassischer Note. Mit seinem neuen Opus legt der Barde sein Meisterstück in puncto Pop-Theatralik ab. Rufus Wainwright Unfollow The Rules ist unser Album der Woche.
Was ist das für einer, der so überschwänglich, herzzerreißend, anrührend und mit beinahe überirdischer Hingabe singt und diese Songs vorher zu Notenpapier gebracht hat? Einer, der Shakespeare-Sonetten ebenso bravourös in Szene setzt wie Opern – und eben Popsongs, an denen pastellfarbige theatralische Schattierungen akustisch kondensieren? Ginge es um Kochkunst, stünden epische, kulinarische Szenen aus Filmen wie „Chocolat“, „Das große Fressen“, „Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber“ oder „Eat Drink Man Woman“ auf der Assoziationsliste.
Zugegeben, auf den ersten Ohrenblick wähnt man sich hier und da inmitten einer kunstvoll ausufernd zu scheinenden akustischen Süßholzraspelei. Weit gefehlt. Die Süße, die Lieblichkeit, das Milde konterkariert Wainwright könnerhaft mit widerborstigen Rhythmen, kernigen Wendungen und feinen Brisen an Würz-Raffinesse – wie ein Meisterkoch.
Die Folk-Pioniere Loudon Wainwright III und Kate McGarrigle legten ihm als Eltern 1973 die nötige DNA dazu in die Wiege. Hinzu kamen später ein Hang zu allerlei verwunderlichen und – scheinbar – abgedrehten Kunstzutaten – Pomp, illustre Tagträumereien, berauschende Ideen und verschwenderisch plüschige Assoziationen.
Diverse Größen des Planeten Pop huldigen Wainwright, darunter waren und sind eine Amy Winehouse ebenso wie ein Sir Elton John, der in seiner kreativen Blütephase schon mal ähnlich hymnenhafte Songs in die Welt setzte, zum Beispiel mit dem Backgroundchor-beseelten „Someone Saved My Life Tonight“ von 1975.
Wainwrights neuntes Studioalbum formt die Songs klar umrissen, eigenständig auf den Punkt gebracht wie unter einem kreativen Brennglas. Wunderbar, wie kammermusikalische Streicher mit energisch-trotziger Stimme zum Elektropop mutieren, zartes Piano und seine wandlungsfähige Stimme wie ein Pastellgemälde schimmern oder folkige Gitarren mitreißen und ein pulsierendes Piano mit fluffigen Arrangements gebettet in Xylophon- und Harfentönen aufgeht.
„Regeln lenken den weisen Mann. Der Dummkopf befolgt sie,“ soll der Schriftsteller Oscar Wilde einmal gesagt haben. Rufus Wainwright Unfollow The Rules fokussiert entsprechend auch lyrisch auf eine etwas andere Sichtweise die Dinge, die uns umgeben, Politisches ebenso wie seine Vaterschaft als Homosexueller, Freundschaften, Lebens-Verluste und Reifung.
Die Highlights von Rufus Wainwright Unfollow The Rules
Produziert von Mitchell Froom (Crowded House, Paul McCartney, Richard Thompson, Suzanne Vega, Randy Newman) entstand das Album in unterschiedlichen Studios in Los Angeles, darunter „Sound City“, „United Recording“ und „EastWest“, was der Ausgewogenheit des feinen Klangbilds keinen Abbruch getan hat. Die Farben strahlen, der Druck im Bass dringt vehement aus den Lautsprechern, Transparenz und Räumlichkeit reihen sich mit Bravour ein. Mit der L.A-Studio-Runde schließt sich zudem sein Schaffenskreis, der mit dem wunderbaren Debütalbum von 1998 in der Stadt der Engel begann.
Lassen wir eine Auswahl an Top-Songs des Albums Revue passieren – was angesichts der Dichte und Fülle an Hochkarätigem nicht so leicht fällt:
Gleich der Opener „Trouble In Paradise“ infiziert den Hörer mit unverschämt melodiösem, leicht theatralischem Flair. Langsam, mit dezent stampfendem Rhythmus, darin harmonisch integriert ein Backgroundchor mit Gospel-Seele.
Stücke wie „Damsel In Distress“ zeigen Wainwright lyrisch in seiner eher neuen Rolle als mittlerweile rund 47-jährigen Mann und Familienvater. Harsch bedienten Akustikgitarren à la Cat Stevens bringt er Flötentöne bei und spielt nonchalant mit Streicherarrangements.
Der Titelsong wiederum strahlt dank sonorer Stimme und gediegenem Piano beinahe mystische Ruhe aus – bis sich heiter beschwingte Noten einmischen und sich in süßliche Melodiengefilde aufschwingen. Typisch Rufus, gerade noch am lieblich-süßem Erdbeerwein vorbeigesegelt.
Dann wäre das ähnlich – romantische – „Romantical Man“, in dem Rufus Streicher, Piano und Chor eine schwelgerische Liaison eingehen lässt.
„Peaceful Afternoon“ könnte mit seinem konsequent knackigem Folk-Pop theoretisch der Feder eines anderen Großen entfleucht sein: Billy Joel.
Und mit „Only The People That Love“ landen wir stilistisch bei einem seiner Bewunderer, Elton John. Herrlich, wie die gechillt-sonnige Nummer mit mächtigen Drum-Grollen wie einst von Nigel Olson im bereits erwähnten „Someone Saved My Life“dezent grollt.
„My Little You“ geht als charmantes, vernarrtes Intermezzo in die Albumgeschichte ein, dank des zauberhaften Klaviersounds.
In „Early Morning Madness“ vertreiben düstere Klavieranschläge die grausamen Gespenster der Nacht, um sich in einem dramatischen Stakkato zu ergießen, in dem Wainwrights Stimme sämtliche möglichen Schattierungen zu zelebrieren scheint.
Schließlich zeigt „Devils and Angels (Hatred)“, dass der Singer-Songwriter auch minimalistisches Terrain souverän bestellen kann und energisch-trotzig in Elektropop-Manier kammermusikalischen Streichern entgegentritt.
Weitere Top-Alben:
Rufus Wainwright von 1998 und Want Two von 2004 mit dem phänomenalen Song „The Art Teacher“, Yellow Lounge Compiled By Rufus Wainwright (Klassische Stücke von ihm neu arrangiert)
Video-Clip der französischen Version von „Peaceful Afternoon“ – „Pièce A Vivre“
Video-Doku „Unmaking unfollow The Rules“ (34:25) von Regisseur Jeff Richter (Guns N’ Roses, Lenny Kravitz, De La Soul)
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