de
Still Corners The Last Exit
Seit 2005 faszinieren die Still Corners mit einer cinemascopisch intensiven, wunderbar zwielichtigen Mischung aus Dream-Pop und Folk Noir. Auch auf ihrem neuen Album „The Last Exit“ (Foto: B. Bur)

Still Corners The Last Exit – das Album der Woche

Es ist wieder soweit: Knapp dreieinhalb Jahre nach ihrem 2018er-Coup Slow Air präsentieren die Still Corners ein weiteres prachtvolles Werk zwischen Wüstenromantik und Gitarren-Nostalgie. Liebhaber leiser, aber eindringlicher Töne dürfen also erneut die Vorhänge zuziehen, eine schöne Flasche Rotwein entkorken – und ein Kleinod zwischen Dream-Pop und Folk Noir genießen. Still Corners The Last Exit ist unser Album der Woche.

Wer die Still Corners schon kennt, weiß um die Faszination ihrer Musik und hat vermutlich bereits das ein oder andere Werk dieses britisch-amerikanischen Duos in seinem Plattenschrank oder auf seiner Festplatte gebunkert – etwa das 2011er-Debüt Creatures Of An Hour. Oder Strange Pleasures von 2013. Oder Dead Blue (2016) oder Slow Air (2018). Oder, wahrscheinlichstes Szenario: alle zusammen. Denn nach der Musik der Still Corners kann man süchtig werden.

Für allen anderen gilt: Man stelle sich eine Mischung aus Lana Del Rey, Calexico, Chris Isaac und den US-Genrekollegen Mazzy Star vor – damit kommt man dem Sound von Greg Hughes und Tessa Murray schon ziemlich nahe. 2007 gestartet, bilden der englische Alleskönner und die amerikanische Sängerin und Keyboarderin inzwischen ein Dream-Team, das sich formvollendet wie kaum eine andere gegenwärtige Formation zwischen Dream-Pop und Folk Noir bewegt. Dazu ein paar Americana-Sounds von Mundharmonika bis Banjo, die entfernt an die Calexico-Männer um Joey Burns und John Convertino erinnern – und fertig ist ein musikalischer Kosmos, der auch einen idealen Soundtrack für einen David-Lynch-Film abgeben würde.

Umso mehr, als dass die Still Corners mit dem amerikanischen Kultregisseur auch ein Faible für eine Metaebene unter der Oberfläche der menschlichen Existenz, für das Verborgene hinter der Fassade der Zivilisation teilen. „In einer Welt, in der jeder Winkel besetzt, erobert zu sein scheint, reizt uns die Vorstellung, dass es hinter all den sichtbaren Dingen etwas Zusätzliches, etwas Ewigliches in diesen Landschaften geben könnte – oder in unserer Psyche“, erläutert Tessa Muray die Philosophie ihrer Musik. „Vielleicht sieht man das nicht jeden Tag, aber es existiert dennoch, und wir wollen in Verbindung damit treten.“ Und Greg ergänzt: „Wir haben etwas gefunden da draußen in der Wüste – irgendetwas in diesen weiten Landschaften, das für immer weiterlebt.“

Die Musik von Still Corners The Last Exit

So entführt auch dieses fünfte Album der Still Corners wieder in eine betörende Grauzone zwischen Realität und Fantasie. Elf Songs umfasst das Programm von „The Last Exit“, und wer beim Hören die Vorhänge zuzieht, landet für die nächsten rund 42 Minuten in einem morbide-melancholischen road movie, in einer Atmosphäre zwischen Tag und Nacht, zwischen Dämmerung und Zwielicht.

Federführend sind dabei die vielseitigen Gitarrensounds von Greg Hughes und das Timbre von Tessa Muray, die souverän von einem kristallenen Mezzosopran hinunter zu rauchigen Untertönen zu wechseln vermag. Hughes fährt dabei bevorzugt (exemplarisch zu begutachten in „Static“ oder „A Kiss Before Dying“) eine silbrig perlende, mit viel Reverb aufgenommene Halbresonanzgitarre im Stil von Chris Isaak auf – wer an das Hauptmotiv von Isaacs Traumballade „Wicked Game“ denkt (gespielt damals übrigens gar nicht Isaak selbst, sondern von seinem Sessionpartner James Wilsey auf einer Fender Twin und einer Strat-Gitarre), kommt diesem Saitensound schon ziemlich nahe. Doch neben dunkelromantischen, nachtblauen Zeitlupenriffs hat Hughes auch weitere Klangfarben auf Lager – die erdige, dezent rockige Twang-Gitarre in „It’s Voodoo“ beispielsweise erinnert deutlich an Mark Knopfler.

Das Programm wird eröffnet vom Titelsong, wobei „The Last Exit“ nicht nur mit einem bittersüßen, gemächlich countryesken Arrangement gefällt, sondern auch mit einem reizvollen Video Inspiriert durch den australischen Spielfilm „Picnic At Hanging Rock“ (deutsch: „Picknick am Valetinstag“; 1975) verschwindet Tessa hier wie einst die Internatsmädchen in dem Kultmovie von Peter Weir in einer bizarren Felsenlandschaft – Schauplatz ist der legendäre, zwischen Mojave- und Colorado-Wüste gelegene Joshua-Tree-Nationalpark im Süden Kaliforniens. Außer einer traumhaften Wüstenszenerie gibt es hier auch noch einen hinreißenden, cremefarbenen Roadster vom Typ MGA 1500 aus dem Baujahr 1959 zu besichtigen – Prädikat: unbedingt sehenswert also, nicht nur für Oldtimer-Fans.

In „Crying“ ergänzt dann Tessa den saitenlastigen Basissound erstmals um ein paar atmosphärische Keyboardklänge; entfernt erinnert die Stimmung dann an den luxuriösen Edel-Pop von Cock Robin, die in den 80er Jahren mit Hits wie „Just Around The Corner“ Musikgeschichte schrieben. Anschließend differenzieren die Still Corners ihren Stil rhythmisch etwas aus. In „White Sands“ beschleunigt ein galoppierender Beat das Tempo ungefähr um den Faktor 3, während das folgende Instrumental „Till We Meet Again“ anfangs fast in slow motion aus den Speakern schleicht – um sich ab 2:15 zu einem Fiebertraum zwischen Psychedelic- und Country-Rock zu steigern. In „A Kiss Before Dying“ spielen dann Harmonika und Surfgitarre die Hauptrollen, während „Bad Town“ mit slide guitar und field recordings (man beachte den Wüstenkojoten!) die Stimmung einer verlassenen Geisterstadt in der kalifornischen Wüste beschwört.

Zusammen mit luftigen Schlagzeugsounds schleicht sich jeder Song so von Sekunde zu Sekunde weiter in die Seele des Hörers hinein – oder findet ziemlich direkt den Weg dorthin wie etwa „Mystery Road“, das mit einem glitzernden Gitarrenriff das Zeug zum Stammgast im Programm eines guten Indie-Radiosenders hat. Und alles zusammen entwickelt sich zu einem Album, das auf hohem Niveau startet und dennoch von Mal zum Mal an Intensität gewinnt. Also: am besten schon mal die nächsten Flaschen Rotwein bereitstellen …

Still Corners The Last Exit Cover
Still Corners The Last Exit erscheint bei Wrecking Light Records im Vertrieb von Cargo / 375 Media und ist erhältlich als CD, LP und Download.
Still Corners
The Last Exit
2021/01
Test-Ergebnis: 4,5
ÜBERRAGEND
Bewertungen
Musik
Klang
Repertoirewert

Gesamt

 

Autor: Christof Hammer

Avatar-Foto
Seit vielen Jahrzehnten Musikredakteur mit dem Näschen für das Besondere, aber mit dem ausgewiesenen Schwerpunkt Elektro-Pop.