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The Associates Edition
Es war Wahnsinn.“ Alan Rankine über die Reaktionen der englischen Popszene bei Erstveröffentlichung von „Sulk“ im Mai 1982. Das Remaster ist bei uns das Album der Woche.

The Associates „Sulk 40th“ – das Remaster-Album der Woche

Hinreißend extravagant, vertrackt poppig, von überbordener Kreativität und immenser Stilvielfalt: 1982 schuf das schottische Duo The Associates mit „Sulk“ eines der glamourösesten Alben der 1980er-Jahre. Nun feiert BMG das 40-jährige Jubiläum dieses oft unterschätzten Juwels mit einer opulenten Remaster-Edition. Und so ist The Associates „Sulk 40th“ unser Album der Woche.

Manche Bands und Musiker sind ihrer Zeit so weit voraus, dass die Größe ihres Schaffens erst mit etwas Abstand sichtbar wird. Man denke nur an Jimi Hendrix und seine für alle Ewigkeit fortwährende Revolution des Spiels auf elektrischen Gitarren. An MC 5 und die Stooges, die mit ihrem High-Speed-Premium-Lärm den Weg für Genres von Punk über Metal bis Grunge freigedröhnt haben. Oder an Kraftwerk für die Erfindung der digitalen Mensch-Maschine und der vollsynthetischen Kling-Klang-Kultur.

Okay, ganz in dieser Liga haben die The Associates nun nicht gespielt: deutlich weniger spektakulär ihre rund ein Jahrzehnt währende Karriere, weit weniger dramatisch die Wirkung ihres Schaffens als Post-Punk-Band der 1980er-Jahre. Doch als schillernde Paradiesvögel ihres Genres haben auch Billy Mackenzie (Vocals) und Alan Rankine (Gitarre, Keyboards und vieles mehr) einen nicht zu unterschätzenden Anteil an dessen stilistischer Ausdifferenzierung und seiner Transformation aus den Achtzigerjahren Richtung Zukunft.

„Ich denke, sie sind großartig. Ich denke, sie sind besser als wir“, lobte bereits 1979 Michael Dempsey der seinerzeit den Bass bei The Cure bediente, die beiden Twens aus Schottland – eine Einschätzung, die bei seinem Chef augenscheinlich wenig Begeistertung ausgelöst hatte: Nach diversen, über Monate eskalierender Differenzen mit Robert Smith flog Dempsey wenig später bei The Cure raus und landete von 1980 bis 1982 als Bassist und Keyboarder selbst bei den Associates, seinerzeit wie The Cure beim englischen, auf New Wave und Post-Punk spezialisierten Label Fiction Records unter Vertrag.

Wer den sechs Alben umfassenden Associates-Katalog genauer betrachtet, landet unweigerlich beim Frühwerk der schottischen Freaks, denn nach „Sulk“ war nichts mehr wie zuvor: Alan Rankine schied im Streit mit Mackenzie aus, veröffentlichte drei weitgehend unbeachtete Soloalben, während sein Ex-Kollege quasi im Alleingang zwei weitere Associates-Alben veröffentlichte – freilich ebenso glücklos. Ihren kreativen Höhenflug erlebte die Band also von 1980 bis 1982 mit dem New-Romantic-geprägten Fiction-Debütalbum „The Affecionate Punch“ (1980), mit „Fourth Drawer Down“, einer faszinierenden, schlawinerhaft mit dem Geld von Fiction für das konkurrierende Indielabel Situation Two eingespielten 8-Track-Sammlung von Singles von 1981 – und eben mit „Sulk“, das 1982 zum bekanntesten Werk der Band avancierte, in England sogar die Top 10 der Albumcharts eroberte und nun zum 40. Jubiläum seiner Erstveröffentlichung als umfangreiches Remaster-Opus erscheint. Und den verantwortlichen Labelmanagern bei BMG gebührt ein dickes Kompliment dafür, was für prachtvolles Comeback sie diesem ebenso heimlichen wie unheimlichen Juwel spendiert haben. (Kleine Fußnote für Fortgeschrittene: Hinter den Reglern saßen bei diesen drei ersten Alben Könner wie Mike Hedges oder Flood, die später mit Großtaten für Siouxie & The Banshees, The Cure, Soft Cell, Depeche Mode, U2 oder den Killers zu Weltstars der Tontechniker- und Produzentengilde avancierten.)

Doch was genau ist es, was „Sulk“ zu einem Werk machte, das bis heute nachklingt und noch immer fasziniert? Nun, wer diese zehn Originalsongs hört, kann kaum glauben, dass es sich um Aufnahmen aus den frühen 1980ern, aus der Blütezeit von Post-Punk und New Romantic handelt. Sicher, da gibt es zackige Drumbeats, resolut sägende Gitarren, funky Bassfiguren und gleisend-schöne bis unheilvoll wabernde Keyboardpassagen – und doch klingt das so völlig anders als so ziemlich alles, was zu dieser Zeit die englische Szene bestimmte. The Associates musizierten vielmehr, als wären sie von einem anderen Planeten in das England des Jahres 1982 angereist, im Gepäck bereits jene Sounds aus der Zukunft, die erst viele Jahre später in die moderne Popkultur einsickern sollten.

Interdisziplinarität und Eklektizismus heißen die musiktheoretischen und philosophischen Schlüsselbegriffe für diese avantgardistischen Klangwelten; zu den stilistischen Leitplanken zählen neben Post-Punk und New Romantic noch Glam-Pop, Art-Rock und sogar Elemente von Disco Music. Aus all dem zusammen formten die Associates ein düster-romantisch-surreales Kabinett an Soundscapes, Songs und Stimmungen und inszenierten sich schon zu Karrierebeginn quasi als Gesamtkunstwerk – Legende sind etwa die „Top Of The Pops“-Auftritte, in denen die Band sündhaft teure Schokoladengitarren an das Studiopublikum verfütterte, in Fechtanzügen performte und in bizarren Samurai-Make-ups vor die Kameras trat.

Und auch das Cover von „Sulk“ kündet von der extravaganten Ader von Mackenzie & Rankine: Wir sehen zwei Dandys, die gelangweilt eine XXL-Sofalandschaft in der Orangerie eines botanischen Gartens belümmeln: Snobismus trifft auf Stil und Selbstbewusstsein. „So schön, dass es erschütternd ist“, befand einst das englische Musikmagazin UNCUT; das „blumige, hysterische Meisterwerk“ der Band hörten die Kollegen von MOJO. Doch keine Missverständnisse bitte: „Sulk“ bleibt auch heute noch ein Album für Kenner, für Musikfreunde mit einem offenen Ohren für Klänge leicht neben der Spur.

Wer also freundliche, sich aalglatt die Gehörgänge entlang schleichende Synthiepop-Ware bevorzugt, möge anderswo suchen. Aber wer sich für die Klang gewordenen Untiefen der menschlichen Psyche interessiert, kommt hier voll auf seine Kosten. Im Zentrum des Geschehens: der exaltierte, sich bisweilen fast überschlagende Drei-Oktaven-Sopran von Billy Mackenzie, der mehr als klassischer Tenor denn als konventioneller Pop-Vokalist performt und vor keiner Tonlage und Ausdrucksform zurückschreckt. Drum herum konstruierten Kompagnon Alan Rankine sowie die gelegentlichen Begleitmusiker der Band raffinierte, glamouröse und üppig wuchernde Beats, Bleeps und Riffs, die so ziemlich alle atmosphärischen Schattierungen von düster bis heiter ausloteten.

The Associates Cassette Exploded Packshot
Wer es besonders exquisit und fast schon bizarr liebt, greift zur Sammleredition inklusive goldfarbener MC des Titels „18 Karat Love Affair“ als Bonus.

Die Musik von The Associates Sulk 40th

Der Reigen der zehn normalen Albumtracks beginnt mit dem feinsinnig betitelten, Synthie-dominierten Instrumental „Arrogance Gave Him Up“, ehe „No“ auf einem Spinett-artigen Keyboard-Thema und zu verschleppten Beats förmlich durch Gothic-Grüfte geistert. Perfekt wird diese bizarre Aura durch im Hintergrund eingespielte Opernkoloraturen, die eher einer Komposition von Verdi oder Monteverdi zugehörig scheinen als einem Popsong Baujahr 1982.

Wer glaubt, dass hiermit das äußere Spektrum des Associates’schen Klangkosmos erreicht sei, irrt freilich gewaltig: Mit „Bap De la Bap“ folgt ein geradezu manisches Trommel-Feuerwerk, „Nude Spoons“ ist purer Techno-Rock mit beklemmenden neurotischen Untertönen. Wer nun „und wo bitte sind die Hits?“ fragt, der skipt sich zu „Party Fears Two“ mit seinem quirligem, hübsch kurvenreichen Keyboard-Thema sowie zu „Club Country“ an Position 8 und 9 voran. Als dritte Single seinerzeit, und „Gloomy Sunday“. Und auch das von einem hypernervösen Bass angetriebene „Skipping“ wäre noch heute ein Schmuckstück auf der Playlist eines jeden guten Indie-Radiosenders. Zu hören ist all in den exzellent gelungenen Remasterfassungen der verdienstvollen, aber noch recht schmucklos geratenen Erst-Wiederveröffentlichung aus dem Jahr 2016.

Denn jetzt erst erstrahlt „Sulk“ in seinem ganzen Glanz: als opulente Jubiläumsausgabe, je nach Format mit bis zu 36 Bonustracks (B-Seiten, Raritäten, BBC-Sessions, Auszüge aus einem neu entdeckten, seltenen Live-Mitschnitt aus den Niederlanden vom Januar 1981) ausgestattet. Mit all diesen Zugaben ist dieses Kompendium natürlich so überkandidelt wie die Associates selbst es waren, entpuppt sich aber als exakt die angemessene Form für die überbordende Klangfarbenpracht von „Sulk“. Abgerundet wird diese Edition durch eine Broschüre mit lesenswerten Begleitkommentaren von Simon Reynolds (The Guardian) und Interviews mit Alan Rankine, Michael Dempsey, Mike Hedges und Martha Ladley, seinerzeit Sängerin und Keyboarderin der Band.

The Associates Sulk 40
Extravagant bis in die letzte Rille: Bei der Jubiläumsedition ihres 1982er-Coups „Sulk“ entschieden sich Associates-Multiinstrumentalist Alan Rankine und die BMG-Labelmanager vinyltechnisch für stilvolles Marineblau (Cover: Amazon)

The Associates Sulk 40th Anniversary Edition erscheint bei BMG Rights im Vertrieb von Warner Music und ist erhältlich als Einzel-LP in blauem 140-Gramm-Vinyl (10 Tracks, nur das Originalalbum), als „Deluxe Bookpack“ mit dem Originalalbum auf blauem 140-Gramm-Vinyl plus 3 CDs, als limitierte Sammlerausgabe mit blauem 140-Gramm-Vinyl und einem Kunstdruck im LP-Format sowie als Sammleredition mit einer goldfarbenen Cassette des Titels „18 Karat Love Affair“ als Bonus.

Billy Mackenzie (auf dem Albumcover links) erlebt den späten Triumph von „Sulk“ leider nicht mehr: Der charismatische Sänger der schottischen Kultband nahm sich 1997 mit einer Medikamentenüberdosis das Leben.

The Associates „Sulk 40th“
2022/07
Test-Ergebnis: 4,5
ÜBERRAGEND
Bewertungen
Musik
Klang
Repertoirewert

Gesamt

Autor: Christof Hammer

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Seit vielen Jahrzehnten Musikredakteur mit dem Näschen für das Besondere, aber mit dem ausgewiesenen Schwerpunkt Elektro-Pop.