Bei irischer Musik denkt man an gerne an gesellige Songs von den Dubliners, Fiddler’s Green oder The Chieftains. The Gloaming, das Quintett aus dem County Westmeath bereichert die Szene dagegen seit 2011 mit einem wunderbaren Roots-Folk-Mix, der uraltes Liedgut reflektiert und in die Moderne beamt – so gut, dass wir The Gloaming 3 zum Album der Woche gemacht haben.
„Wir versuchen immer, der Musik zu erlauben, in einen mehr mantrischen und transzendenteren Raum zu atmen“, sagt Iarla Ó Lionáird. Über seinen Ausdruck muss der Sänger selbst lachen, denn „dies kommt von einem Mann, der keinen Funken New Age in seinen Knochen hat – aber ich glaube, dass eine der Bestimmungen von Musik das Bewältigen mentaler Zustände ist. Im Fall von The Gloaming erreicht es eine Art höherer Transparenz und Intensität und geht über in einen Traumzustand. Die Menschen wollen das. Sie möchten an diesem Ort wohnen. Und wir auch.“
The Gloaming stammen aus Rosemount im Herzen der Grünen Insel und formen sich aus fünf Musikern: Iarla Ó Lionáird, einem Sean-nos-Sänger (gälischer Gesang zu einem traditionellen irischen Solotanz), den Geigern/ Fiddler Martin Hayes und Caoimhín Ó Raghallaigh, dem Gitarristen Dennis Cahill und dem Pianisten Thomas Bartlett.
Die Musiker kennen sich teils schon sehr lange – Bartlett war bereits als Kind besessen von Hayes’ Geigenspiel. Die fünf verbindet eine Art intuitive gegenseitige Zuneigung. Die Chemie stimmt. Und so überträgt sich der tiefere Sinn der Songs trotz der sprachlichen Barriere des Gälischen dank ihrer klanglichen Verschmelzung. In etwa so wie früher bei BAP, deren Kölsch außerhalb der Kölner Bucht kaum einer verstand. Ihre Musik und deren Botschaft aber schon. „Sie gehen in eine Klangwelt, in der sich Mosaike aus allen möglichen Welten verbinden“, so Lionáird über seine Bandmitglieder.
Während sie fast alle Songs der ersten beiden Alben vorab live auf der Bühne testeten, waren es bei The Gloaming 3 nur drei. Bartlett und ó Lionáird trafen sich ein paar Mal in New York, um an den Songs des Albums zu feilen. Anschließend kamen alle fünf im Bartletts Studio in Manhattan zusammen, das er sich unter anderem mit Sufjan Stevens teilt. Danach fügte Bartlett das alles in einem weiteren Monat zu einem Ganzen zusammen. Dabei banden sie auch „unübliche“ Instrumente ein. „Es hat mir Spaß gemacht, verschiedene harmonische Dinge auf subtile Weise zu verstärken“, sagt Bartlett. „Ich muss sie nicht aus dem Klavier holen, sondern habe eine Voice-Over-Stimme zur Seite.“
The Gloaming 3 ist ein melancholisches Album. Ein Werk, das Tiefe ausstrahlt und Aufmerksamkeit einfordert. Die Songs dringen in die Seele und reflektieren Leben und Tod. „Das letzte Jahr gab es in meinem Leben viel Trauer.“ Im Frühjahr starb seine Schwester, dann der befreundete irische Dichter und Journalist Liam Ó Muirthile und noch einige andere Bekannte. „Ich denke, die Songs beziehen sich sehr auf die Erkenntnis, die eintritt, wenn man ein bestimmtes Alter erreicht: dass alles vorübergehend ist und wir dies so kraftvoll und ehrlich wie möglich reflektieren müssen“, meint Sänger Ó Lionáird.
Die Musik-Highlights von The Gloaming 3
Fiddle-Spieler Martin Hayes sieht das Album und die Band auf einer Reise. „Es ist aber auch die Reise der einzelnen Musiker, die ihren ureigenen Sweetspot, ihren effektivsten Punkt im großen Ganzen finden. Aus den Kernfähigkeiten heraus spielen wir alle in diesen Aufnahme tiefer als je zuvor.“ Klingt etwas pathetisch, hört sich aber tiefgreifend, klug reduziert und eben auf den Punkt gebracht an.
Das Klangbild von The Gloaming 3 fördert zudem die gediegene Atmosphäre, legt dank feinem Raumgefühl und schöner Auflösung plus authentisch definierten Klangfarben die Ur-Folk-DNA frei, um sie beseelt ins Herz schweben zu lassen. Bei aller Traurigkeit. Eingespielt haben die Fünf das Album in den Reservoir Studios in New York, gemixt wurde bei Sterling Sound.
Das Alte und Neue verbinden zwei Songs, die zugleich den Rahmen des Albums bilden; der Opener „Méachan Rudai („The Weight of Things“, siehe auch Video, Link am Schluss des Artikels) und das Schlussstück „Amhrán Na nGleann“ („The Song of The Glens”). „Die beiden Tracks sind Geschwister, in ihnen geht es um das Ritual des Todes und des Lebens: Beides existiert. Der erste Song erzählt, sehr persönlich, über das Leben und die Schwierigkeit es loszulassen, der letzte Song, unpersönlicher, allgemeiner als der erste, handelt von den Mechanismen des Loslassens.“
Und so bäumt sich am Anfang eine Art Predigt auf, umrahmt von sonorem Piano und tänzelnder Fiddle, um schließlich das Leben zu feiern, während am Ende ein versöhnlicher Sprechgesang mit streicherzarten Melodien in die Ferne zu schweben scheint.
„Ich kann ziemlich leicht auf das reagieren, was emotional vermittelt wird“, so Pianist Thomas Bartlett über das erste Stück. „Iarla hatte diesen Gesang mit sehr minimaler Begleitung aufgenommen, dann ging er weg und ich baute den gesamten Song um diesen Gesang herum auf. Als er zurückkam, war er erstaunt, weil ich immer wieder harmonische Elemente ausgewählt hatte, die direkt auf Dinge im Text zu reagieren schienen, obwohl ich den Text gar nicht verstand. Es ist wie zuvor bei Sigur Rós (Anm. d. Red.: isländische Psychedelic-Rock-Band): Man kann erkennen, worauf es Sänger Jónsi ankommt, auch wenn die Worte Kauderwelsch sind.“
„Áthas“ („Joy“) stammt ebenso aus der Feder des Dichters Ó Muirthile. „Er hat das tatsächlich einige Wochen vor seinem Tod an meine Mutter geschickt. Es enthält auch die Zeilen, die vielleicht das gesamte Ethos des Albums zusammenfassen, indem der Tod eine Möglichkeit wird, das Leben zu feiern: ‚And I let the grief itself / Show without shame / If that’s what I feel.“
„The Pink House“ zelebriert fein ziselierte Miniaturen aus Fiddle und Piano während „My Lady Who Has Found The Tomb Unattended“, eine Geschichte, die ursprünglich aus dem Jahr 1609 stammt, ein tief-profund gespieltes Piano hofiert. Und das Traditional „Doctor O’Neill“ schwingt sich auf über zehn Minuten vom beherzten Fiddle-Intro auf zu einem kammermusikalischen Happening. Zum Einstimmung hier das Video zum Opener „Meáchan Rudai” („The Weight of Things“):
Auch wenn die Stücke von The Gloaming 3 mehr oder weniger Melancholie spiegeln, bewahren sie dennoch eine gewisse Leichtigkeit, geprägt von Hoffnung und Zuversicht. Genau der richtige Stoff, um vor dem Frühling nochmal die triste Jahreszeit ausklingen zu lassen und sich auf das Kommen der wärmenden Sonne vorzubereiten – quasi auf den irischen Frühling.
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