Das ging fix: Gerade mal zwölf Monate liegt ihr jüngstes Album zurück, und schon legen die Killers nach – Corona als Kreativitäts-Booster sozusagen. Doch nach Monaten, in denen auch Brandon Flowers & Co.weitgehend auf sich selbst zurückgeworfen waren, klingt man nun ziemlich verändert: Immer wieder grüßt aus den elf neuen Songs das musikalische Erbe und der Geist von Bruce Springsteen. Wie die Killers nun den Schatten des zusammen mit Bob Dylan größten Gegenwartschronisten der amerikanischen Musik mit ihrer eigenen Silhouette verschmelzen: Das macht The Killers Pressure Machine – obwohl nicht ganz so dicht mit Hits bestückt wie gewohnt – fast so wertvoll wie die vergangenen Stadionrock-Großtaten der Las-Vegas-Helden.
Hoppla, was ist denn hier passiert? Breitwand-Synthies und zackige Wave-Gitarren raus (okay: nicht ganz, aber doch zu weiten Teilen), dafür Harmonika, Banjo und Westerngitarre rein, und statt Hymnen für die Indie-Disco oder das Stadion gibt’s bisher nicht gekannte leise Töne und nachdenkliche Botschaften: Mit „Pressure Machine“ ändern die Killers nach langen Jahren als letzte große Konsens-Band, auf die sich Rock- und Popfans sowohl aus der Indieszene als auch aus dem Mainstream gleichermaßen verständigen konnten, nun erstmals grundlegend den Kurs.
„Schuld“ daran ist – wie so oft – das Alter. Oder nennen wir es: das Erwachsenwerden? Mit exakt 40 Jahren und pandemiebedingt ziemlich auf sich selbst zurückgeworfen („Das erste Mal seit Jahren umgab mich Stille“, erklärt der Killers-Chef – „und aus der Stille erblühte dieses Album, voller Songs, die im Lärm eines Killers-Albums normalerweise untergehen würden“) war es für Brandon Flowers jedenfalls an der Zeit, den Blick zurückzuwerfen auf seine Jugend. Die verbrachte er nämlich nicht durchgehend im Glitzer- und Glamour-Hot Spot Las Vegas, in dessen unmittelbarer Nähe er 1981 (in der einen Steinwurf entfernten Stadt Henderson) geboren wurde und wohin er später wieder zurückkehrte. Vielmehr verschlug es die Familie im Jahr 1991 in eine typisch amerikanische Kleinstadt in the middle of nowhere. Im Fall von Flowers hieß diese Diaspora Nephi, ein Kaff an der Westgrenze von Utah, umgeben von schier endlosen Weizenfeldern. Auf 5389 Einwohner kommen hier null Ampeln, eine Reifenfabrik und das ortsübliche Dutzend an Kneipen, Take-aways und Drugstores – ein Ort, an dem die Zeit stehengeblieben zu sein scheint, eine Szenerie wie in den 1950er-Jahren „Wir haben uns viel darüber unterhalten, wie es für Brandon war, als er als Kind nach Nephi zog und mitten im Nirgendwo gestrandet war“, ergänzt Schlagzeuger Ronnie Vannucci jr. „Und während der Pandemie fühlte es sich plötzlich für uns alle so an, mitten im Nirgendwo gestrandet zu sein.“
Vor diesem Hintergrund verständigten sich die Herren für The Killers Pressure Machine auf einen musikalischen Basisakkord der Nachdenklichkeit, der Reflexion, der Melancholie. Thematisch dominieren nostalgische Lieder voller Erinnerungen an Jugenderlebnisse, an das Gefühl, sich wie in einem falschen Film, wie ein Außerirdischer zu fühlen – und doch in dieser Welt leben zu müssen. „Bei all dem stieß ich auf eine Menge Schmerz, mit dem ich mich noch nie auseinandergesetzt hatte“, sagt Brandon Flowers – „heute kann ich mich diesen Dingen eher stellen als damals, als wir mit den Killers begannen.“
Doch bei allem Schmerz verzichtet Flowers auf bloße Wut und widersteht der Versuchung, mit „Pressure Machine“ eine große Abrechnung anzuzetteln. Stattdessen schwingt er sich zu einer differenzierten Betrachtung der Vergangenheit auf. „Viele Erinnerungen an meine Zeit in Nephi sind zart. Aber die, die mit Angst oder großer Traurigkeit verbunden waren, waren emotional aufgeladen. Doch ich habe jetzt mehr Verständnis für all das als damals, als wir die Band gründeten. Und hoffentlich konnte ich diesen Geschichten und dem Leben in dieser kleinen Stadt, in der ich aufgewachsen bin, mit diesem Album gerecht werden.“
Die Musik auf Pressure Machine
Countryeskes und Rockiges teilen sich die Arrangements in den elf neuen Songs nahezu gleichberechtigt. „West Hills“ eröffnet mit einem zunächst balladesken, dann schunkeligen Banjo-/Fiddle-Arrangement und ungemein persönlichen Tönen. Eine Szenerie fast wie Bruce Springsteen in „My Hometown“ aus dessen „Born In The U.S.A.“-Epos breitet Brandon Flowers hier vor dem Hörer aus, und die Band folgt mit anfangs zurückgenommenem, dann flirrend diffusem, schließlich immer stärker aufbrausendem Spiel. „Quiet Town“ an Position 2 mischt präsente Drums, und Countryrock-Riffs mit einem dezenten Synthieflittern, aber auch hier klingt das Trio mehr nach den Erben Springsteens als nach dem langjährigen Killers-Sound. (Fast schon folgerichtig wirkt es vor diesem Hintergrund übrigens, dass mit Danny Clinch der langjährige Haus- und Hof-Fotograph des „Boss“ auch für die aktuellen PR-Fotos der Killers zu seiner Kamera griff.) Doch es geht noch ländlicher: In „Terrible Thing“ sinniert Flowers wieder zu Akustikgitarre und Harmonika über die Tristesse seiner hier mehr verschwendeten als genossenen Jugendjahre, die gleichwohl tiefe Spuren hinterlassen haben, und „Runaway Horses“ besingt zu zarten Akusikgitarren ein (als Duettpartnerin von Phoebe Bridgers verkörpertes) „smalltown girl with coca cola grin and honeysuckle skin“ – dazu schluchzt eine elektrische Geige wie sonst nur bei einer Bluegrass-Kapelle.
Und wo bleiben die Hymnen, die „Larger Than Life“-Songs, mögen nun Fans der ersten und zweiten Stunde fragen? Nun, umparken im Kopf muss man bei den Killers anno 2021 wie gesagt durchaus, aber es gibt sie schon noch, jene Momente, in denen das Trio die Sterne vom Himmel holt und die Lampen im Saloon ausschießt. In „Cody“ reitet man mit schwelgerischen Harmonien sozusagen in den Sonnenuntergang, „In The Car Outside“ kommt als zackig rhythmisierter Rocker mit ultraschnellen Drums, Keyboardflimmern und einem Brandon Flowers daher, der röhrt wie einst im Mai, und auch „In Another Life“ bringt mit melodischem Pianothema vor weit gewölbtem Soundpanorama ganz großes Kino.
Und doch sind es auf „Pressure Machine“ die leiseren Töne, die die stärksten Eindrücke hinterlassen: „Desperate Things“ etwa, das mit funkelnder, ab und an hübsch verwehter Gitarre und sparsamen Pianoklängen eine amour fou reflektiert und im Mitteldrittel die Soundkulisse einer stimmungsvoll kollabierenden Geisterstadt aufblitzen lässt. Und auch der gemächlich federnde, erneut von einer Fiddle dominierte Titelsong zwischen Ballade und Midtempo-Track zeigt, wie gut den Killers ihre neue Nachdenklichkeit steht.
MusikKlangRepertoirewertGesamt |