Alles so fein wie immer und zugleich überraschend anders: Auf ihrem neuen Album I Am Easy To Find öffnet sich die amerikanische Band The National für eine Fülle an spannenden Musizierkonstellationen und Gesangsduette – und absolviert einen markanten Entwicklungsschritt vom Folkrock Richtung Art-Pop. Und damit wird TheNational I Am Easy To Find zu unserem Album der Woche.
Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden Freunde von hochwertiger Popmusik aus alternativer Produktion bereits das ein oder andere Album von The National im Plattenregal stehen oder auf Festplatte gespeichert haben. Und wer mal drei, vier oder fünf Werke einer Band besitzt, stellt sich zwangsläufig die Frage: Muss es unbedingt ein weiteres sein?
Für TheNational I Am Easy To Find gilt: unbedingt! Denn erstens ist hier manches anders als auf den Vorgängeralben des aus Cincinatti stammenden, in New York ansässigen Quintetts – und zweitens ist das Wichtigste gleich geblieben: The National musizieren so berauschend schön und intensiv wie man sie seit ihrem großen 2001er-Debütalbum oder spätestens 2005 mit Alligator schätzen gelernt hat.
Dabei hatten Frontmann Matt Berninger und die beiden Brüderpaare Aaron und Bryce Dessner (Gitarren, Keyboards, Bass) sowie Scott und Bryan Devendorf (Bass/Gitarre beziehungsweise Schlagzeug) diese neue Produktion im Grunde gar nicht auf der Agenda. Nach dem erfolgreichen Vorgängerwerk Sleep Well Beast standen die Zeichen im Herbst 2017 eigentlich auf Pause und Erholung, doch dann flatterte Berninger eine Mail des Oscar-nominierten Filmregisseurs Mike Mills („Jahrhundertfrauen“, „Beginners“) ins Haus: Ob man denn nicht einmal etwas zusammen machen könne?
Nun gibt es das Ergebnis: TheNational I Am Easy To Find, ein quasi gleichberechtigtes Projekt aus einem 24-minütigen Kurzfilm von Mills mit Oscar-Gewinnerin Alicia Vikander in der Hauptrolle sowie ein 68-minütiges Album im typischen und zugleich so subtil wie nachhaltig modifizierten TheNational-Stil. Film und Platte sind selbstverständlich miteinander verbunden, teilen sich Musik, DNA, Wörter und das gemeinsame Thema: Was bedeutet es in Zeiten wie diesen, Mensch zu sein? Zugleich funktioniert jeder der beiden Teile für sich selbst und verschob zugleich die bisherige Gruppenarchitektur und Arbeitsweise von TheNational: weg von der klassischen Bandkonstellation hin zu größerer künstlerischer Komplexität und einer Vielzahl von Kooperationen mit weiblichen Sängerinnen.
Mit dabei: führende Stimmen aus der angloamerikanischen Independentszene wie Sharon Van Etten, Lisa Hannigan, Mina Tindle oder Kate Staples sowie die langjährige David-Bowie-Begleiterin Gail Ann Dorsey als prominentestem Gast. „Es ging aber nie darum, möglichst viele weibliche Stimmen zu versammeln, sondern wir wollten eine Art Ideenfabrik einrichten, in der viele unterschiedliche Persönlichkeiten ihre jeweilige Identität einbringen“, erläutert Matt Berninger. Auch weitere männliche Mitstreiter wären eine feine Sache gewesen, versichert der National-Frontmann – „aber das hat mein Ego nicht zugelassen“, ergänzt er augenzwinkernd.
Zusätzlich zu diesen Vokalistinnen lieferte eine Fülle an Gastmusikern weiteren kreativen Input; darunter Justin Vernon aka Bon Iver und der amerikanische Keyboarder und Produzent Thomas Bartlett sowie gleich zwei fünfzehn beziehungsweise siebzehn Köpfe starke Streicherensembles, mit denen in New York und Paris aufgenommen wurde. Eine tragende Rolle spielt auch der ein zwei Dutzend Sänger und Sängerinnen zählende Brooklyn Youth Chorus, der in zwei Songs („Her Father In The Pool“, „Underwater“) die Hauptrolle übernahm.
Im Zentrum der Arrangements aber ist das National-Bandkollektiv mit Berningers sonorem Bariton, sich sanft kräuselnden, gelegentlich quirligen und ab und an gar resolut kratzigen Gitarrenriffs („You Had Your Soul With You“), formvollendetem Klavierspiel und bisweilen wie Morsezeichen aus einer entfernten Galaxie dazwischenfunkenden Keyboards – man höre nur „The Pull Of You“. Und Bryan Devendorf klopft mit seinem Drumset das gesamte Spektrum zwischen leisem Hi-Hat-Zischeln und pointiert wirbelnden Beats („Oblivions“), bisweilen überraschend vertrackten Rhythmen („Quiet Light“) und vehementem Rockschlagzeug („Dust Swirls In Strange Light“, „Where Is Her Head“) ab.
Die Musik von TheNational I Am Easy To Find
Gleichwohl prägt eine melancholische Grundstimmung dieses 16 Songs starke, zwischen Folkrock und Art-Pop changierende Set, in dem der eigentliche Gruppenklang nur eine von vielen musikalischen Facetten darstellt. Matt Berningers Formulierung von der Ideenfabrik trifft die Sache ziemlich gut: Hier hört man nicht nur eine Band und ein paar Studiogäste, sondern ein ganzes Künstlerkollektiv, das sich auf einen gemeinsamen Basisakkord einschwingt und in dem jeder Mitwirkende persönliche Emotionen einbringt, zusätzliche Akzente setzt.
Aus diesem fast romanhaften, kurzfilmartig aufgebauten Opus einzelne Songkapitel herauszuheben, macht im Grund wenig Sinn – TheNational I Am Easy To Find lebt und verzaubert als musikphilosophisches Gesamtkunstwerk. Zum Reinstreamen und als repräsentativer Querschnitt durch diesen Soundkosmos bestens geeignet wäre aber folgendes Trio: „Quiet Light“ mit seiner Mischung aus nervösem Beat und herrlichen Kontrapunkten in Form von vollmundigem Piano und gezupften Streichern; „So Far, So Fast“, in dem Streicher, Piano und Chor einen Klangraum von Erhabenheit und sphärischer Weite aufspannen, sowie „Rylan“ mit seinem Kontrast aus griffigen Drums, Piano-Streicher-Dialog und vokalem Wechselgesang zwischen Berninger und Kate Staples.
Die weiteren Tracks: dreizehn Songs über das Menschsein in Zeiten wie diesen: zärtlich, warmherzig, nachdenklich, wütend, resignierend, hoffnungsvoll – das ganze Seelenspektrum und ein fein ziseliertes Klangpanorama zwischen Folkrock, Art-Pop und kammermusikalischem Songwritertum auslotend.
TheNational I Am Easy To Find erscheint bei 4AD/ Beggars im Vertrieb von 375 Media und ist erhältlich als CD, Doppel-LP (Bild), 3-LP-Deluxe-Edition in farbigem Vinyl und als Download.
TheNational on Tour
26.11. Columbiahalle, Berlin
27.11. Columbiahalle, Berlin
01.12. RuhrCongress, Bochum
02.12. Palladium, Köln
04.12. Zenith, München
05.12. Porsche Arena, Stuttgart
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