de
Hans-Peter Lauf
Wer meint, die Compact-Cassette sei ausgestorben, der irrt. Der DJ Hans Peter Lauf schwört noch immer auf das Medium, das uns einst das Aufnehmen beibrachte... (Foto: C. Dick)

Und sie läuft immer noch: LowBeats zu Besuch beim Compact-Cassetten-DJ Hans Peter Lauf

Hans-Peter Lauf, alias „Laufi“ ist Compact-Cassetten-DJ, einer der Letzten im Lande. Wie bitte – Cassetten auflegen…? Wie umständlich. Und der Klang…? Kein Problem für den Wahl-Wendländer, der in seinem CJ-Leben schon zig Events und private Partys am laufenden Band beschallt hat. LowBeats hat den umtriebigen Musik- und absoluten Cassetten-Fan besucht.

Zunächst ein formaler Hinweis zur Schreibweise: Um der Ehre der Compact Cassette (CC) willen, erlauben wir uns ausnahmsweise von den strengen Vorgaben des heiligen Duden abzuweichen und den legendären Tonträgen hier so zu nennen, wie wir es aus den guten alten Zeiten gewohnt sind. Auf keinen Fall trocken Neudeutsch „Kompaktkassette“.

REWIND

Spulen wir erst mal zurück: Wir schreiben das jahr 1963 – was für ein Jahr! John F. Kennedy solidarisierte sich bei seinem Besuch an der Spree mit „Ich bin ein Berliner“, bevor er in den USA ermordet wurde. Im Südwesten der BRD erblickten die Mainzelmännchen das Licht der flimmernden TV-Welt, während in den Röhrenradios Cliff Richard schamlos forderte: „Rote Lippen soll man küssen.“ Wolfgang Hasselbach, seines Zeichens Chefentwickler der legendären Marke Braun, beglückte die HiFi-Welt mit dem TG60: Ein Traum von einem Tonbandgerät und gleichzeitig materialisierte Vision seiner Diplomarbeit über „Magnetbandgeräte“ von Anfang der 50er Jahre.

Im gleichen Jahr stellte der holländischen Elektronikkonzern Philips ebenfalls ein Magnetbandgerät vor – mit ganz anderen Charaktereigenschaften. Das Team um Ingenieur Lou Ottens entwickelte einen „Pocket Recorder“, der Sprache oder Musik aus einer kleinen Kunststoffkassette mit einem Tonkopf herauslas, der Compact Cassette. Sozusagen der miniaturisierte Traum eines Magnetbandspeichers. Etwas filigranes, beinahe zärtliches, im besten Wortsinn handliches sollte es sein, das die Welt fortan beschallen sollte. Sein Debüt feierte der Babyzellen betriebene EL 3300 von Philips dann auf der Berliner Funkausstellung.

Sein „Futter“ im Kunststoffkleid war zehn Zentimeter lang, etwa 63 Millimeter breit und knapp 13 dünn. Die Transportgeschwindigkeit lag mit gut 4,76 Zentimetern in der Sekunde deutlich unter den klangstarken Tonband-Schnellläufern mit ihren 19,05, 38,1 oder gar 76,2 Zentimetern pro Sekunde. Für den HiFi-Gebrauch wirkte das kleine Plastikding im Vergleich dazu wie ein Witz. Vorerst. Denn wie wir wissen, brachten die Techniker über die Jahre hinweg, bis in die Blütezeit der 70er und 80er Jahre hinein, dem Miniband und vor allem den Recordern den guten HiFi-Ton bei. Bis hin zu High-End-Geräten vom Schlage eines Nakamichi Dragon, zum damals augenreibenden Preis von rund 4000 DM. Lou Ottens starb letztes Jahr im Alter von 94 Jahren und hinterließ einen Milliarden-Nachlass an verkauften CCs.

Vorwärts Zurück
Casstten-Band
Tape-Dokus: Bis in die 1990er Jahre hinein war die Compact Cassette bei Interviews ein zuverlässiger Begleiter des Autors, dann übernahmen DAT-Bänder die Aufgabe und Digitalrecorder mit Speicher (Foto: C. Dick)
Cassetten-Typen
Maxell, Sony, Fuji und TDK – das waren damals die Helden der CC-Ära. Bei Hans Peter Lauf sind sie es heute noch (Foto: C. Dick)
Die Klassuiker TDK
Das Elend damals wie heute: Auf der Cassette als auch auf der Hülle bleibt verdammt wenig Platz für Information… (Foto: C. Dick) (Foto: C. Dick)
Cassetten-Beschriftung
Aber man weiß sich natürlich zu helfen. Hier ein seltenes Rezensions-Exemplar von Heather Novas Oyster mit NDA-Vorgaben (Foto: C. Dick)
Vorwärts Zurück

Doch reden wir nicht weiter viel über Hardware. Und verlieren wir auch nicht allzu viele Worte über eine mögliche Retromania der Cassette. Hier geht es um die Live-Bespielung von ganz unterschiedlichem, musikverliebtem Publikum mit dem smarten Tonträger – durch den Compact-Cassetten-DJ Hans-Peter Lauf.

Spulen wir zum Jahr 1975. Ein musikverliebter Twen plant eine Tramper-Reise durch Europa. Was für ein schöner Plan der Freiheit. Der große Trip war jedoch nicht nur in puncto Geografie, sondern auch in Sachen Ökonomie eine kleine Herausforderung für Hans-Peter Lauf. Sprich: Asche, Kohle, Zaster musste her. Und da fiel Laufis Blick auf seine Vinylsammlung. Arg viele Singles, nicht ganz so viele LPs. Die Reise sollte jedoch nicht den Preis der Musikabstinenz kosten. Um unterwegs seinen Schätzen lauschen zu können, hat Laufi seine LPs kurzerhand „vorher auf Cassetten überspielt. Und der Verkaufserlös des Vinyls finanzierte die Abenteuerlust.

Hans-Peter Lauf mit Claus Dick
Im bezaubernden Wendland ticken die Uhren vielfach anders: Hans Peter Lauf (rechts) im Gespräch mit LowBeats Autor Claus dick (Foto: C. Dick)

STOP

Ein sehr pragmatischer Plan des Ex-Münchners und heute Wahl-Wendländers. Im Reiserucksack landeten neben Wäsche und Proviant verschiedenste Cassetten, auch handbeschriftete Mix-Tapes, diese wunderbaren, persönlichen Zuneigungs- oder gar Liebesbeweise, die noch Jahrzehnte später ihren süßen emotional-akustischen Duft versprühen. „Die find’ ich immer noch super, auch wenn ein Tape mal eine Macke oder Bandsalat hat, was bei Mix-Tapes besonders schade ist, weil es ja so etwas wie ein besonderer Brief und eine Erinnerung an jemanden ist“, schwärmt HP Lauf beim Gespräch im Gemüsegarten hinter seiner Landwohnung.

Doch wie soll das gehen: anno 1975 Music-Cassetten unterwegs anzuhören? Der Walkman betrat ja erst 1979 die Bühne. Ganz einfach: Als Unterwegs-Player dienten HP Lauf die Auto-Cassetten-Spieler freundlicher Automobilisten beim Trampen oder stationäre Recorder in mediterranen Unterkünften, wie auf Kreta zur Orangenernte. Auf dem Autorücksitz oder in der Kaschemme nahe der Plantage saßen dann so virtuell-akustisch Bob Marley oder Grateful Dead und andere. Hört sich gut an. Wer hat schon solch einen lebendigen, fruchtig duftenden Eintrag in der Lebensakte?

PLAY

Soweit, so einleuchtend, der Ur-Plan des Medienwechsels von Platte auf Cassette. Wieder von seinem Europatrip zurück in Bayern startete dann langsam die Ära des Cassetten-Auflegens –respektive -einlegens. Zunächst privat, „als ich 1979 in eine Kommune in Bayern gezogen bin. Da kam ich mit der neuesten Musik aus London von Trips zurück, da war viel Reggae dabei – spontan ist da schon mal eine Party in der Küche abgegangen, bei der alle zu meinen Cassetten tanzten.“ Professionell ging es dann auf Partys verschiedenster Couleur weiter.

Es lief also Fast-Forward-mäßig gut in München. „Das hat sich dann in der Stadt herumgesprochen, es kamen Buchungen in Kneipen wie dem Baader Café dazu. Die lassen übrigens seit 30 Jahren für ihre Beschallung ausschließlich Cassetten laufen“, erinnert sich Laufi. Aha. Dort sind wahrscheinlich eben solche sympathische Analog-Fans unterwegs, die zur Pasta Band-Salat reichen.

Aber warum tun sich die Leute das an, dieses umständliche Spulen und Suchen? Hinzu kommt diese schon mal verhuschte, höhenabstinente Soundperformance älterer Cassetten. Ist das Revolutions-Denken auch gegen Digitales in der ehemals aufständigen Republik Wendland an der schönen Elbe? Nein: Was 1975 mit den mobilen Soundtracks seines Europatrips pragmatisch anfing, entwickelte sich zu einer Art Liebe. Und die ist gewachsen, quasi eine Evolution der Beziehung Laufi–Cassette. „Ich hab’ einfach nach wie vor Spaß daran“, so sein lebendiges Statement nach über 45 Jahren. Zudem freut er sich über „Nebeneffekte“ wie gerade eben das Spulen und das eigenhändige Beschriften der Tapes. Und den Cassetten-Effekt findet immer wieder auch sein teils erstauntes Publikum toll, auch wie gut die Musik vom Mini-Band klingt auf Party-Events, wie neulich wieder in Halle.

„Ich finde den Sound allemal besser als Mp3“, so HP Lauf. Und deshalb tummeln sich mittlerweile rund 4000 Cassetten in seinem Archiv, das er auf rund zwei Dutzend Reisekoffer verteilt. „Ich bin kein HiFi-Fetischist, aber jemand, bei dem es möglichst gut klingen soll. LPs klingen schon besser, aber bei mir ist der Tonträger und die Musik wichtiger.“

Hans-Peter Lauf
Von seinem Heimatort im Wendland aus, wo sich in letzter Zeit immer mehr Home-Office-Hipster aus Berlin, Hamburg oder Hannover mit dem Spielgeld von Papa einkaufen, einem kleinen Hygge-Rundlingsdorf, geht’s bis heute immer mal wieder hinaus in die weite Musikwelt (Foto: C. Dick)

Klare Ansage. So sieht eben gewachsene Liebe aus. Und was die systembedingt bestechende Haptik und optische Ästhetik von Vinyl-LPs angeht, findet Laufi bei den kleinen Musikquadern ebenso seine Erfüllung: „Viele meiner Cassetten stammen ja aus den 80er und 90er Jahren und sind Kauf-Cassetten, von kleinen Bands, aber auch von Bob Dylan oder den Beatles – die hatten auch Cover und Booklets dabei, manchmal sogar ziemlich dicke Heftchen.“ Dass Laufi auf Cassetten steht, vorwiegend Chromdioxid-Exemplare, sprach sich rum. Und so bringt der Postmann schon mal Geschenkpakete von Bekannten, gefüllt mit – Cassetten. Auch unbespielte, wie beispielsweise von einem Gönner, der ihm gleich einen ganzen Schubkarren voller eingeschweißter Wickel-Exemplare zukommen ließ.

HP Lauf hat in den Nuller-Jahren trotz seiner Cassetten-Liebe in Plattenläden und beim legendären Label „Hausmusik“ in München gearbeitet, das auch die Herren Joey Burns und John Convertino, bekannt als die Macher von Calexico in ihren Anfangstagen unterstützte.

Hans-Peter Lauf ojmn Tour
Der Compact-Cassetten-DJ HP Lauf im Lampenschein beim Auflegen (Foto: HP Lauf))

Laufi geht in den hinteren Teil des großen holzbeplankten Wohnraums und kramt ein paar ältere, sagen wir, alte Reisekoffer mit Patina unter einem Podest hervor. Klack, klack, öffnet er die metallenen Beschläge, hebt den Kofferdeckel hoch – und das Licht fällt auf eine Armada an Plastikhüllen: „John Cale & Jad Fair“, „Yardbirds, Bluesbreakers“, „Funk!“ oder „Max Goldt“ steht da fein säuberlich handbeschriftet, Stück an Stück, Reihe an Reihe. Einer von Laufis CJ-Koffern. Er zieht einen weiteren zu sich heran, öffnet ihn und nimmt ein paar Cassetten heraus, zum Beispiel „Live At The BBC“ von den Beatles, eine von vielen Kaufcassetten, die schon mal wie erwähnt opulente rechteckige Booklets in der Hülle parat hielten.

Eine verblüffende Sache: In einer Welt, wo DJs beinahe Hightech-bestückt, Rechner und Controller vor sich haben und gleichzeitig auf Bildschirm und Publikum gucken, spult Laufi souverän seine Analognummer ab. Dabei kann er sich voll auf seinen Doppelrecorder konzentrieren – und seine vielen Dutzend Cassetten, die er pro Event mitbringt: In jeder einzelnen hat er das Tape vor einem Event exakt zu dem Song vorgespult, den er auflegen möchte. „die Cassetten sind alle genau beschriftet und ich weiß genau, welche Songfolge läuft. „In der Regel habe ich rund 200 Cassetten dabei, verteilt auf zwei bis drei Koffer.“ Die Cassette hat damit quasi die Funktion einer Single.

Hans-Peter Lauf mit Holz-Kassette
Ton-Skulptur: Laufi mit einer überdimensionalen Holz-Cassette, die er geschenkt bekam (Foto: C. Dick)

AUTO REVERSE

Die Zeiten wiederholen sich. Zumindest scheint es so in puncto Tonträger. Seit einigen Jahren feiert alle Welt ein ausgewachsenes Vinyl-Revival, das der großen runden Scheibe huldigt. Und auch in Sachen Compact Cassette wächst die Zahl der sympathischen Analog-Nostalgiker. Auch dank Stars wie Billie Eilish oder Metallica und Ringo Starr – mit dem ich in den 1990ern ein Interview auf, exakt: Cassette festhielt – gehen die Verkaufszahlen von Kauf-Cassetten wieder nach oben. Zumindest auf niedrigem Niveau, in Großbritannien gingen 2020 laut „British Phonographic Industry“, 157.000 Exemplare über den Ladentisch, das ist der höchste Stand seit 2003. So stabil wie beim Schwestermedium LP scheint die Nachfrage in puncto MC jedoch nicht wirklich zu sein. Zwar stieg hierzulande 2019 die Nachfrage nach Kauf-Cassetten vorübergehend auf rund 200.000 Stück, fiel aber 2020 wieder das Niveau der Vorjahre 2015 bis 2018, so der Bundesverband der Musikindustrie.

Cover
Von wegen keine Cover-Faszination: liebevoll gemachte Compact-Cassetten-Cover (Foto: C. Dick)

Hans-Peter Lauf ist Musikfan von Kindesbeinen an, deshalb hält er sich stets auf dem Laufenden. Aktuell hat er bei bandcamp.com wieder viele neue Kauf-Cassetten gesichtet. Auch das amerikanische Label ‚Mississippi Records’ ist ein Quell der Tape-Freude, oft in puncto Soul, Blues oder Country und Fan-Mixen inklusive Cover. Der Cassetten-Mann liebt Musik vielfältiger Genres und Stile, „ich höre genauso gerne Rockabilly wie HipHop, Reggae und Swing.“ Oder Jazz von Charlie Parker oder John Coltrane nebst Freejazz. Beim CJ-Einlegen, während Live-Events, birgt diese Bandbreite Chancen wie Risiken: „Ich glaube, dass ich ein gutes Gespür für die richtige Musik im richtigen Moment habe.“ Oder eben wie am laufenden Band.

Hans-Peter Lauf Arciev
Schatz-Kiste: In Laufis Ton-Koffern schlummern insgesamt rund 4000 Cassetten, darunter viele Raritäten und selbst zusammen gestellte Tapes (Foto: C. Dick)

Sein Blick fällt wieder auf sein riesiges Kofferarchiv. HP Lauf weiß natürlich um sein opulentes Kulturgut. „Ich hab’ das mal hochgerechnet – zu Lebzeiten würde ich es nicht mehr schaffen, das alles anzuhören …“

Autor: Claus Dick

Avatar-Foto
Musikfachmann seit Jahrzehnten, aber immer auch HiFi-Fan. Er findet zielsicher die best-klingenden Aufnahmen, die besten Remasterings und macht immer gern die Reportagen vor Ort.