Wolf Alice gelten als einer der großen jüngeren Alternative-Rockbands in Großbritannien. Mit ihrem neuen Album knüpfen sie an ihr feines Vorgängeralbum an. Und nach wie vor mit an Bord: kluges Songwriting und die wunderbar wandlungsfähige Stimme von Sängerin Ellie Rowsell. Kein Wunder also, dass wir Wolf Alice Blue Weekend zum LowBeats Album der Woche küren mussten.
Ok, die englischen KollegInnen der Musikjournaille sind manchmal schnell bei der Sache, wenn es darum geht, eine Band von der eigenen Insel zu hypen. Oft liegen sie dabei aber richtig – siehe PJ Harvey oder Hannah Reid von London Grammar – etc., etc. Im Falle von Wolf Alice sieht es ähnlich aus, wenngleich die Band trotz hohem Niveau für die Zukunft durchaus noch etwas Luft nach oben haben wird, was durchaus vertrauensvoll positiv gemeint ist.
Hier hüpft der Hype der Briten etwas übers Ziel hinaus: „The Last Man On Earth“ feierte BBC Radio 1 als „hottest record in the World“…. Mehr zu dem – durchaus wunderbarem Song weiter unten.
Frauen, die (Alternative-)Bands prägen sind nichts Neues. Dennoch gab es in der jüngeren Musikgeschichte immer mal wieder sagen wir Wellen – Phasen, in denen sich Sängerinnen und Songwriterinnen spürbarer in Szene setzen konnten. Abgesehen von den Ur-Müttern wie Patti Smith oder Chrissie Hynde von den Pretenders, die in den 70er Jahren ihren großen Wurf hatten, stechen in den 90ern einige heraus, wie Liz Phair (die übrigens gerade ein schmackhaftes Pop-Album herausbrachte), Veruca Salt oder eine Heather Nova oder Kristin Hersh von den Throwing Muses.
Neuerdings geben speziell auf der Insel die Sängerinnen von London Grammar oder eben Wolf Alice den Ton an. Und zwar mit einer wunderbaren Mischung aus herrlicher Stimmentfaltung plus klugem Songwriting und einem Händchen für patente Mitstreiter, die das Ganze auch packend auf die Bühnenrampe hieven können.
Lob gab es wie gesagt bereits viel. Wolf Alice heimste 2018 den begehrten „Mercury Prize“ für Ihr Album „Visions Of Life“ ein. Seit gut einer Dekade im Dienst, konnten sich die Londoner denn auch einen prominenten Produzenten wie Markus Dravs leisten (Björk, Brian Eno, Florence + The Machine, Arcade Fire). Und unter dessen Regie liefen Ellie Rowsell (Gesang, Gitarre, Keyboards), Joff Oddie (Gitarre, Keyboards), Theo Ellis (Bass) und Joel Amey (Schlagzeug) zu Höchstform auf. Die Texte vertiefen sich gerne in persönliche oder gesellschaftliche Themen, dank Ellie’s lyrischer Ader entstehen so oft anrührende kleine Kurzgeschichten, auch traurige.
Das melancholische Wochenende – „Blue Weekend“ – kommt als beeindruckend souveränes Alternative-Rock-Album daher. Und das klingt so:
Die Musik von Wolf Alice Blue Weekend
Die Brüsseler ICP-Studios bildeten das Domizil für die neuen Aufnahmen. Die Band fühlt sich dank der herzlichen Atmosphäre inklusive Wohnmöglichkeiten dort pudelwohl – bereits ihre EP „Creature Songs“ nahmen die Londoner in Belgien auf. Das Klangbild gefällt dank schöner Plastizität und Auflösung nebst ordentlichem Bass-Drive, wo nötig.
Gleich zu Beginn lockt ein Ausflug zu „The Beach“ mit minimalistischen E-Gitarren, dezent eingesetzten Drums und glockenheller Stimme von Ellie Rowsell – was ruhig, mit leichtem Wellengang begann, setzt sich vehement aufwallend fort und steigert sich kurzzeitig in eine kleine Rock-Ekstase. Nach 2:35 legt sich der Sturm wieder, um „Delicious Things“ freien Lauf zu lassen: Darin steckt ein federnd angelegter Rock-Rhythmus, mit hymnischen Melodienbögen gesegnet, psychedelisch pastellig betupft und dank Break schön aufgelockert. „Lipstick On The Glass“ wandelt etwas auf den Spuren einer PJ Harvey – dezent gezupfte Saiten, engelsgleiche Stimme und ein rockiger Drive in einem schönem Raumambiente machen Laune. „Smile“ versucht dem Zuhörer ein Lächeln mit röchelnden Synthies und knallharten Riffs zu entlocken, inklusive Drum-Drama und unschuldigem Sprechgesang. Gelungen.
„Safe From Heartbreak“ wiederum lässt beinahe schon ein bisschen 70er-Jahre Folk-Feeling aufblitzen, dank sonniger Stimmung und Akustikgitarren. „Play The Greatest Hits“ hämmert und pocht als krachender Punk-Überfall, ein bisschen Pussy Riot 2.0 … „The Last Man On Earth“ gibt sich in Slow-motion-Manier mit zarten Pianoanschlägen, verhaltenem strahlendem Stimmeinsatz, verwoben mit wärmenden Melodien. „Es geht um die Arroganz der Menschen“, so Sängerin Ellie. Am Schluss geht’s nochmal zurück zum Strand: „The Beach II“ offenbart sich als passender Ort für Handclaps, fette Basslinien und helle Stimmen, zu denen es sich prächtig bei einem Sundowner in die Abendsonne blinzeln lässt. Was für ein bereicherndes „Blue Weekend“ – ein alternatives Rock-Stück, das Appetit auf mehr macht.
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