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Alicia Keys: Here 2016
Alicia Keys: Mit "Here" veröffentlicht die Pop-Ikone ein erstaunlich politisches Album – einen Tag vor der Wahl zum amerikanischen Präsidenten/Präsidentin (Foto: P. Kudacki / Sony Music)

Alicia Keys Here – CD der Woche 45/2016

Die neue Alicia Keys
Outfits als Statements: Alicia Keys heute … (Foto: P. Kudacki / Sony Music)

Alicia Keys Here, die LowBeats CD der Kalenderwoche 45 kommt in der Woche der Entscheidung über den künftigen amerikanischen Präsidenten von einer US-Künstlerin, die sich (wie hoffentlich ausreichend viele ihrer Landsleute) ernsthafte Gedanken über Zustand und Zukunft ihres Heimatlandes macht.

Gut so, findet LowBeats Musikautor Christof Hammer, denn in warmen und nachdenklichen, aber keineswegs altmodischen Songs zwischen Folk, Soul und Blues wirft die Sängerin und Pianistin Alicia Keys einen scharfen Blick auf das Amerika im „Here“ – und entdeckt dabei so viel sozialen und politischen Sprengstoff, dass sie sich als Musikerin auf ebenso berührende wie überzeugende Weise fast neu erfindet.

Es sind die schwarzen Künstlerinnen Amerikas, die derzeit am hörbarsten die Schnauze voll haben von ihrem Land. Spätestens seit den Polizeimorden von Ferguson absolvieren Musikerinnen wie Beyoncé oder Rihanna einen bemerkenswerten Wandel von gestylten R&B-Ladies hin zu engagierten Führungsfiguren der „Black Lives Matter“-Bewegung – ohne freilich ihre Weiblichkeit aufzugeben.

Bei Alicia Keys Here fällt der Wandel nicht ganz so radikal aus. Zwar spielte auch sie zwischenzeitlich mit expliziter Sexyness und konnte den Versuchungen eines geschmeidig-zeitgemäßen R&B-Sounds nicht völlig widerstehen, dennoch blieben ihre Lieder immer eher A Moll statt C-Dur – nicht zufällig trug ihr 2001er-Debütalbum den Titel Songs In A-minor.

Alicia Keys Here  – ein Statement gegen gesellschaftlichen Niedergang

Here zeigt sie nun – siehe Cover – so nackt und ungeschminkt wie nie. „Mit diesem Album bin ich im ‚Hier‘ angekommen, an einem Ort, wo ich mich offen und ehrlich im Spiegel anschauen möchte“, erklärt die mittlerweile 35-Jährige New Yorkerin. „Ich will die Wirklichkeit sehen, will sehen, zu welchem Menschen ich in dieser Welt geworden bin. Ich will das Gute sehen, das Hässliche, Schatten und Licht. Wenn wir uns

Alicia Keys 2012
… und 2012: beide Male kleidungstechnisch sozusagen reduziert aufs Nötigste – aber es liegen nicht nur vier Jahre, sondern geradezu Welten dazwischen (Foto: M. Di Battista / Sony Music)

weiter entwickeln und gegenseitig akzeptieren wollen, müssen wir zunächst unsere eigene Komplexität erkennen. Wir müssen in der Lage sein, uns gegenseitig dort zu begegnen, wo wir sind: im ‚Hier‘“, sagt sie – und wird mit Here auf leise und subtile Art sozusagen das nächste Mitglied der „Black Matter Lives“-Bewegung.

In dreizehn „richtigen Songs“ und fünf kleinen Interludes („Snippets“ mit Dialogen und Geräuschkulissen aus dem ganz normalen Alltagswahnsinn) reflektiert sie über die Themen des (schwarzen) Gegenwarts-Amerikas:

Polizeiwillkür, Waffenwahn, falsche Schönheitsideale, einen Lebensstil, der Mensch und Natur gleichermaßen zugrunde richtet: explizit in der Haltung, aber ruhig, ohne jede Aggressivität oder deklamatorischen Ton.

Keys’ Klavierspiel erstrahlt immer noch in fast klassischer Schönheit, ihr Gesang verweist häufig auf Gospel und Soul der Sixties, eine akustische Gitarre auf das Singer-Songwritertum der 70er Jahre.

Drum herum prägen Blues, Folk und Jazziges den Sound (elegant in „In Common“; bewegend in „Holy War“, schmerzhaft intensiv in „Illusion Of Bliss“), während HipHop oder der R&B der 2000er-Jahre auf ihre Wurzeln reduziert wurden.

Kein vertontes Flugblatt also steckt hinter Alicia Keys Here, sondern eine Sammlung von politischen, aber feingliedrigen Songs, die sehr klar ein Amerika analysieren, das seine Werte und Ideale längst verraten und verkauft hat (woran eine Präsidentschaft Barack Obamas enttäuschend wenig ändern konnte).

Und ein Album, dem man wünschen würde, das es auch von all jenen gehört wird, die dessen gesellschaftlichen und moralischen Niedergang selbst maßgeblich vorangetrieben haben und das Ergebnis nun mit Krokodilstränen beweinen.

Alicia Keys Here 2016
Alicia Keys Here ist ein erstaunlich politisches Album der Pop-Ikone – einen Tag vor der Wahl zum amerikanischen Präsidenten/Präsidentin (Cover Amazon)

Alicia Keys Here erscheint bei RCA / Sony Music und ist als Audio-CD. MP3-Download und Doppel-LP erhältlich.

Alicia Keys Here
2016/11
Test-Ergebnis: 4,0
SEHR GUT

Bewertung
Musik
Klang
Repertoirerwert

Gesamt

Autor: Holger Biermann

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Chefredakteur mit Faible für feinste Lautsprecher- und Verstärkertechnik, guten Wein und Reisen: aus seiner Feder stammen auch die meisten Messe- und Händler-Reports.