Stecker gezogen in Down Under: Die australische Singer-Songwriterin Courtney Barnett lud in Melbourne Musikergäste zum Unplugged-Happening – und feierte mit ihren charmanten Alternative-Folk-Songs gleichzeitig den 30. Geburtstag des klassischen Live-MTV-Formats. Courtney Barnett MTV Unplugged Live! ist unser das Album der Woche
Eigentlich dachte die talentierte Künstlerin aus Sydney früher mal daran, als Tennisspielerin einen Karriereaufschlag zu machen. Aber nix da, der Drang Zeichnen und Fotografie zu studieren war stärker – was sie auf der Aussie-Insel Tasmanien dann auch zwei Jahre lang machte. Doch ihren tasmanischen Kreativ-Teufel trieb sie dann flugs mit einem Instrument aus, das sechs Saiten zählt – in Melbourne zupfte die heute 31-Jährige fortan lieber in diversen Bands und gründete vor acht Jahren sogar ihr eigenes Label „Milk!“. Viele ihrer Artworks für Alben-Hüllen oder Instagram-Postings zeigen, dass Courtneys Zeichentalent nach wie vor schöne Früchte trägt.
Ihr 2015er Debütalbum Sometimes I Sit And Think, And Sometimes I Just Sit, das der EP A Sea Of Split Peas von 2013 folgte, stürmte bis auf Platz 4 der Down-Under-Charts vor und landete in den USA unter den Top Twenty. Der gemütliche Albumtitel ist teils Programm: Denn Courtney lässt es mit ihren Sprechmelodien gechillt angehen, pickt sich dabei jedoch durchaus ernste gesellschaftliche Themen heraus und entlarvt ironisch-gewitzt so manch fragwürdigen Glaubenssatz des (westlichen) Daseins.
Das 30 Jahre alte „MTV-Unplugged“ ist ihr sozusagen ein bisschen in die musikalische Wiege gelegt, Courtney verbindet damit einige historische Sessions und Vorbilder: „Unplugged ist für mich mit Nostalgie behaftet. Als ich klein war, hatten wir zwei Unplugged-Platten in unserer CD-Sammlung, und die kannte ich in- und auswendig, weil wir sie jeden Tag gehört haben.“ Unter ihren Helden tummeln sich beispielsweise Kurt Cobain von Nirvana. Da wären aber auch Bob Dylan oder ein Lou Reed von Velvet Underground, dem sie mit ihrer teils schnoddrigen Art ein bisschen genervte Eloquenz abgeschaut zu haben scheint.
Sie mimt das aber charmanter. Viel charmanter. Und mit dieser eigenständigen Melange wurde Courtney Elba Barnett 2016 sogar als „Best New Artist“ für einen Grammy nominiert. Damit und dank ihrer Offenheit für das Zusammenspiel mit anderen Musikern heimste sie zudem stets globale Anerkennung ein – vom „Bataclan“ in Paris über Auftritte in Südamerika bis hin zu Sessions in Japan. Vor allem im schrulligen Teamwork mit dem US-Kollegen Kurt Vile haben sich zwei gefunden, die wie Zwillinge kauzig-sympathisch kollaborieren.
Und nun dieser Unplugged-Sommerabend auf der südlichen Halbkugel, am 22. Oktober 2019. In der „Howler“-Bar-Lounge im Herzen von Melbourne, die ein bisschen aussieht wie ein überdimensionales Gewächshaus, strahlen Lichterketten über ein baldachinartiges Blumen-Meer. In der Nähe gibt’s einen „ALDI“, zum Pazifikhafen „Port Phillip“ sind’s etwa zehn Kilometer. Eingeladen hat MTV Australia. Acht Songs sollten es werden, aus unterschiedlichen Schaffensphasen, mit Highlights wie „Depreston“ oder „Avant Gardener“ sowie „Sunday Roast“.
Die Setlist umfasst aber auch außergewöhnliche Coverversionen von Leonard Cohen (So Long, Marianne“), dem schwarzen australischen Sänger Archie Roach und der Rockband Seeker Lover Keeper („Not Only I“). Als Dreingabe stimmt Courtney ihren neuen Song „Play It On Repeat” an. Courtney Barnett schreibt im Booklet zum Album übrigens: „Das Konzert fand auf dem Land der Wurundjeri statt. Es war und wird immer Land der Aborigines sein“ (in der Gegend nördlich von Melbourne, Anm. der Redaktion). Ein schönes Statement in Zeiten von postkolonialen Strukturen in so manchen Ländern.
Die Musik von Courtney Barnett MTV Unplugged Live!
Gemischt hat das Album Callum Barter, der auf 15 Jahre Erfahrung in den USA und Australien zurückblickt und in der Nähe von Los Angeles wohnt. Als Master-Mind zeichnet Kollege Guy Davies. Die beiden haben im Sinne der Unplugged-Tradition ihre Sache gut gemacht: Der Klang taucht zwar nicht in audiophile Gefilde hinein wie die jüngsten Alben von David Roth oder Ibrahim Ferrer, überzeugt jedoch mit homogenem, ausgeglichenem Charakter, schönen Farben und sattem Bassdruck wo nötig.
Auf den Studioalben von Courtney tanzen Gitarrensaiten und Stimmbänder im Rhythmus von teils rockigem Alternative-Folk oder flirten gar mit moderaten Verwandten des Grunge. „Unplugged“ verströmen die Songs andere Facetten, blühen aus der Tiefe des Notenblatts heraus gediegenere, samtenere Schattierungen und Töne auf. Dafür sorgen auch ihre Kollegen mit handgemachter Akustikmusik, die auch dank mehrstimmiger Background-Vocals Session-Feeling aufkommen lassen.
Klar, dass ihre Stammband mit Dave Mudie (Schlagzeug und Backing Vocals) und Bones Sloane (Bass, Backing Vocals) mit von der Partie war. Obendrein streicht Lucy Waldron ihr Cello unerhört facettenreich, was den Songs eine ganz besondere Strahlkraft verleiht. Zudem gesellten sich noch Freunde wie Songwriter Paul Kelly (Gitarre, Mundharmonika auf „Charcoal Lane“), der Neuseeländer Marlon Williams (Gitarre, Gesang auf „Not Only I“) und Evelyn Ida Morris (Piano, Gesang auf „Nameless, Faceless“; „Avant Gardener“). „Es war interessant, die Songs durch einen anderen Filter zu betrachten, und es fördert diese andere emotionale Seite der Musik und der Texte zutage“, meint Courtney. Und damit hat sie recht. „Meine Lieder beschreiben mich als normaler Mensch mit normalen Gefühlen, damit gibt es großartige Höhen aber auch große Tiefen. Das umfasst alles in meinem Leben.“
Aus dem Nachlass des verstorbenen kanadischen Songpoeten Leonard Cohen pickte sich Courtney den Dauerendschleifen-Song „So Long, Marianne“ heraus. Daran haben sich in der Historie bereits Promis wie John Cale, Beck oder Suzanne Vega versucht – Courtney inszeniert den Song von 1967, der von Cohens Bekanntschaft mit einer gewissen Marianne Ihlen auf der griechischen Insel Hydra handelt, mit stimmlicher Finesse.
Aber auch eigene Songs wie „Avant Gardener“ oder „Depreston“ glänzen mit schöner, handgemachter Akustik – und Courtney-typischen Texten:
„… I sleep in late another day oh what a wonder oh what a waste.
It’s a monday, it’s so mundane, what exciting things will happen today?
The yard is full of hard rubbish it’s a mess and I guess the neighbours must think we run a meth lab.
We should ammend that, I pull the sheets back, it’s 40 degrees and i feel like i’m dying.
Life’s getting hard in here so i do some gardening…“
„…We drive to a house in Preston, we see police arresting a man with his hand in a bag.
How’s that for first impressions? This place seems depressing.
It’s a “Californian bungalow in a cul-de-sac”.
It’s got a lovely garden, a garage for two cars to park in (“or a lot of room for storage if you’ve just got one”)…
Man wird bestimmt noch viel mehr von Courtney hören.
Links zu Videos:
Unlugged in Melbourne, die Coverversion von Leonard Cohens „So Long, Marianne“
„Avant Gardener” (mit Courtney im Tennis-Outfit, eine augenzwinkernde Assoziation auf ihren früheren Karrierewunsch Tennisprof zu werden)
„Depreston“
Teamwork mit Kurt Vile: „Over Everything“
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