Gemeinhin stellen wir Ihnen an dieser Stelle Musik-Neuheiten vor. Dieses Mal verweisen wir auf zwei Alben, die schon 20 Jahre auf dem Buckel haben und trotzdem für die meisten unserer Leser neu sein werden, weil sie – so die einhellige Meinung der Fachpresse – “unter dem Radar laufen”. Das stimmt. Und es ist nicht gerechtfertigt. Das befand wohl auch der vielfach ausgezeichnete Journalist Steve Silverman, der die Neuauflage (n) mit zusätzlichen Texten bereichert. Deshalb wollen auch wir an dieser Stelle noch einmal das Scheinwerferlicht auf die CPR-Alben CPR und CPR Just Like Gravity lenken. Es sind unsere Musik-Tipps der Woche.
Hinter dem Kürzel „CPR“ verbergen sich drei illustre, beseelte Profis aus dem kreativen Westcoast-Musik-Yachthafen: als Galionsfigur allen voran David Crosby, Mitglied von Crosby, Stills, Nash (& Young), im Team mit Sohn James Raymond und Gitarrist Jeff Pevar. Dem Trio gelang 1998 und 2001 das Kunststück, auf zwei feinen CDs das Genre mit schlau gesetzten Jazztupfern neu zu beleben. Die Neuauflagen der beiden über die Jahre mitunter raren Alben beeindrucken insofern nach wie vor mit exzellentem Songwriting – und ohrenschmeichelndem HiFi-Klang.
Wie das Leben so spielt: 1994, im Jahr seiner lebensrettenden Lebertransplantation, traf David Crosby seinen einst zur Adoption gegebenen Sohn Raymond das erste Mal wieder. Die beiden verstanden sich auf Anhieb blendend. Auch in puncto Musik. Raymond hatte, ohne von seinem prominenten Vater zu wissen, an der California State University in San Bernardino ein Musikstudium begonnen und spielte Keyboard mit Jazzern wie Ronnie Laws. Auch Vater David frönte schon lange – neben dem melodiensüchtigen, erfolgreichen Folk-Rock von Crosby, Stills Nash (& Young) und seiner einstigen Hauptrolle bei den Byrds – tief in seiner Seele dem Jazz und anderen Genres.
Als Crosby im Tourbus von CSN eine Demo-Compactcassette von Raymond einschob, hörte er gleichermaßen verblüfft wie begeistert einen Song, aufgenommen in einer Garage, mit dem Titel „Morrison“. Der war dem tragischen Leben von Doors-Sänger Jim Morrison gewidmet, assoziiert vom 91er Kinofilm „The Doors“ von Oliver Stone. Der Song sollte später der Opener für das erste CPR-Album werden.
Für beide fing das Leben sozusagen neu – und bereichert an. Um die entdeckte musikalische Seelenverwandtschaft zu stärken, machten Vater und Sohn später mit dem Tour-Gitarristen Jeff Pevar gemeinsame Sache. Gemeinsam transformierten sie den Westcoast-Stil in neue Sphären und ließen den Jazz dabei ein gehöriges Wörtchen mitreden.
Trotz ihres hochkarätigen Inhalts gerieten die beiden Studioalben von CPR beinahe in Vergessenheit. Musik, die laut Steve Silberman zu Unrecht „unter dem Radar“ der meisten Kritiker flog und schnell vergriffen war. Die zwei wieder aufgelegten CDs bereichern nun Booklet-Essays des preisgekrönten Journalisten, Schriftstellers und Crosby-Kenners Silberman, mit dem er zudem den Podcast „Freak Flag Flying“ moderierte. Übrigens sind neben diesen beiden Studiowerken auch die zwei packenden Live-Alben Live At Cuesta College und Live At The Wiltern erschienen.
Bereits das 98er Debüt CPR belegt die wieder erlangte Kreativität und Lebendigkeit Crosbys, dem die Zeit mit CSN hier und da offensichtlich etwas zu langweilig wurde. „Bei CPR wurde mir bewusst, dass die Welt von CSN&Y alt wurde und an ihrem Platz feststeckte, und dass ich immer noch in Bewegung bleiben musste,“ so der heute 79-jährige Crosby. „Dass ich mehr und andere Musik in mir hatte, die Raum zum Wachsen und Entwickeln brauchte. Mit CPR fand ich meinen Sohn James wieder und erkannte ziemlich schnell, dass er ein noch besserer Musiker war als ich – und schnell der beste Schreibpartner wurde, den ich je hatte.“
In der Tat: Die zwei CPR-Alben formierten sich zu einer Art Vorläufer und Blaupause für die Werke von Sky Trails, Lighthouse oder Here If You Listen (siehe CD der Woche 8. November 2018).
Song-Highlights von CPR Just Like Gravity sowie CPR
Grundsätzlich gehen beide Alben stilistisch beinahe nahtlos ineinander über, wobei Just Like Gravitiy noch etwas mehr Finesse und Detailarbeit versprüht als CPR. Schade: eine Hand voll Bonustracks hätten solch einer Neuauflage gut gestanden …
Doch fangen wir an mit dem bereits erwähnten Debüt-Album-Opener „Morrison“, gewidmet dem von Regisseur Oliver Stone inszenierten tragischen Helden und Sänger der Kultband The Doors. Wie gesagt, flossen die Textzeilen vom Vater und die Noten vom Sohn zu einem harmonischen, Jazz- und Blues-angehauchtem Westcoast-Cocktail zusammen – kralliges Piano, mehrstimmige Vocals und die strahlende Stimme Crosbys inklusive.
So ähnlich zackig integrierte beispielsweise Jeff Porcaro von Toto das Piano – oder „James Newton Howard & Friends“, auf dem audiophilen Klassiker, erschienen 1984 auf Sheffield Lab („Direct From The Masters“) – will meinen, vom digitalen Zweispurband. Aber auch ein Donald Fagen, Sänger und Tastenmann von Steely Dan, hätte seine Freude an den teils jazz-getränkten Songs gehabt.
„He was lost and I don’t think
he wanted it that way
like a gull blown inland on a stormy day
Lost in round one
Spitting out pieces of his teeth
Lost in a Paris graveyard
Carrying his own wreath …
And somehow I
Have to learn from this
Cause I can hear him cry
And feel the hiss …”
Hier wie bei den anderen Songs erhielt das Trio Unterstützung von Kollegen wie Leland Sklar (Bass), Luis Conte (Percussion), Steve Tavaglione (Saxofon) oder Steve Di Stanislao an den Drums, ebenso wie Russ Kunkel („That House”). Auf Just Like Gravitiy waren zudem Musiker wie Jamaica Rafael (Pizzicato-Violine), Andrew Ford (Bass) oder Steve (Alt-Flöte) dabei. Und wenn David Crosby seinen alten Freund Jackson Browne (siehe auch CD der Woche vom 6. April 2020) für „das beste Studio in der Stadt“ lobt, meint er damit Brownes’ Groovemasters Studio in Santa Monica / Los Angeles, wo die Aufnahmen teilweise entstanden sind.
An dieser Stelle sei der Klang der beiden Alben erwähnt: Das Debüt CPR, punktet mit ausgewogenen Klangfarben, Druck und Auflösung, der Nachfolger setzt noch einen drauf und beeindruckt mit mehr Feindynamik und Luftigkeit.
Gleich der zweite Song auf CPR „That House“, gerät zum gediegenen Folk-Stück, getragen von Akustikgitarre und Piano – plus Background-Vocals. „Somebody Else’s Town“ stupft das Gemüt mit zackigen Drums plus R&B-/Funk-Blues-Appeal. Dann, wunderbar: „Rusty And Blue“ – siebeneinhalb Minuten Einigkeit im Flow von Gitarren, Piano, Bass, Stimme(n)…. Fein. „It’s All Coming Back To Me Now“ glänzt mit polierter Orgel, singender E-Gitarre, federndem Rhythmus und energischer Stimme Crosbys.
Dann das Album Just Like Gravity: Es glänzt wie gesagt hier und da mit noch etwas mehr Raffinesse in den Arrangements.
Zum Beispiel: „Map To Buried Treasur“ – wie schön und anmutig gleich am Anfang die Vocals anheben zum glorreichen Melodienflug. „Breathless“ ist einer der Songs, die an Toto erinnern – und trotzdem ihre souveränen Eigenständigkeit ausstrahlen. „Jerusalem“ geht als klassischer Westcoast-Rocker durch, knackige Drums, schöne Harmonien. Die Sonne scheint.
„Katie Did“ poppt und wippt, E-Gitarre, Vocals und Drums sind auf Zackigkeit gestimmt. „Coyote King“ verströmt wieder dieses typische markant-sehende Westcoast-Gefühl: Die Zukunft wird gut, mehrere Vocals, Piano-Flow, dezent verwobenes Gitarren-Solo und helle Melodien können sich nicht täuschen. Kein Kitsch, einfach schön.
David Crosby: „CPR war eine wunderbare Chemie, aus der die ‚Sky Trails’-Band geworden ist. Ich glaube nicht, dass sehr viele Leute diese Platten gehört haben, aber ich glaube, dass sie zu den besten Arbeiten gehören, an denen ich je beteiligt war. Viel Spaß damit.“
Den haben wir durchaus.
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David Crosby Here If You Listen (LowBeats Album der Woche vom 8. November 2018)