Von Avantgarde bis Pop, von Prog-Rock bis Ambient-Jazz: David Bowie irritiert ein letztes Mal als Meister der musikalischen Extravaganz – und hinterlässt mit Blackstar ein großartig verstörendes Vermächtnis.
„★“ – das Vermächtnis
Eigentlich könnte man diese Disc gleich doppelt besprechen. Einmal so, wie man sie die ersten zwei, drei Mal gehört hat in den ersten Januartagen 2016 – „★“ (Black Star) erschien ja noch zu David Bowies Lebzeiten. Eine zweite Rezension müsste das Album dann aus posthumer Perspektive betrachten. Hat Bowie in Tracks wie „Blackstar“ schon seinen eigenen Tod besungen? Kann man dieses Werk also überhaupt normal betrachten, hören, und die Umstände drum herum ausklammern? So viele Dinge überlagern sich bei „Blackstar“, so viele Ebenen überschneiden sich: hier das Jubiläumsalbum (sein 25.), da die „Geburtstags-CD“ (die Platte erschien an Bowies 69. Geburtstag), dort sein musikalisches Vermächtnis … wo nur anfangen? Die Irritationen beginnen übrigens schon beim Albumtitel: Eben nicht „Blackstar“ lautet die offizielle Schreibweise der neuen Songkollektion, sondern: „★“. Symbolismus pur.
Auf „★“wirkt Bowie wie ein Geburtstagskind, das aus diversen Gründen völlig aus der Rolle fällt. Unten stehen die fein herausgeputzten Gäste und wollen gratulieren – und der Hausherr kommt mit drei-Tage-Bart, Zigarette im Mundwinkel und Whiskytumbler in der Hand die Treppe herunter, um leicht verwildert die Honeurs entgegenzunehmen: erkennbar angegriffen, etwas derangiert – aber zugleich mit verwegener Lust am Leben, an der Musik und mit der Haltung eines Gastgebers, der keine Rücksicht mehr darauf nehmen muss, was für einen Eindruck sein Auftreten auf sein Publikum macht.
“Blackstar” ist ein schönes, aber verstörendes Werk
Es ist ein verstörender Auftritt, den Bowie hier hinlegt – im besten Sinne. Die Stimmungsschwankungen sind enorm, die musikalische Bandbreite ist immens. Mal heißt es, Bowie habe mit „Blackstar“ zum Jazz (zurück-) gefunden, andere wollen Prog-Rockiges mit King-Crimson-Einflüssen in den neuen Songs ausgemacht haben, und natürlich tauchen auch die britischen Kunst-Popper Radiohead als Referenzgrößen auf. Bowie kommentierte all dies nicht. Kein Interview begleitete die Veröffentlichung, kein Twitter-Zeilchen. Stattdessen sprach sein Stammproduzent und Bruder im Geiste, Tony Visconti. Das Ziel von „★“ sei gewesen, „Rock ‘n Roll zu vermeiden“. Das wurde mit Bravour erreicht. Wobei sich die Rock-Ferne von „★“ just in jenen Songs am deutlichsten zeigt, die noch am ehesten einen entsprechenden Background besitzen. Das Schlagzeug von „’Tis A Pity, She Was A Whore“ scheppert nämlich durchaus rock-kompatibel – der Rest dieses Songs entpuppt sich aber also völlig genre-indifferenter Grenzgang von Jazz über Art-Pop bis Kunstlied. Ähnlich verhält es sich mit „Lazarus“, geschrieben für ein gleichnamiges Off-Broadway-Stück (eine Fortsetzung des 1963er-Romans „Der Mann, der vom Himmel fiel“, in dessen Verfilmung Bowie 1976 eine seiner denkwürdigsten Rollen als Schauspieler hatte): Auch hier erhält man in Gestalt einer bratzigen Gitarre ein vermeintliche Stück Rockmusik, und wieder biegt der Song in verwirrende, obskure Gefilde ab. Zur zentralen Figur in den Arrangements wird der US-Saxofonist Donny McCaslin, dessen Instrument mal so voluminös tutet wie das Nebelhorn eines Atlantikdampfers, dann mit flirrender Virtuosität im Stile von Freejazz-Ikone Ornette Coleman umherlichtert. Im sinisteren Titelsong klingt Bowies Gesang dann wimmernd, barmend. Das Video: eine beklemmende, bedeutungsschwere Bilderflut voller Motive zwischen Qual, Ekstase, Sinnlichkeit, Verheißung, Verfall, Erlösung.
Das Ende von “Blackstar” ist versöhnlich
Auf der anderen Seite des Skala: „Sue (Or In A Season Of Crime)“: verstörend oszillierend, rhythmisch vertrackt, hypernervös unterwegs Richtung Art-Rock. Dazu Bowie als eine Art Crooner mit dunkler Seele – würde „der, dessen Name nicht genannt werden darf“ (Ihr wisst schon, wer) je mit dem Singen anfangen, so würde er sich vielleicht anhören. Dann „Dollar Days“: fast ein Chanson; und McCaslins Saxofon tönt hier beinahe edel, mondän und nach einem New Yorker Jazzclub, kurz bevor die Putzkolonne die Spuren einer bizarren Nacht wegwischt. „I Can’t Give Anything Away“ klingt zum Finale dann betörend elegant, versöhnlich und freundlich und mischt federnde Dance-Grooves mit einer leichtfüßigen Rockgitarre. Bowie am Ende, am Ziel, auf dem Weg ins Paradies, erlöst von allen irdischen Qualen? Die Antwort kennt nur er selbst.
Max Worthmann
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