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Hannes Wader bei Stockfisch Records
Zu Gast bei Freunden:: Hannes Wader spielte sein jüngstes Album "Noch hier" für das audiophile Label Stockfisch Records ein, bei Studio-Ass und Arrangeur Günter Pauler.

Die audiophile Aufnahme: Hannes Wader „Noch hier“

Ein Urgestein deutscher Liedermacherkunst feiert 80. Geburtstag und veröffentlicht dazu ein anmutiges Album mit anrührenden und gewitzten Stücken – sowie prominenten Gästen wie Reinhard Mey. Aufgenommen von Günter Pauler auf seinem Stockfisch-Label ist Hannes Wader „Noch hier (was ich noch singen wollte)“ unser audiophiles Album der Woche.

Ein Poet, ein politischer Kämpfer, ein sensibler Verfechter von Gerechtigkeit, ein Ästhet. Und ein virtuoser Liedermacher und Chansonier. Die gesamte Person Hannes Wader macht jedoch mehr aus als die Summe seiner Begabungen und seines Schaffens. 80 Jahre und ziemlich weise: Das Urgestein deutscher Liedermacher-Gilde blickt noch einmal auf ein reifes, bewegtes Leben zurück. Und so wurde sein erstes Studioalbum (nach sieben Jahren Abstinenz) sozusagen zum Soundtrack seines Lebens.

Und das begann 1942, „in Bethel bei Bielefeld. Sozialstatus der Eltern: arm, aber verhältnismäßig sauber“, so der Barde. Erste Auftritte sollte der kleine Hannes bereits bei Familienfesten haben, „mit dem Lied: Auf der Reeperbahn nachts um halb eins. Ich singe, wie Miles Davis Trompete spielt, immer mit dem Rücken zum Publikum.“

Machen wir einen Zeitsprung: Nach seiner Lehre als Dekorateur, studiert er Grafik, um in Berlin dann seiner wahren Bestimmung zu folgen. „Ich höre zum ersten Mal Georges Brassens und beginne sofort, selber Lieder zu schreiben.“ 1966 trat er beim legendären „Waldeck“-Festival auf. Ein Pionier-Hort für Musiker, die die amerikanische Folk- und Protestsong-Bewegung hierzulande aufgriffen. Zwischen 1964 und 1969 traten dort auch Franz Josef Degenhardt, Reinhard Mey oder Dieter Süverkrüp auf.

1969 schließlich, in der brodelnden Liedermacher- und Folkszene von Berlin, veröffentlichte Wader sein erstes Album „Hannes Wader singt“. Zwischen seinem Neuling und dem Debüt liegen 36 Alben sowie zig Konzerte und Begegnungen mit KollegInnen. 2013 erhielt Wader schließlich den „Echo“ für sein Lebenswerk. „Mein alter Freund Reinhard Mey hält die Laudatio und ich singe Heute hier, morgen dort zusammen mit Campino – die Toten Hosen haben den Song gecovert.“ Zu sehen hier:

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Hannes Wader zählt einige Musiker-KollegInnen zu seinen Freunden. Einer davon ist Reinhard Mey. Und der war von Anfang an angetan, von der Idee das Lied „Le Temps Des Cerises“ mit Hannes in Günter Paulers Studio für das neue Album im Duett zu singen.

„Lieber Hannes,

das ist eine wunderbare Einladung, die ich von Herzen gern und mit großem Vergnügen annehme! Le temps des cerises ist eines meiner Lebenslieblingslieder und nichts würde es mir noch kostbarer machen, als es mit Dir zu teilen. Sag mir wie Du es Dir vorstellst, damit ich mich vorbereiten kann, und sag mir, wann ich zu Günter Pauler kommen soll, ab 22. Juni kann ich, wann immer es Euch passt. Heute ist ein schöner Tag, mein lieber Hannes, ich freue mich auf unser Wiedersehen! Je t’embrasse, Reinhard“

Hannes Wader mit Reinhard Mey
Ein gutes, kirschrotes Tröpfchen: Reinhard Mey und Hannes Wader stoßen auf die gemeinsamen Stunden mit „Le Temps Des Cerises“ an (Foto: Stockfisch Records)

„Lieber Reinhard,

mit Deiner Zusage machst du mich glücklich. wenn es Dir konveniert, können wir Ende Juni loslegen. Ich denke mir das so: Schlicht – nur eine Harfe, 1. Vers singe ich (Es-Dur), den 2. Du, den 3. ich, den 4. Du – und den Schluss: „J’aimerai toujours le temps des cerises et le souvenir que je garde au coeur“ – zusammen. (Et tu corrigerais ma prononciation s’il te plait?). Freu mich auf Dich! Je t’embrasse! Hannes“

Die Zeilen sind Auszüge der Wort-/Mail-Wechsels zwischen den beiden, bei der die gemeinsame Freude auch nach den Aufnahmen noch anhält:

„Mein lieber Hannes, Du hast mir zu Deinem Geburtstag ein Geschenk gemacht, die Sternstunde, Le temps des cerises mit Dir zu singen. Und dass ein Meister wie Günter (Pauler) sie für uns und für immer festgehalten hat, ist sein Geschenk, ich bin es, der ihm Dank schuldet, bitte richtet ihm das mit herzlichen Grüßen aus. Je t’embrasse, camarade! Reinhard“

Auch Reinhard Meys letztes Album wurde übrigens ein LowBeats Musiktipp der Woche

Die Musik von Hannes Wader „Noch hier“ …

„… was ich noch singen wollte“ vereint ein strahlendes Bouquet an Liedgut. Lyrik Dritter wie Hölderlin, Volksliedgut. Waders Begleitmusiker adeln die Stücke – Jens Kommnick an der Bouzouki, Ulla van Daelen an der Konzertharfe, Lydie Auvray am Akkordeon, Justin Ciuche an de Viola Martin Bärenz am Cello und Nils Tuxen an der Gitarre.

Wie schon erwähnt sorgt hier Stockfisch-Mastermind Günter Pauler für feinstes Klangniveau mit sensibel ausbalancierten Klangfarben, atmender Raumakustik, herrlicher Stimmartikulation und wunderbarer Auflösung. Das macht Waders Werk zu einem Rundum-Genuss für Freunde klug-emotionalem Liedguts mit dem kühnen Anspruch „eine bess’re Welt zu schaffen“.

„Die Nacht“ lässt Zeilen aus der Feder Friedrich Hölderlins sanft in den Raum gleiten, getragen von Waders sonorer Stimme und zärtlicher Streicher-Melancholie. Das Volkslied „Es dunkelt schon in der Heide“ verströmt samtene Wärme mit filigraner Akustikgitarre. Alten Versen wie „In stiller Nacht“ verleiht Ulla van Daelens Harfe eine wunderbare Aura. „Vorm Bahnhof“ kommt als quirliger Folk-/Country-Chanson mit beinahe kompletter Begleitband – und nebenbei Karl Marx textlich touchiert.

„Klaas der Storch“ rührt als gewitzte Old-School-Liedgut an, Hauptaktineure: Stimme und Gitarre. Lassen wir Hannes selbst dazu erzählen: „An meiner Geschichte von Klaas dem Storch ist so gut wie nichts erfunden. Ich lernte Klaas irgendwann in den 1990ern kennen. Damals zog ich mit meiner Familie aus meiner nordfriesischen Windmühle in einen Resthof direkt bei Wacken (da, wo jedes Jahr das berühmte, mittlerweile weltgrößte Metal-Festival stattfindet und wo damals auch Klaas lebte.) Aber weder die hunderttausende Hard-Rock-Fans, auch nicht die Auftritte von AC/DC, Metallica, Deep Purple, Motörhead, Ozzy Osbourne und Black Sabbath, noch die ihm feindlich gesinnt und aggressiven Jungstörche konnten Klaas aus seinem von ihm seit Jahrzehnten bewohnten Horst vertreiben. Das haben erst in jener verhängnisvollen Silvesternacht die… – Ach, am besten hört ihr euch die hier folgende Ballade mal an.“ Dazu gibt es auch ein ganz frisches Video:

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In „Schlimme Träume“ wird es sozusagen waderesk, wiederum mit Gitarrenbegleitung und flotter Melodie: Er schleicht im Traum um das Haus von Bob Dylan auf der Suche nach dessen Liedideen. „Es ist vorbei“ reflektiert sehr intim, getragen von Gitarre und Cello, die bittersüßlichen Blick auf Vergänglichkeit und nicht wiederkehrende Glücksmomente.

Hannes Wader "Noch hier" Cover
Hannes Wader „Noch hier“ (was ich noch singen wollte) erscheint bei Stockfisch Records / in-akustik als Hybrid-SACD/CD sowie als Download (Cover: Qobuz)

Hannes Wader ist in der Tat nicht mehr „Heute hier, morgen dort“. Er ist „noch hier“ – und das beeindruckend. Bitte bleib’ auch noch eine gute Weile, Hannes.

Hannes Wader „Noch hier“
2022/07
Test-Ergebnis: 4,8
ÜBERRAGEND
Bewertungen
Musik
Klang
Repertoirewert

Gesamt

 

 

Video: Hannes Wader & Reinhard Mey mit Ulla van Daelen – „Le Temps Des Cerises“ (Live in Studio):

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Autor: Claus Dick

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Musikfachmann seit Jahrzehnten, aber immer auch HiFi-Fan. Er findet zielsicher die best-klingenden Aufnahmen, die besten Remasterings und macht immer gern die Reportagen vor Ort.