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Freifeldentzerrung und Diffusfeldentzerrung bei Kopfhörern

Den Begriffen Freifeldentzerrung und Diffusfeldentzerrung begegnet man sowohl bei Kopfhörern als auch bei Mikrofonen. Obwohl sie in beiden Fällen auf ähnlichen Ursachen beruhen, zeigen sich doch Unterschiede in ihrer Auswirkung. Daher seien Freifeldentzerrung und Diffusfeldentzerrung für beide Produktgruppen separat besprochen – im vorliegenden Beitrag für Kopfhörer.

Ohrmuschel, Gehörgang und Kopf bewirken mit ihrer Außenohrübertragungsfunktion (Head Related Transfer Function = HRTF) am Trommelfell einen frequenzabhängigen Schalldruckpegel, der wesentlich von der jeweiligen Schalleinfallsrichtung bestimmt wird.

Bei Kopfhörerwiedergabe entfällt jedoch die richtungsabhängige Filterwirkung der Ohrmuschel, da sie durch den Wandler verdeckt ist. Um ein natürliches, unverfärbtes Klangbild zu gewährleisten, muss stattdessen der Kopfhörer ein geeignetes Signal zur Verfügung stellen.

Das erfordert eine entsprechende Frequenzgang-Anpassung (Entzerrung) des Originalsignals durch den Kopfhörer, sodass der Verlauf des Schalldruckpegels am Trommelfell dem einer echten HRTF entspricht.

Bis etwa 1983 kam hierfür die sogenannte Freifeldentzerrung zum Einsatz. Dieser liegt eine HRTF zugrunde, die sich bei einer Beschallungssituation geradewegs von vorn (0 Grad Azimut; 0 Grad Elevation) einstellt – und zwar im freien Schallfeld oder einem reflexionsarmen Raum.

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HRTF bedingter Schalldruckanstieg am Trommelfell im Vergleich zu einem normalen, freifeldentzerrten Druckempfänger-Mikrofon
Die Grafik zeigt den typischen Verlauf der unter Freifeldbedingungen entstehenden HRTF (rote Kurve) bei axialer Ausrichtung zur Schallquelle (0 Grad Azimut; 0 Grad Elevation). Ein Kopfhörer, der mit einem linear verlaufenden Eingangssignal am Trommelfell (oder dem äquivalenten Punkt DRP) einen Schalldruckpegel mit dieser Charakteristik erzeugt, gilt als freifeldentzerrt (Grafik: Audio Precision)
4 Freifeld-Entzerrungskurven, gemessen mit unterschiedlichem Azimut
Die Grafik zeigt vier Freifeld-Entzerrungskurven, gemessen am KEMAR-Kunstkopf bei unterschiedlichen, horizontalen Schalleinfallswinkeln (Grafik: G.R.A.S. Sound and Vibration; Audio Precision)
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Freifeld-entzerrte Kopfhörer eignen sich daher bevorzugt zur Wiedergabe von Tonmaterial mit relativ nahen, frontal angeordneten Schallquellen, weil die Entzerrung für diesen Fall optimal verläuft.

Bei Schallanteilen aus anderen Einfallsrichtungen (beispielseise Raumhall) können dagegen spektrale Verfärbungen auftreten, da hier der Verlauf der korrespondierenden HRTFs von der Freifeldentzerrung des Kopfhörers abweicht.

Einhergehend mit der Entwicklung der binauralen Aufnahmetechnik wurde die Freifeldentzerrung in den frühen Achtzigerjahren des letzten Jahrhunderts (bei Kopfhörern) mehr und mehr von der Diffusfeldentzerrung verdrängt.

Quasi der Gegenpol zur Freifeldentzerrung, besitzt die Diffusfeldentzerrung keine bevorzugte Schalleinfallsrichtung. Vielmehr geht sie davon aus, dass sich der Zuhörer in der Regel vornehmlich im reflexionsreichen, diffusen Schallfeld befindet – was bei Aufführungen klassicher Musik im Konzertsaal durchaus zutrifft.

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Freifeldentzerrung und Diffusfeldentzerrung im Vergleich www.cjs-labs.com
Freifeld-HRTF (blaue Kurve; 0 Grad Azimuth, 0 Grad Elevation) und Diffusfeld-HRTF (rote Kurve) im direkten Vergleich. Sehr gut zu erkennen: Die Diffusfeld-HRTF ergibt bei etwa 8 – 10 Kilohertz deutlich mehr Pegel. Im Bereich von 2 bis 5 Kilohertz besitzt hingegen die Freifeld-HRTF mehr Pegel (Grafik: www.cjs-labs.com)
Gemittelte Freifeldentzerrung und Diffusfeldentzerrung im direkten Vergleich (audio precision)
Auch Freifeld-Kurven lassen sich mitteln: Die vier bei unterschiedlichen Winkeln gemessenen Freifeld-HRTFs aus Grafik 2 in gemittelter Form (rot gestrichelte Kurve) im direkten Vergleich zur „echten“ Diffusfeldkurve. Gut zu erkennen die deutliche Annäherung beider Kurven im Vergleich zu vorangehender Grafik (Grafik: audio precision)
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Praktisch realisiert wird die Diffusfeldentzerrung durch Mittelung von HRTF-Messungen aus möglichst vielen Schalleinfallsrichtungen.

Altenativ dazu existiert ein (recht aufwändiges) subjektives Verfahren: Trainierte Hörer trimmen den Test-Kopfhörer im Vergleich zu einem diffus in den Messraum strahlendes Lautsprecher-Array durch manuellen Pegelabgleich mit schmalbandigen Rauschsignalen auf gleiche Lautstärken.

Die ermittelten Pegelunterschiede dienen als Grundlage zur Abstimmung des Hörers. Bei Kopfhörern, die nach dieser Methode abgestimmt wurden, findet sich in den technischen Daten häufig der Begriff „Lautheits-Dffusfeld-entzerrt“.

Freilich hat auch die Diffusfeldentzerrung ihre Schattenseiten. So könnten böse Zungen behaupten: Sie will’s allen HRTFs irgendwie recht machen, aber keiner richtig.

Dieser Einwand ist durchaus berechtigt: Erlaubt die Freifeldentzerrung zumindest für die bevorzugte Schalleinfallsrichtung eine Bestimmung des Verlaufs nach Betrag und Phase, so gehen bei der Diffusfeldentzerrung bedingt durch die Mittelung sämtliche Phasenbezüge verloren.

Im Klartext heißt das: Die Kopfhörer-Entzerrung kann prinzipbedingt nur einer Schallfeld-Situation vollständig entsprechen. Die Spannbreite reicht dabei von einer definierten Richtung (Extremfall Freifeld, zum Beispiel 0 Grad frontal; 0 Grad Elevation) bis hin zu keiner Richtung (Extremfall Diffusfeld, richtungsunabhängig).

Das bedeutet in der Praxis: Der Frequenzgang eines freifeldentzerrten Kopfhörers kann lediglich für eine einzige Schalleinfallsrichtung optimal verlaufen. Der Frequenzgang eines diffusfeldentzerrten Kopfhörers hingegen ist immer fehlerbehaftet – egal, aus welcher Richtung der Schall bei der Aufnahme auch einfallen mag.

Im Beitrag erwähnt:

Technik-Wiki: Außenohrübertragungsfunktion (HRTF)
Technik-Wiki: Binaurale Aufnahmetechnik

Autor: Jürgen Schröder

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Toningenieur, R&D-Spezialist und das (mess-)technische Gewissen von LowBeats. Kümmert sich am liebsten um Wissens-Themen, Musik und den spannenden Bereich zwischen Studio und HiFi.