Vor 60 Jahren wurden die Cassette und ihre dazu passenden Abspielgeräte auf dem HiFi-Markt eingeführt. Es wurde ein Riesenerfolg! Doch mit der Digitalisierung verblasste der Glanz des analogen Mediums. Doch am Ende ist die Cassette noch lange nicht: Nach über zehn Jahren der fast vollständigen Versenkung erfährt die Cassette im Rahmen der Analog-Renaissance nun eine erneute Würdigung. Das bedeutet für LowBeats: Es ist Zeit für einen umfassenden Ratgeber Cassettendeck. Denn nicht nur die Musik-Verlage haben das Thema wiederentdeckt; auch der Gebrauchtmarkt für diese Kult-Geräte floriert mittlerweile wieder ganz erstaunlich…
Na? Noch Cassetten in der Schublade? Oder Lust, wieder einmal ein Mixtape zu erzeugen, wie in früheren Tagen – sozusagen eine analoge Variante der Playlists? Oder einfach Freude an Vintage-HiFi mit faszinierender Feinmechanik jenseits von Phono? Tatsächlich scheint “Cassette” ein Thema zu sein, das immer noch (oder wieder) fasziniert.
Einfach einen neuen Recorder kaufen geht nicht: Neu hergestellt wird kein einziges highendiges Deck mehr – wenn überhaupt gibt es nur noch simple Laufwerke. Also gilt es, an ein gutes Gebrauchtes zu kommen. Und da spielen Marken eine Rolle, die man heute vielleicht gar nicht mehr kennt: Alpine (ganz früher noch Alpage), Aiwa, ASC, Akai, Kenwood, Tandberg und Nakamichi natürlich. Aber auch Studer/Revox, Teac/Tascam und die üblichen Verdächtigen von Onkyo, Sony, Denon, Pioneer & Co. hatten tolle Maschinen im Programm.
Vintage Cassettendeck: Worauf achten?
Zunächst die entscheidende Frage: nur abspielen oder auch aufnehmen? Wer nur abspielen möchte, kann frei auswählen; das können natürlich alle funktionstüchtigen Decks. Wer aber darüber hinaus das letzte Fitzelchen Klang aus seinen alten Tapes oder gar neuen Kaufkassetten herausholen möchte, sollte ein Laufwerk mit Doppelcapstan für beste Bandführung und Bandzug wählen und im Idealfall eines mit elektronischer Azimuth-Korrektur. Diese minimale Winkelkorrektur des Tonkopfes (zum laufenden Band) ist entscheidend für die höchsten Oktaven und damit auch für die Brillanz der Wiedergabe. Ein Nakamichi Dragon macht das automatisch und es gibt einige etliche Modelle, die diese Anpassung manuell per Drehregler anbieten. Aber diese Funktion ist selten und solche Geräte sind in aller Regel teuer.
Achtung: Der größte Teil der Geräte mit “Auto Azimuth” justiert nur den Aufnahmekopf für die Spur. Das sorgt zwar für bessere Aufnahmen, hat aber für die Wiedergabe von Cassetten anderer Laufwerke keine Bedeutung.
Wer alte, eigene Aufnahmen abspielen möchte, benötigt auf jeden Fall die gleiche Rauschunterdrückung, die bei der Aufnahme verwendet wurde, sonst rauscht es vernehmlich. Dazu kann man festhalten: Dolby B haben praktisch alle guten Decks schon seit den 1970ern. Dolby C und Dolby S sind moderner, DBX hat mehrere Varianten. Und dann gibt es noch den Problemfall HighCcom von Telefunken. Solche Aufnahmen sind in der Wiedergabe praktisch nicht mehr zu retten, da die HighCom-ICs mit analogen Regelschaltungen arbeiten, die beim Altern ihre Parameter verloren haben. Aufnahmen mit Highcom lassen sich selbst mit Highcom nicht mehr ohne Pump-Effekte wiedergeben. Schade, ich selbst habe noch einige dieser problematischen Aufnahmen.
Unkritisch und auf vielen Kaufkassetten verwendet: Dolby B. Bei meinem eigenen, gut 35 Jahre alten Nakamichi ist Dolby B noch absolut top. Dolby C zeigt schon eine Arbeitspunktverschiebung und damit ein minimales Pumpen und einen leicht verbogenen Frequenzgang. Beides ist nur geringfügig und praktisch kaum hörbar.
Wer noch aufnehmen möchte, sollte möglichst ein Dreikopf-Gerät mit Einmess-Möglichkeit kaufen – egal, ob mit manuellen Reglern oder Automatischer Einmessung. Dieser Punkt ist wichtig, weil weder gealterte Cassetten noch neu produzierte Bänder korrekt auf den Arbeitspunkten für die Referenzpegel von Dolby oder jenen der IEC-Normen liegen. Verwendet man Rauschunterdrückungen, hört man oft dumpfen Sound oder Pumpen. Korrekt kalibriert dagegen kann man mit alten, wie neuen Cassetten hervorragend klingende Aufnahmen machen, die sehr nahe dem Original klingen. Das belegt übrigens auch unser kürzlich veröffentlichter Leer-Cassetten-Test.
Vor Aufnahmen kalibrieren/einmessen: Wichtig!
Die Einstellung des Referenzpegels auf die “CAL”- oder Dolby-Marke mit einem 400Hz oder 440Hz Messton ist wichtig, denn daran orientieren sich alle weiteren Parameter bei der Aufnahme, angefangen bei der Austeuerungsanzeige und vor allem die Rauschunterdrückungssysteme reagieren da sensibel. Egal ob Dolby, DBX oder Highcom, sie komprimieren die Dynamik um diesen Referenzwert herum und expandieren sie bei der Wiedergabe entsprechend spiegelbildlich. Stimmt der Referenzpegel nicht, werden anteilig Bestandteile der Musik lauter gemacht als ursprünglich und umgekehrt. Die Wiedergabe beginnt zu “pumpen”. Also: penibel einstellen, dann funktionieren die Rauschunterdrückungen wunderbar.
Ist der Pegel eingestellt muss die primär für die Hochtonwiedergabe verantwortliche Vormagnetisierung, englisch “Bias”, dosiert werden. Ein korrekt justierter Bias mindert auch die Verzerrungen und ist daher mehr als nur für schöne Höhen verantwortlich. Der Bias wird üblicherweise mit einem 10-, 12- oder 15kHz-Sinus eingestellt. Einfachere Cassettendecks haben nur einen Bias-Regler und keinen für die Pegelreferenz. Bei dieser Gelegenheit kommt die Auflösung der Frage, warum fürs Aufnehmen ein Dreikopf-Laufwerk wichtig ist. Hier lässt sich nämlich während der Aufnahme zwischen Vorband (Source) und dem/der Hinterband/Aufnahme (Tape) umschalten. Gibt es einen Pegelunterschied oder klingt es heller beziehungsweise dunkler, dann stimmt mindestens einer von beiden Werten nicht. In diesem Fall sollte man korrigieren, bis es passt.
Rauschunterdrückung: ja/nein? Welche?
Unter Profis gibt es eine Faustregel: Wenn möglich, direkt und ohne Rauschunterdrückung aufnehmen. Ein dezentes Rauschen, vor allem wenn es sehr gleichförmig ist, blendet das Gehör nach kürzester Zeit aus. Eine gut ausgesteuerte Cassette hat nicht mehr Grundgeräusch als eine Vinyl-LP. Wenn unbedingt ein Rauschunterdrückungssystem eingesetzt werden muss, würde ich aus Kompatibilitätsgründen nur noch Dolby B einsetzen – seiner gutmütigen Eigenschaften, Langzeit-Stabilität und Kompatibilität wegen. Damit gewinnt man subjektiv rund 10 Dezibel mehr Ruhe und nutzbare Dynamik. Alle anderen Systeme eliminieren zwar das Rauschen deutlicher, sind aber in Sachen Austausch zwischen verschiedenen Cassettendecks sensibler, weniger kompatibel und haben beim Altern der Bänder mehr Probleme.
Und noch ein Punkt: Kaum jemand weiß heute noch, wozu das MPX-Filter da war. Bitte ausschalten! Es dient zum Unterdrücken des Pilottons bei Aufnahmen von analogem Stereo-UKW-Radio. Der 19kHz-Signalton, der beim Radio den Stereomodus aktiviert, konnte die Rauschunterdrückungen als Dauerstimulus irritieren. Für alle anderen Quellen ist der Filter eine sinnfreie Hochton-Beschränkung.
Wichtig: Pflege für das Laufwerk
Man muss sich vor Augen halten, dass alle wirklich guten Cassettendecks mittlerweile zwischen 25 und 45 Jahre alt sind; ein professioneller Service in einer qualifizierten Fachwerkstatt mit Reinigung und Neukalibrierung tut ihnen in jedem Fall gut. Aber auch im Alltag einer jeden Bandmaschine ist – genau wie bei Phono – ein wenig Pflege und Sorgfalt wichtig. Das gilt für alle Teile, die mit dem Band in Berührung kommen. Dazu zählen die Antriebswellen (Capstan) mit den Andruckrollen genauso wie die Tonköpfe. An ihnen sammelt sich Abrieb und die metallischen Komponenten werden magnetisch aufgeladen. Blöd, bei einem magnetischen Aufzeichnungsverfahren…
Einige der wichtigsten Pflegemittel werden dankenswerterweise noch hergestellt und man sollte sich damit eindecken, solange sie noch erhältlich sind. Dazu zählen gute Reinigungscassetten; von billigen Reinigungscassetten mit rauem Reinigungsband ist dringend abzuraten. Unser Tipp: Unter der Marke Analogis bekommt man im Zubehörhandel noch die geniale “Auto Cleaner” Cassette. Die reinigt so bequem und gründlich den Bandabrieb wie kein anderes Mittel. Die Mechanik in der Auto-Cleaner-Cassette putzt Capstans und Tonköpfe mit wechselbaren Filzplättchen und Reinigungsfluid – hier ein kleines Filmchen zur Funktion:
Die Arbeit mit der Reinigungs-Cassette ist so simpel wie clever: Einfach die Filze benetzen, Cassette einlegen und Wiedergabe/Play drücken. Die Filze für die Capstans passen sich selbst an die Mechanik an und die Tonköpfe werden dank der Mechanik mit Rotation plus Hin- und Her-Bewegung geputzt. Ärgerlich: Ausgerechnet bei Nakamichi-Laufwerken funktioniert die Mechanik für die Köpfe nicht, weil diese mit Kufen am Wiedergabekopf die Cassetten-Filze anheben und damit auch die Auto-Cleaner-Mechanik blockieren. Hier hilft das klassische Wattestäbchen mit destilliertem Wasser um die Köpfe, Wellen und Gummirollen zu reinigen. Der Rat vom Cassetten-Fachmann Matthias Ehmler: Auf keinen Fall Alkohol wie Isopropanol oder Fensterreiniger verwenden. Das vertragen manche alten Gummi- und Kunststoffteile nicht. Destilliertes Wasser reicht als Reinigungsmittel völlig aus und verdunstetet rückstandsfrei. Für Slot-In-Laufwerke (wie bei Auto-Cassettenplayern), denen man mit Wattestäbchen nicht beikommt, ist die Auto Cleaner Reinigungscassette ein Lebensretter für Klangqualität.
Ebenfalls höchst hilfreich: Die Analogis haben noch einen der letzten lieferbaren Entmagnetisierer auf Lager. Das ist zwar die technisch primitivste Ausführung, aber funktioniert daher auch zuverlässig, wenn man sie korrekt anwendet. Doch zuvor sollte man alles, was man auf keinen Fall entmagnetisieren möchte, außer Reichweite bringen: also Cassetten oder auch Kreditkarten mit Magnetstreifen.
Die Funktion ist schon irgendwie besonders: Zunächst die Laufwerksklappe öffnen und den Analogis Demagnetizer an die Steckdose anschließen. Dann die rote Spitze über jene metallischen Komponenten, die mit dem Band in Kontakt kommen (Tonköpfe und Antriebswellen) führen, ohne diese aber zu berühren. Zum Schluss den Demagnetizer unter ständiger Bewegung langsam aus dem Laufwerk ziehen und wenn man wenigstens einen Meter entfernt ist, wieder aus der Steckdose ziehen. Dann sollte alles entmagnetisiert sein.
Fazit: Cassetten-Hören ist faszinierend, aber anspruchsvoll
Es ist schon so: Die besten Cassettendecks stammen aus den 1980er und 1990er Jahren und sind eben entsprechend alt. Gute Gebrauchte sollte man beim Händler möglichst mit Garantie erwerben, das schafft eine gewisse Sicherheit. Bei privat erworben Geräten bitte genau aufpassen, denn eine Reparatur – vor allem der aufwändigen Decks – wird schnell teuer. Catawiki.com ist als Vermittlungs-Plattform dabei seriöser und sicherer als Ebay, Kleinanzeigen & Co. Wer tatsächlich auch noch aufnehmen möchte, sollte auf hochwertige Decks mit Dreikopf-Laufwerk, Hinterbandkontrolle und Einmessung für Pegel und Vormagenetisierung (Bias) Wert legen. Dabei muss man keine Sorge haben, dass die Cassetten ausgehen – wie unser Leercassetten-Test auf LowBeats belegt. Und wenn alles optimal gerichtet ist, klingen die kleinen Verwandten der großen Bandmaschinen verblüffend gut. Quintessenz: Die Cassette lebt und macht richtig Spaß!
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