Sie haben es schon wieder getan: Kaum ein Jahr nach Humanz haben die Gorillaz bereits ein neues Album am Start. Auf Gorillaz The Now Now wirken die Pixelpunks zwar etwas nachdenklicher und geerdeter als auf ihrem kunterbunten Sci-Fi-Trip von 2017 – verpacken dieses Lebensgefühl aber in einen fluffigen, Beach-Party-tauglichen Retrosound zwischen Elektropop, Soulfunk und Songwritertum mit Damon-Albarn-Qualitätsiegel. Die Gorillaz sind außerordentlich erfolgreich: Allein von den ersten drei Discs Gorillaz (2001), Demon Days (2005) und Plastic Beach (2010) gingen weltweit über fünfzehn Millionen Tonträger über den Ladentisch. Mit The Now Now geht dieses fast zur Lebensaufgabe gewordene Unternehmen jetzt in seine sechste Projektphase.
Oder anders herum: Diese Truppe hat gut zu tun. Gerade mal vierzehn Monate ist es her, als Gorillaz-Frontmann 2D, Bassist Murdoc Niccals, Schlagzeuger Russel Hobbs und Gitarristin/Keyboarderin Noodle mit Gorillaz The Now Now, ihrem fünften Album ganz groß auftrumpften. Messages und Videos auf facebook und youtube, eine virtual-reality-App, ein Kurzfilm im 360-Grad-3D-Format, dazu „Gorillaz Spirit House Experiences“ in eigens dafür eingerichteten, von Sonos mit bester Surround-Sound-Technik bespielten pop-up-stores (den „Haunted Houses“) in New York, Berlin und Amsterdam: Mit Humanz hatten Gorillaz-Mastermind Damon Albarn und Zeichen-/Visual-Art-Genie Jamie Hewlett ihre Comic-Band in neue technische Dimensionen gebeamt und virtuos die Klaviatur sozialer und digitaler Medien bespielt. Und längst überlappen sich bei dieser für Albarn und Hewlett quasi zum Lebensprojekt ausufernden Erfolgsstory künstliche und reale Welten – wenn die Gorillaz-Wärter ihre Rasselbande live von der Leine lässt, bekommt der Musikfan eine furiose Mischung aus Konzert und Multimediaspektakel serviert. Und im Zuge der Promotion-Aktivitäten für Humanz lümmelten Murdoc und 2D gar für ein Interview mit einem „richtigen“, also menschlichen Moderator auf dem Sofa eines englischen TV-Studios.
Kaum ein Jahr später (die Plattenfirmenmanager dürften schwer gestöhnt haben) folgt nun mit Gorillaz The Now Now der nächste Coup. Fast wirkt es so, als würden die Gorillaz ihren Schöpfern mittlerweile dreist auf der Nase herumtanzen. Aber manchmal entwickeln die Dinge eben ein Eigenleben, das sich nicht in Marketingpläne einbinden lässt. In diesem Fall ist es hauptsächlich das Innenleben von Damon Albarn selbst, das die Dinge so schnell wieder ins Rollen brachte. Begeisterte Humanz als fulminantes virtuelles Spacepopspektakel aus dem Computer, so kommt The Now Now stärker wie ein „richtiges“ Soloalbum des englischen Pop-Vordenkers daher, der von einem plötzlichen Kreativitätsvirus befallen zu sein scheint. Und wer Albarns 2014er-Alleingang Everyday Robots schätzt, darf diese Nachricht als positive Botschaft verstehen.
Gastauftritte wie noch bei Humanz , das mit HipHop-Ikonen und -Newcomern wie De La Soul und Vince Staples über Prominenz wie Grace Jones und dem englischen Soul-Chansonier Benjamin Clementine bis hin zu Geheimtipps wie dem jamaikanischen Dancehall-Youngster Popcaan als vielköpfige Allstar-Revue angelegt war, sind diesmal Mangelware; lediglich in „Hollywood“ tritt Snoop Dog zum Duett an und der US-Housemusiker/DJ Jamie Principle liefert die Beats dazu. Ansonsten singt Albarn die weiteren zehn Tracks durchweg selbst und erledigt den Job am Mikrofon mit jenem schläfrig-nasalen, von James Ford und dem nigerianischen Drummer Remi Kabaka als Produzenten stets einen Tick spacig in den Hintergrund gemischten Gesang, dem man seit Clint Eastwood als eine der lässigsten Vokalperformances der modernen Popmusik lieben darf.
Die Musik von Gorillaz The Now Now
Ähnlich entspannt groovt dazu wieder die Musik von Gorillaz The Now Now;. Aber sie klingt diesmal nicht ganz so elektizistisch wie auf dem von einer stylishen Trash-Ästhetik aus alternativem HipHop, Indierock, Soul und Dub geprägten Vorgänger, sondern kombiniert ein Faible für die 80er-Jahre mit Albarns semiaakustischen Saiten-/Elektroniksounds von „Everyday Robots“ — etwa in „Idaho“, in dem Gitarrengesäusel und weitläufigen Keyboardklänge mit melancholischer Gelassenheit zueinanderfinden.
Auch was das Songwriting betrifft, kehrt Albarn auf „Gorillaz The Now Now ein wenig in die Vergangenheit zurück – in seine eigene. Auf Humanz durften Frontmann 2D, Bassist Murdoc Niccals, Schlagzeuger Russel Hobbs und die Gitarristin und Keyboarderin Noodledie Gorillaz noch sehr eigene, dystopischen Blick auf die Welt in neuen Zeiten werfen. „Ich habe mir während der Aufnahmen vorgestellt, wie die nahe Zukunft aussehen würde, wenn Donald Trump die Präsidentschaftswahlen in den USA gewinnt“, erklärte Albarn damals in einem Interview– „und wie es wäre, wenn wir dann plötzlich alle unsere Menschlichkeit verlieren und zu digitalen Geistern werden.“ Eine ziemlich treffende Prognose übrigens, rückblickend betrachtet …
Gorillaz The Now Now knüpft zwar in Teilen an diesen Ansatz an, verlegt alles aber aus der Science-Fiction-Welt wieder zurück auf die Erde und in die Gegenwart. Trieben 2017 auf Humanz noch einäugige Riesenwürmer, schlecht gelaunte Polypen und lebende Pizzaschnitten ihr Unwesen, während der ins All entführte 2D inmitten eines Meteroidenschwarms eine Runde Golf spielte, so werfen Albarn & Hewlett respektive ihre Comic-Avatare hier melancholisch-analytische Blicke auf „Hollywood“, „Kansas“ und „Idaho“ und kommen zu wenig erfreulichen Ergebnissen. „Calling the world from isolation“ heißt es gleich im Auftakt in „Humility“ wie – „aber ich werde nicht weinen, sondern einen anderen Traum suchen“, lautet die Konsequenz in „Kansas“. Die Musik dazu bleibt betont fluffig und eignet sich eher zum relaxten Cocktailschlürfen und zur milden Reflexion als zum schwermütigen Sinnieren, lenkt aber auf intime Art die Aufmerksamkeit des Hörers auf ihre Themen.
Ehrensache natürlich, dass es auch diesmal wieder das ein oder andere gewitzte, von Jamie Hewlett im japanischen Anime-Stil gezeichnete Video gibt. In „Humility“ etwa, das Soulfunk-Altmeister George Benson mit seiner quecksilbrigen Funkgitarre veredelt, macht 2D auf Rollerskates zusammen mit Tenacious D-Kollege und US-Komiker Jack Black den Venice Beach von Los Angeles unsicher – sehenswert! Die Ausgrabung der guten alten Rollschuhe bleibt übrigens nicht die einzige Referenz an die 80er Jahre: „Tranz“ zielt mit munterem Synthiepop in die Lücke zwischen Pet Shop Boys und Visage; „Lake Zurich“ fährt Keyboards im Stil von The Message von Grandmaster Flash & The Furious Five auf. Das Sehnsuchtslied „Souk Eye“ schließt den Vorhang mit schwermütigen, aber leichtfüßigen Klängen von Discostreichern, Folkgitarre und Latin-Music-Tupfern: eine kleine Nachtmusik für die nach Liebesglück Suchenden von L.A. bis Lissabon und Lagos.
Gorillaz The Now Now erscheint bei Warner Bros. im Vertrieb von Warner Music und ist erhältlich als CD, LP, Deluxe-180-Gramm-Vinyl-Box-Set und MP3-Download.
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