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Qobuz
Bisweilen scheint Qobuz wie ein besserer Ort als andere Streaming-Dienste. Das hat auch etwas mit Haltung und Idealen zu tun. Das Interview mit Mareile Heineke (Foto: Qobuz)

„In Deutschland herrscht noch Sammlermentalität“: Qobuz-Botschafterin Mareile Heineke im Interview

Die aktuellen Nachrichten irritieren: Die Streaming-Anbieter Spotify wie Tidal wachsen bei Nutzern und Umsätzen. Und dennoch haben sich beide Firmen zu massiven Entlassungen entschlossen. Man schrumpft. Den Gegentrend lebt Qobuz mit Sitz in Paris. Da darf man sich an das gallische Dorf erinnern, das wacker gegen die Übermacht der Römer kämpft. Gibt es so etwas wie einen Zaubertrank bei Qobuz? LowBeats Autor Andreas Günther hatte die Country-Managerin Deutschland, Mareile Heineke, im Interview.

LowBeats: Erst kürzlich, in einem Interview, hatte mir ein Medien- und Kulturforscher offenbart, dass bald Apple, Google und Microsoft die Weltherrschaft über die Musikwiedergabe übernehmen werden. Klar in der Distribution, aber auch in der Definition der Klangqualität. Wie hält sich da Qobuz? Fühlen Sie sich wie Asterix?

Mareile Heineke
Ist Botschafterin und Haupt-Repräsentantin für Qobuz in Deutschland: die Country-Managerin Deutschland Mareile Heineke (Foto: Qobuz)

Heineke: Wir sehen Spatial Audio als einen Trend, aber das Format brauchte Zeit, um zu reifen. Anfangs war der Katalog recht begrenzt und konzentrierte sich hauptsächlich auf Mainstream-US-Pop, der für die von unseren Kunden gesuchten Genres nicht relevant war. Da es jedoch wächst, ist das Projekt jetzt in unsere Roadmap integriert.

LowBeats: Es gibt viele Künstler, die auf 3D und Dolby Atmos setzen, Steven Wilson beispielsweise. Qobuz veröffentlicht sein neues Album nur in der reinen Stereospur…

Heineke: Vielleicht ist es gar nicht so falsch, dass wir dann eher die konservativen Audiophilen ansprechen. Die vielfach vom physischen Tonträger herkommen, die eigentlich Vinylliebhaber sind und jetzt die digitale Version suchen.

LowBeats: Womit wir bei der Zielgruppe wären – hauptsächlich männlich und über 50?

Heineke: Ja, unsere Nutzer sind klar männlich geprägt, dazu sehr technikaffin. Aber der Trend bricht langsam. Wir sprechen immer mehr Frauen an. Wir bewegen uns immer noch in einer Nische, aber diese Nische wird größer. Weil wir das Gefühl haben, dass alles, was die Sensibilität für hohe Klangqualität angeht, immer mehr demokratisiert wird. Sowohl in Deutschland als auch in jedem anderen Markt, auf dem wir aktiv sind.

LowBeats: Wie ist das Nutzerverhalten? Kaufen die meisten ihre Tracks im Downloadstore oder ist die Masse der Konsumenten wie im weltweiten Trend eher im Streaming unterwegs?

Heineke: Nach meiner Einschätzung ist das im Jahr 2017 umgeschlagen. Wir generieren mittlerweile den meisten Umsatz per Streaming. Aber der Download macht bei uns noch immer einen großen Teil aus. Insbesondere im deutschen Markt sind es ungefähr 30 Prozent Käufe versus 70 Prozent Streaming. Damit ist Deutschland eine Besonderheit. Wir sind inzwischen in 26 Märkten aktiv, aber nirgends auf der Welt wird so viel gekauft und heruntergeladen wie in Deutschland.

LowBeats: Da bin ich überrascht. Sind die Deutschen ein Volk der Bibliothekare und Sammler?

Heineke: Die Streaming-Abonnenten hierzulande lauschen hinein und wenn es gefällt, so wird es gekauft. In Deutschland herrscht noch immer die Sammlermentalität. Man will es besitzen.

LowBeats: Mich interessiert der Vergleich. Die Deutschen wollen horten und haben. Wo ist die Gegenwelt? Welche andere Kultur kennen Sie, die überwiegend streamt?

Heineke: Das sind die Niederländer. In den Niederlanden gibt es bei unseren Kunden fast ausschließlich Streamer. Auch die Briten und die nordischen Länder sind viel offener für Streaming und Neuheiten.

LowBeats: Erst kürzlich habe ich wieder eine Messe besucht – und traf auf High-End-Fans, die ungebrochen der CD die Treue halten, beharrend und fast trotzig. Stößt Qobuz noch immer auf Berührungsängste?

Heineke: Ja sicher. In diesem Kontext ist es ganz interessant, dass eine andere Kultur, die geografisch sehr weit weg ist, auch mit dem High-Res-Stream fremdelt. Japan ist der zweitgrößte Musikmarkt der Welt – aber noch immer extrem physisch geprägt.

Qobuz
Auch die Beatles sind bei Qobuz fast komplett in HiRes zu haben (Foto: Qobuz)

LowBeats: Die Spotify-Meldungen lassen Angst aufkommen. Die aktuellen Gewinne waren eigentlich ausgezeichnet und trotzdem hat Spotify 1500 Angestellte entlassen. Können Sie das nachvollziehen?

Heineke: Ich möchte mich nicht dazu äußern, wie die Politik unserer Mitbewerber ist. Aber ähnliche Bestrebungen gibt es bei uns nicht. Überhaupt nicht. Wir haben zuletzt eher aufgestockt. Wir zählen aktuell mehr als 100 Mitarbeiter weltweit, wobei der Hauptsitz noch immer in Paris ist.

Georges Fornay
Deputy CEO Georges Fornay ist verantwortlich für den Bereich Hig-Rres Audio Music Streaming bei Qobuz (Foto: Qobuz)

LowBeats: Überraschenderweise wurde Qobuz von der Japan Audio Society für High-Res-Audio lizenziert. Das müssen Sie aktiv angesetzt haben. Ist das wichtig für die Vermarktung in Japan?

Heineke: Den Passus verwenden wir schon lange, und wir sind der einzige Streaming-Anbieter. Damit brüsten wir uns immer etwas.

LowBeats: Wieder eine technische Frage. Bei Qobuz finde ich maximal PCM-Daten bei 24 Bit und 192 Kilohertz. Könnte DSD für Sie in der Zukunft wichtig sein?

Heineke: Seit Langem spricht man von DSD, doch ich sehe keine wirkliche Entwicklung. Was die Musikproduktion angeht, was die Labels angeht, habe ich nicht das Gefühl, dass immer mehr Labels sich öffnen und ihre Kataloge in DSD anbieten.

LowBeats: Wie analysieren Sie das tiefergehende Nutzerverhalten? Klar, dass junge Nutzer bei anderen Anbietern von einem Track zum anderen springen, statt komplette Alben zu hören. Wie ticken dagegen die Qobuz-Fans?

Heineke: Der typische Nutzer bei uns ist sehr auf ein Album fokussiert. Das sieht man auch dadurch, was wir als Plattform anbieten, wie unsere App gestaltet ist, was wir dem Nutzer nahelegen. Das sollen Alben sein, die ins Auge springen. Wir bezeichnen uns als das digitale Pendant zu einem Plattenladen. Natürlich kann ein User auch seine eigenen Playlisten anlegen, was er ja auch tut. Aber zentral ist der verbindende Gedanke die vom Künstler vorgegebenen Song-Dramaturgie bei vollständigen Alben.

LowBeats: Wie grenzt sich Qobuz zu Tidal ab? Es gibt eine große Schnittmenge. Steht man im Boxring oder hat man sich freundschaftlich arrangiert?

Heineke: Genau, „freundschaftlich arrangiert“ trifft es ausgezeichnet. Weil wir in derselben Nische zwei unterschiedliche Geschmäcker bedienen. Einen Fokus legt Tidal auf Urban Music, HipHop, Soul, R’n’B. Bei uns ist dann eher Jazz, Klassik und Rock zu finden. Was auch noch ein Unterscheidungspunkt ist, dass Tidal seine redaktionellen Inhalte rein englischsprachig anbietet. Bei uns wird alles übersetzt in alle Sprachen, die wir bedienen.

LowBeats: Wie muss ich mir das vorstellen, sitzen bei Ihnen wirklich Musikredakteure und erarbeiten singuläre Inhalte?

Heineke: Genau. Weil wir auch auf deutsche Journalisten setzen, die passgenaue Artikel schreiben. Bei dem jüngsten Remaster der Beatles übersetzen wir natürlich. Aber wenn Marius Müller-Westernhagen seinen 75. Geburtstag feiert, dann ist das ein Thema, das nur in Deutschland wichtig wird. Und dann kommen die deutschen Musikredakteure zum Zuge.

LowBeats: Wie funktioniert dieser journalistische Gedanke angesichts der immer stärkeren Kraft der Roon-Software?

Heineke: Zuerst muss ich anführen, dass wir natürlich in Roon integriert sind. Wir sind also kein Konkurrent. Aber Roon kann teuer sein, nicht jeder hat das Budget. Genau hier will Qobuz die Basisinformationen liefern, flankierend zu den digitalen Booklets, die ja viele Labels mit anbieten.

LowBeats: Ah, ein guter Punkt. Das wundert mich häufig: Manche Veröffentlichungen erscheinen mit einem Booklet in PDF-Form, andere nur als karge Track-Sammlung. Woran liegt das?

Heineke: Das ist die Entscheidung jedes einzelnen Labels. Hier treffen wir manchmal auch auf eine strategische Entscheidung, mit der ein Label insbesondere seine physische CD- oder LP-Veröffentlichung mit mehr Wert aufladen will und nur hier auf ein Booklet setzt. Aber ehe wir zu kritisch werden: Wir sind eine der wenigen Plattformen, die digitale Booklets überhaupt zur Verfügung stellen.

LowBeats: Wenn ich auf Ihrer Webseite lande, oder in der App – dann publizieren Sie sehr prominent die bestverkauften Alben im Stream wie im Download…

Heineke: Damit wollen wir Höranreize schaffen. Die Charts waren vorher ein wenig versteckter auf der zweiten Ebene, jetzt sind sie direkt auf der Startseite.

LowBeats: Ohne überkritisch zu sein – aber fördern Sie damit nicht jene Musik, die ohnehin gut läuft? Wie steht es um die Geheimtipps?

Heineke: Wir versuchen natürlich, beides zu vereinen. Wir haben auch die Rubrik für junge Talente, unsere „Qobuzissimes“, klare Tipps unserer Musikredakteure. Im Laufe der Jahre ist die Band „London Grammar“ beispielsweise dadurch aufgestiegen zu jenem Ruhm, der sie heute umgibt.

LowBeats: Wenn wir eingeladen werden zu Lautsprecherherstellern – dann sehen wir fleißige Menschen in der Werkstatt. Wenn wir in ein Tonstudio eingeladen werden – das sehen wir Tontechniker an Reglern. Wie muss ich mir das Szenario bei Qobuz vorstellen? Junge Menschen mit einem Kicker und einem Billard-Tisch im Bürokomplex?

Heineke: Nein, einen Kicker haben wir nicht, aber es sind in der Tat sehr viele junge Menschen. Da gibt es unsere Entwickler, die an den Apps arbeiten und die Musikredaktion. Dazu die Buchhaltung, der Service, die juristische Abteilung. Ein Unternehmen, wie viele andere auch.

LowBeats: Die Abschlussfrage – ich unterhalte mittlerweile mehr Abonnements, als ich an einer Hand abzählen kann. Und monatlich werden es mehr. Zugleich drehen alle Anbieter an der Preisschraube – Apple, Amazon, Sky, Readly… Wird Gleiches auch bei Qobuz geschehen oder bleiben Sie preisstabil?

Heineke: Wir haben kürzlich unsere Preise in der Schweiz und in einigen nordischen Ländern leicht angehoben. Für den deutschen Markt, für den ich sprechen kann, haben wir bisher noch nichts geplant.

LowBeats: Frau Heineke, wir danke für das Gespräch.

Qobuz Logo
(Quelle: Qobuz)
Hintergrund:

Qobuz wurde 2007 von den beiden Franzosen Alexandre Leforestier und Yves Riesel gegründet; erstaunlich früh im Umfeld der aufkommenden Streaming-Anbieter und seit Anbeginn dem Transfer von verlustfreier Musik verschrieben. Den Namen haben die Gründer von einem Streichinstrument aus Zentralasien abgeleitet, das seinem Interpreten magische Kräfte verleihen soll.

Aktuell ist Qobuz in nahezu allen Komponenten weltweit agierender Elektronikhersteller integriert. Ebenso in der Steuersoftware Roon. Der Gesamtkatalog von Qobuz umfasst über 100 Millionen Titel.

Mehr über Qobuz:

Qobuz ist DER audiophile Streamingdienst und Download-Anbieter

Autor: Andreas Günther

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Der begeisterte Operngänger und Vinyl-Hörer ist so etwas wie die Allzweckwaffe von LowBeats. Er widmet sich allen Gerätearten, recherchiert aber fast noch lieber im Bereich hochwertiger Musikaufnahmen.