Sieben Jahre war James Murphys LCD Soundsystem offline. Jetzt hat der amerikanische DJ und Produzent seinen Maschinenpark wieder unter Strom gesetzt und legt ein erstklassiges Comeback auf den Underground-Dancefloor. Mit LCD Soundsystem American Dream holt Murphy die DNA moderner Clubmusik aus dem Gefrierschrank der Musikgeschichte und setzt dem Elektropop der Mittsiebziger- bis Mittachtziger-Jahre ein grandioses Denkmal.
Wie macht der Kerl das nur? Kaum kündigt James Murphy ein neues Album seines Bandprojektes LCD Soundsystem an, wird der alternativ gepolte Teil der Musikszene komplett wuschig. Dabei hat Murphy es in fünfzehn Karrierejahren auf gerade mal vier Alben gebracht – numerisch betrachtet kein sonderlich beeindruckendes Oeuvre.
Aber der Einfluss der DJs und Produzenten aus New Jersey auf die Musik der Gegenwart ist ungleich größer als es sein schmales Werk vermuten lässt. Als Chef des New Yorker DFA-Labels und Kopf seines LCD Soundsystem ebnete Murphy ab 2001 den Weg für die Fusion aus Dance Music und Punk, aus elektronischem Chic und dem Saitenhandwerk des Underground, brachte dem Indie-Rock das Tanzen bei und der Dance Music das Rocken.
Sieben Jahre sind seit Murphys letztem Lebenszeichen mit seinem Projekt inzwischen vergangenen, ehe im Juni dieses Jahres dann die ersten Rauchzeichen in Sachen LCD Soundsystem American Dream aufstiegen.
Seither zählten Hipster und Musikfreunde mit gutem Geschmack (was nicht immer dasselbe ist, by the way) den Countdown bis zur Veröffentlichung des neuen Werkes herunter wie die Apple-Gemeinde die Tage, bis ein neues iPhone in den Läden funkelt.
Was natürlich auch mit Marketing zu tun hat: Die Minimierung der eigenen Präsenz, die Verknappung des eigenen Schaffens treibt seit jeher die Nachfrage. Wobei dieses Prinzip im Fall von Murphy wesentlich unprätentiöser daherkommt – eine siebenjährige Schaffenspause hat schließlich nichts mehr mit Produktverknappung zu tun.
Bleibt (in beiden Fällen) die Frage: Ist der Hype eigentlich gerechtfertigt? Ob das Ding aus Cupertino das smarteste aller Phones ist, kann man getrost eine Glaubensfrage nennen. Schließlich hat Steve Jobs seine Produkte mit kühlem Kalkül zu digitalen Artefakten von fast religiösem Status gemacht – und ich hatte schon immer eine Abneigung gegen Religionen jeglicher Art.
Ob LCD Soundsystem American Dream hingegen das Nonplusultra in Sachen stylisher Elektromusik ist, darf man gerne als Geschmackssache betrachten – worüber ich weit lieber diskutiere als über Religionsangelegenheiten.
Doch zu diskutieren gibt es da nicht viel: Die Art, wie Murphy auf American Dream mit Hirn und Stil die DNA der zeitgenössischen Clubkultur aus dem Gefrierschrank der Geschichte holt, die Herkunft der digitalen Klangkultur der Gegenwart aufzeigt, ist ebenso musikalisch mitreißend wie historisch kundig.
Wie eben frisch aufgetaut pulsiert hier die nervöse Unruhe der Talking Heads („Other Voices“, „Change YR Mind“) und dengelt der Furor von Dance-Punkern wie der Gang Of Four („Emotional Haircut“); mit gläsernem Klingklong, industrial-artigem Brummen oder schnittigem Synthieflirren prallt der Elektropop von Kraftwerk, Human League oder den ganz frühen Simple Minds („American Dream“, „Oh Baby“) auf einen Bowie-artigen Glamrock-Gestus („Call The Police“).
Diese Musik, geschaffen in dem kaum zehn Jahre schmalen Zeitkorridor zwischen etwa 1976 und 1985, zitiert Murphy nicht bloß, sondern setzt ihr geradezu ein Denkmal.
Das erhält seine Größe auch durch die hermetische Abriegelung gegenüber dem Klangmüll der Gegenwart, durch die völlige Ignoranz des modernen Leichtmatrosentums.
Dass Murphy mit diesem konsequent rückwärts gewandten Werk keinen Innovationswettbewerb gewinnt? Geschenkt. Mögen sich nachfolgende Generationen ruhig die neuesten Soundeffekte um die Ohren hauen: Murphy zeigt sich als Meister der klassischen Pop-Moderne und legt hier eine Musik von Bauhaus-hafter Zeitlosigkeit vor.
Geschmackvoller und pointierter als durch einen solchen meist präzise groovenden, ab und an ambient-artigen Electropop-Hybrid, der dynamische Kante zeigt, ohne die Melodie zu scheuen, kann man dieses Thema nicht umsetzen.
LCD Soundsystem American Dream erscheint bei Columbia im Vertrieb von Sony Music und ist erhältlich als Audio-CD, Doppel-LP und MP3-Download.
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