LowBeats Autor Christof Hammer hat wieder ein echtes Schätzchen ausgegraben: Pretenders Alone. Unsere CD der KW 42 kommt, wie man vermuten könnte, von den Pretenders, aber eigentlich von Chrissie Hynde. Hynde ist Herrscherin im Pretenders-Imperium und eines bunten Haufens an teils sehr renommierten Mitstreitern, die ihr auf dem ersten neuen Album nach achtjähriger Auszeit zur Hand gehen dürfen.
Ergebnis: ein Hybrid aus Pop und Rock, aus amerikanischem Temperament und britischer Coolness, bei dem die Chefin Hynde selbst momentane Spitzenkräfte des Alternative Rock wie Black-Key-Mastermind Dan Auerbach gekonnt an die kurze Leine nimmt.
Selbst Kenner der Band betrachten die Pretenders gerne als englische Band. Das stimmt natürlich; als das Quartett 1978 zusammenfand, waren drei von vier Gründungsmitgliedern Briten, auch die weiteren der mit den Jahren gekommenen und wieder gegangenen Musiker an der Seite von Ausnahmesängerin Chrissie Hyne stammten von der Insel.
Und stilistisch klangen die Pretenders mit ihrem zwischen Pubrock und New Wave platzierten Sound und den leicht sixtiesverliebten sing-along-Refrains (man denke an „Don’t Get Me Wrong“ oder „Back On The Chain Gang“) ebenfalls immer hübsch nach Carnaby Street und Piccadilly Circus.
Allerdings: Die wichtigste Position der Band ist amerikanisch besetzt. Frontfrau Chrissie Hynde stammt bekanntlich aus Akron, Ohio; was man ihr aber auf höchst angenehme Art nicht anhört.
Egal ob hemdsärmelig oder gefühlvoll: Ihre Gesangsstil stand stets für distinguierte Britishness – während wiederum ihr Songwriting dafür sorgte, dass der Pretenders-Sound eben nie nur im klassischen Britpop wurzelte, sondern als im besten Sinne angloamerikanisches Mischgewächs funktionierte.
Daran ändert sich auch auf dem zehnten Pretenders-Album nichts – obwohl sich Pretenders Alone als durch und durch „Stars-and-Stripes“ Produktion entpuppt.
Aufgenommen wurde in Nashville mit meist amerikanischen Musikern und mit einem wahren Wunderknaben der US-Szene als Führungskraft: Als „Musical Director“ agiert hier nämlich Dan Auerbach, der mit seiner Band The Black Keys eine Koryphäe des überseeischen Alternative Rock betreibt und auch als Produzent jede Menge relevanter Aufnahmen der jüngeren Popgeschichte betreute (etwa von Dr. John oder Lana Del Rey).
Für Pretenders Alone brachte Auerbach ein paar alte Kumpels mit ins Studio; insbesondere Mitglieder seines Zweitprojektes The Arcs wie Schlagzeuger Richard Swift, Keyboarder Leon Michels und Pedal-Steel-Virtuose Russ Pahl.
Dazu kommen noch zwei echte Überraschungsgäste: Johnny Cashs ehemaliger Bassist Dave Rose und Saitenlegende Duane Eddy, der in dem delikat-feingliedrigen Midtemposong „Never Be Together“ mit charakteristischen Riffs zeigt, warum er als Erfinder des Twang-Gitarrensounds bezeichnet wird.
Auch der finale Mix lag in amerikanischen Händen; nämlich bei Tchad Blake (Arctic Monkeys, Peter Gabriel, Elvis Costello). Kleine Anekdote am Rande: Wie Hynde stammt auch Auerbach aus Akron, ist aber einen Tick jünger – 28 Jahre, um genau zu sein.
Gut möglich, dass der kleine Dan also früher mal für Chrissie die Einkäufe nach Hause getragen hat. Und irgendwie meint man auf Alone einen gewissen Respekt herauszuhören, mit dem Auerbach seiner Chefin hier die musikalischen Bälle zuspielt.
Pretenders Alone: die Klangfarben des alten Europas
Die Frage, inwieweit das noch ein Pretenders-Album im klassischen Sinne ist, rückt beim Hören übrigens so schnell in den Hintergrund wie sie auftaucht.
Denn erstens war Chrissie Hynde schon bei Gründung 1978 Gesicht und Seele der Band – die Männer um sie herum wechselten in knapp vierzig Karrierejahren unzählige Male.
Und zweitens funktioniert diese 2016er-Truppe schlicht vorzüglich: sie spielt einen Mix aus Pub- und Alternative-Rock so homogen, stimmig und herrlich knarzend, rumpelnd und polternd, dass man hier weder ein Hynde-Soloalbum mit austauschbarer Herrenbegleitung hört noch eine seelenlos ihr Pensum abspulende Studiogang – sondern eine prächtige 2016er-Version der Gruppe, eine Art Pretenders 4.0 (zumindest bis zur nächsten Umbesetzung jedenfalls).
Und die sich auf die Klangfarben des alten Europas so gut versteht, dass Alone den bandtypischen englisch-amerikanischen Mischsound nahtlos fortsetzt.
Zum Start verzichten der Titelsong oder „Gotta Wait“ auf jegliches Pop-Appeal und rempeln sich mit Klimperklavier, fuzzigen Riffs und brachialen Beats so beherzt durchs Alternative-Rock-Gefilde voran wie ein Quarterback im American Football Richtung Touchdown.
Die Gegenpole folgen im Mittel- und Schlussdrittel: „Let’s Get Lost“ (mit viel Schellenkranz und zart das Schlagzeugbecken tätschelndem Besen), „The Man You Are“ (mit Glockenspiel) oder „Blue Eyed Sky“ (mit leisem Gitarre-Keyboard-Dialog) kommen wunderbar nostalgisch daher und erinnern eher an englische Salon-Melancholiker wie Marke Richard Hawley als an die bekannten Auerbach’schen Alternative- und Americana-Ausflüge.
„One More Day“ holt zwischendrin dann noch Tex-Mex-Gitarren und Rumba-Rhythmen in den Sound, ehe mit „Holy Commotion“ eine weltmusikalische Merkwürdigkeit dieses feine Album abschließt: Mariachi-Bläser treffen auf Irish Folk und asiatisches Pling-Plang (!).
Pretenders Alone ist erhältlich als Audio-CD, Vinyl LP und MP3-Download bei BMG Rights / Warner Music.
Bewertung
Musik
Klang
Repertoirewert
Gesamt