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Rebecca Pidgeon ist unter Highendern eine echte Ikone. Aber die Amerikanerin macht auch richtig gute Musik – wie auf ihrem neuesten Album Sudden Exposure To Light

Rebecca Pidgeon Sudden Exposure To Light – das Album der Woche

Audiophile Zeitgenossen schätzen die fantastischen Aufnahmen der Gebrüder Chesky unter dem gleichnamigen New Yorker Label (viele im Vertrieb von in-akustik). Und sie erinnern sich bestimmt gerne an eine Singer-Songwriterin, die dort 1994 ein beeindruckendes Debüt gab: Rebecca Pidgeon launchte ihr Album The Raven und eroberte mit feinem Folk und klar-energischer Stimme die Herzen. Nach vielen Jahren als Schauspielerin und Musikerin legt die US-Amerikanerin nun ein facettenreiches, genreübergreifendes Doppelalbum vor: Rebecca Pidgeon Sudden Exposure To Light.

Es war einmal in Amerika. Bei Chesky Records. Ein kleines, feines Label nahm Ende der 80er Jahre in New York meist junge, talentierte MusikerInnen unter Vertrag, um sie mit damals tonangebender Studiotechnik in der Welt bekannt zu machen. Was in Zeiten von HiRes-Formaten „normal“ anmutet, galt vor gut einem Vierteljahrhundert als Meilenstein – digitale Aufnahmen mit 128-fachem Oversampling, später dann 96Kilohertz-/24-Bit-Takes oder die Binaural-3D-Technologie. Die beiden Brüder David und Norman Chesky verfuhren frei nach Oscar Wildes Motto „ich habe einen ganz einfachen Geschmack, ich will immer nur das Beste“.

Neben Namen wie Paquito D’Rivera, Sara K., Chuck Mangione oder Ana Caram stand 1994 auch eine begabte Amerikanerin, teils aufgewachsen in Schottland, auf der Label-Liste, die ihrerseits ebenfalls von gutem Klang angetan war, zum Beispiel von einer overdub-freien Chesky-Scheibe Kenny Rankin’s, die sie als klar und natürlich empfand. Die Chesky-Brüder fanden mit Bernhard Rössle von den badischen Musik- und HiFi-Enthusiasten in-akustik einen perfekten Partner, der für die Produktionen ein offenes Ohr hatte und sie an Klang- und Musikbegeisterte vermittelte.

Norman ließ es sich nicht nehmen, frisch unter Vertrag genommene Talente persönlich zu promoten. Und so fuhren der damalige AUDIO-Musikreporter C. Dick und der Label-Chef N. Chesky im Frühjahr 1994 hifi- und musik-fachsimpelnd im 8-Zylinder-Lexus von N.Y. hoch nach Boston, wo ein Interview- und Fototermin mit Rebecca anberaumt war.

In einem backsteinbewehrten kleinen Restaurant saß die damals End-Zwanzigerin vor ihrem Lunch, tupfte sich nach beinahe jedem Bissen immer wieder wohlerzogen-artig die Lippen mit ihrer Serviette, um dann von ihrer Schauspielausbildung an der Londoner Royal Academy Of Dramatic Art oder ihrer Arbeit mit Kollegen wie Anthony Hopkins oder Peggy Ashcroft zu erzählen. Und noch viel mehr über ihre Liebe zur Musik, die sie damals in einer wärmenden Liaison von (keltischem) Folk, Jazz und Pop verband – und mit kristallklarer Stimme inszenierte. Wie beispielsweise in dem toll interpretierten Klassiker „Spanish Harlem“. Nicht nur HiFi- und Musikmagazine wie Audio, Stereo oder Stereoplay, auch der „Rolling Stone“war angetan: „Nuanciert und selbstsicher … Sie ist eine derjenigen raren Sängerinnen, die pure Emotionen vermitteln.“

Dutzende von anspruchsvollen Film- und Bühnenrollen und einige Musikalben liegen nun zwischen The Raven und Rebecca Pidgeon Sudden Exposure To Light ein Doppelalbum auf der Basis ihrer zuvor veröffentlichten EPs „Circus Delirium“ und „Comfort“.

Nach wie vor beeindruckt die nun 53-Jährige mit hell-klarer Stimme, die sich in Folk-Fantasmen ebenso vertraut artikuliert wie in elektronischen Soundumgebungen oder in rockigem Terrain – allesamt zu finden auf dem neuen Doppel-Album.

Produziert hat Rebecca Pidgeon Sudden Exposure To Light Alternative-Ass Thomas Bartlett (St. Vincent, Sufjan Stevens, Yoko Ono) und Singer-Songwriter Fernando Perdomo. Rebecca durchleuchtet dabei in ihren Stücken Abgründe der Seele, verfolgt Obsessionen, aber auch die schönen Wunder des Lebens. Assoziationen der TV-Serie „Twin Peaks: The Return“ haben dabei wohl eine Rolle gespielt. Ebenso wie viele andere Einflüsse.

Rebecca Pidgeon Sudden Exposure To Light: die Musik

Und ja, wohl deshalb wirken manche Songs etwas smarty arty, beinahe exaltiert, will meinen: scheinbar liebäugelnd mit Stilen anderer Musiker – wie PJ Harvey („Orphee“, „Underwater Boys“) oder Lou Reed („Comfort“). Und ja, Frau Pidgeon scheint einen Hang für Name-Dropping prominenter KollegInnen zu haben – siehe Songbeschreibungen unten. Aber: Insgesamt durchdringt ihre eigenständige kompositorische Kraft das Album mit vielen überraschenden Sound- und Instrumenten-Facetten nebst ihrer sehr wandlungsfähigen Stimme. Die Tontechnik, teils eingefangen im Studio von Fernando Perdomo in Los Angeles, gefällt durch Farbtreue, schöne Auflösung und gutem Raumambiente.

Der Opener „Underwater Boys“, inspiriert von Regisseur Alfonso Cuarón’s mexikanischem Drama „Y Tu Mamá También“, entwirft ein erotisches Ambiente, in dem zwei junge Männer an einer älteren Frau Gefallen finden. Der Sound dazu könnte – wie erwähnt – von PJ Harvey stammen, nur die elektronischen Einsprengsel wären nicht so das Ding der Indie-Queen aus dem englischen Dorset.

Das gilt auch für „Pretty Thing“, das fiktiv eine amateurhaft gespielte Produktion von Shakespeare’s „Macbeth“ reflektieren soll.

Und wieder Erotik: „Stick Out My Tongue“ handelt in exzentrisch-dramatischer Rhythmusstruktur von Marilyn Monroes angeblichem Faible für das 30er-Jahre-Sexsymbol Jean Harlow.

„200 Million Miles From Hawthorne“ schwebt als fiktive Liebesgeschichte zwischen Monroe und Tesla-Macher Elon Musk (!) durch den Raum – mit zarter Stimme wie von einer Kate Bush inklusive orchestraler Wallungen.

Star-Kollegen wie Jane Fonda, Brigitte Bardot und Sophia Loren standen wiederum Pate für Songs wie „Circus Delirium“ – in heavy Industrial-Manier – „Radio And Coca Cola“ – mit reiner, strahlender Stimme und Keyboardtupfern – sowie „Mkultra“ – mit sakral angehauchter Stimme und Tori-Amos-Touch. Rebeccas lyrische, gesellschaftspsychologische Assoziationen reichen dabei von LSD-Trips bis zum Treiben der CIA.

„406“ klingt wunderbar trunken von gehaltvollem Southern Comfort und gehörigem Westcoast-Appeal.

„Comfort“ scheint beeinflusst vom US-Novelisten Charles Bukowski, „der Schrei einer Frau nach Hilfe“, ein minimalistischer Rock-Kracher, den Lou Reed nicht besser hätte inszenieren können.

„Don’t Lie Darling“ wiederum ist Rebeccas moderne Version von Ernest Hemingway’s „A Farewell To Arms“, ein bluesiger Ausflug mit glockenheller Stimme.

In „You And I“ lässt Rebecca dann die 80er Jahre mit einem Sound aufleben, der an Orchestral Manoeuvres In The Dark (OMD) erinnert – wiederum dennoch eigenständig und packend.

Der Titeltrack schließlich spiegelt das Thema Abschied und Neuanfang mit psychedelischen Einsprengseln, stolperndem Piano und einer Soundwolke in der Art von „I’m Not In Love“ von 10CC wider.

Fazit: Sudden Exposure To Light

Rebecca legt hier ein äußerst gehaltvolles, abwechslungsreiches und tiefgründiges Epos in 20 Kapiteln vor, zudem astrein produziert. Unterm Strich hat sich die einstige Folk-Fee damit zwar weit entfernt von ihren Anfängen auf Chesky Records – die audiophilen Alben dieser Ära sind selbstredend nach wie vor eine sehr dicke Empfehlung wert.

Rebecca Pidgeon Sudden Exposure To Light Download
Rebecca Pidgeon Sudden Exposure To Light erscheint bei Toy Canteen Records und ist erhältlich als Doppel-CD oder als Stream sowie MP3-Download, z.B. bei amazon.de

Audiophile Top-Alben von Rebecca Pidgeon:

The Raven (1994, Chesky; Vertrieb in-akustik), erhältlich als SACD und MQA-CD (Binaural) sowie als 180-Gramm-LP
The New York Girls Club (1996, Chesky; Vertrieb in-akustik), erhältlich als CD

Rebecca Pidgeon
Cover Art: The New York Girls Club

Video-Clip:
Vier Songs „At Paste Studio NYC Live From The Manhattan Center“

Rebecca Pidgeon
Sudden Exposure To Light
2019/08
Test-Ergebnis: 4,4
SEHR GUT
Bewertungen
Musik
Klang
Repertoirewert

Gesamt

Autor: Claus Dick

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Musikfachmann seit Jahrzehnten, aber immer auch HiFi-Fan. Er findet zielsicher die best-klingenden Aufnahmen, die besten Remasterings und macht immer gern die Reportagen vor Ort.