Touraj Moghaddam hat mit seiner Firma Vertere Acoustics geliefert: den 3.200-Euro-Plattenspieler Dynamic Groove, das 2.500-Euro-System Mystic – und reichlich Diskussionsstoff für Analogfans. Denn der Vertere Dynamic Groove stellt HiFi-Dogmen gleich reihenweise in Frage, überzeugt klanglich aber auf ganzer Linie.
Wer aktuell über einen neuen Plattenspieler der 3.000- bis 4.000-Euro-Klasse nachdenkt, wird sicher die ewigen Klassiker von Linn, die gutaussehenden Clearaudios, die wiedererstarkten Traditionsmarken wie Thorens und Technics auf dem Zettel haben. Nun muss ein weiterer Name drauf – einer, den noch kaum jemand kennt: Vertere Acoustics, in dieser Klasse konkret das Modell Dynamic Groove, kurz DG-1. Nicht jeder muss ihn zwingend kaufen. Gesehen und gehört haben sollte man ihn aber schon. Denn in seinem traditionsgeprägten, konservativen Marktumfeld gehört der britische Spieler zu den ungewöhnlichsten, aufregendsten Konstruktionen. Und er bietet echte, so zu diesem Preis sonst nicht zu findende Klangintensität: Er kommuniziert Musik, hochdynamisch, klar und wirkungsvoll.
Der Aufbau des Vertere Dynamic Groove
Schon äußerlich ist der Dynamic Groove unverwechselbar: Eine dreischichtige Acryl-Zarge fasst ein in Silikondämpfern hängendes Subchassis aus dem gleichen Material ein, aber der Spieler trägt eben nicht den gewöhnlichen Acryllaufwerks-Look. Seine rechteckige Grundform bekommt durch klug gesetzte Ein- und Ausschnitte und das Wechselspiel von transparentem und schwarz gefärbtem Plexiglas etwas Futuristisches, Spannungsgeladenes.
Unterstützt wird der Stealth-Raumschiff-Look von diversen Lichtquellen, deren Schein die mittlere, glasklare Acrylschicht illuminiert. Das Licht kann man abschalten, es ist aber dezent genug, um genausogut auch an zu bleiben – und der Spieler sieht damit, zumindest in den Augen des Testers, umwerfend gut aus: als würde man ein Bang & Olufsen-Gerät unter dem Einfluss psychedelischer Wirkstoffe betrachten.
Nebenbei verrät die Lichtfarbe, ob der Spieler läuft und welche Drehzahl gerade gewählt ist: grünes Licht signalisiert 33, rotes 45 Umdrehungen. Der kombinierte Start-Stopp-Umschaltknopf besteht aus einer großen LED, die ihren Kopf etwas übers Acryldeck hinausstreckt, und zwar an einer ziemlich ungewöhnlichen Stelle: hinten links, in unmittelbarer Nähe des Silikon-Antriebsriemens, der dort vom Tellerrand zum Antriebspulley läuft. Man muss also schon etwas aufpassen, um beim Ein- und Ausschalten diesen Riemen nicht unnötig zu betatschen.
Warum also ausgerechnet hinten links, statt etwa irgendwo auf der Vorderseite? Design könnte eine Erklärung sein, denn aus ihrer etwas versteckten Position kann die Schalter-LED den Nutzer nicht einfach dumm anstrahlen, sondern schickt einen Großteil ihres Lichts in die mittlere Acryl-Schicht, die es dann per Brechung zum bereits erwähnten Schimmern und Schillern veredelt. Schwerer wiegt aber wohl die Tatsache, dass die Elektronik für die Laufwerkssteuerung nun mal an genau dieser Stelle wohnt und der Schalter somit ohne hässliche (und potentiell störungsträchtige) Kabelstrecken direkt auf deren etwa postkartengroßer Platine sitzen kann.
Der Antrieb des Spielers ist für die Preisklasse außergewöhnlich raffiniert und haust komplett, inklusive des Motors, auf jener Platine, tief vergraben unter drei Lagen Acryl und einer dicken Edelstahl-Schirmplatte sowie einem weiteren Kupfer-Schirmblech für die hochfrequent getakteten Digital-Baugruppen. Dort werden zunächst zwei lupenreine, gegeneinander versetzte Sinuswellen synthetisiert und nach der D/A-Wandlung auf die vom Motor benötigte Spannung verstärkt. Der Motor selbst ist ein 24-poliges Synchronaggregat von einem Schweizer Hersteller, der bereits für Moghaddams alte Marke Roksan die Antriebe baute.
Motor und Steuerung werden bei Vertere exemplarweise penibel aufeinander abgeglichen, Spannung und Phasenlage der beiden Antriebs-Sinuswellen also auf vibrationsärmsten Lauf feingetunt. Die Antriebsdaten sind auch später noch über eine serielle Schnittstelle updatefähig – so lassen sich auch im seltenen Fall eines Motortauschs wieder Idealbedingungen herstellen.
Neben der elektronischen Optimierung verwendet der Spieler auch etliche mechanische Tricks, die Freunde britischer Laufwerks-Baukunst bereits von Moghaddams älteren Roksan-Spielern kennen. Das präzise nivellierte, mit Silikondämpfern entkoppelte Subchassis etwa, und die definiert bewegliche Motoraufhängung: In Richtung Tellerachse steif, tangential zum Teller dagegen sehr weich. Dieser Trick minimiert im Abspielbetrieb eventuell verbleibende Motoreinflüsse, garantiert jedoch beim Start, Stopp und gröberen Störungen (etwa beim Abfegen der Platte mit der Kohlefaserbürste) kraftvolles Drehmoment.
In der Tat startet der Dynamic Groove ohne Gedenksekunden, ohne Riemenschlupf, ohne komische Geräusche fast so augenblicklich wie ein Direkttriebler. Und hält genauso auch wieder an. Hilfreich dabei ist neben dem sehr griffigen Silikonriemen natürlich auch der relativ leichte Teller – wieder ein für Touraj Moghaddams Entwürfe charakteristisches Merkmal: 1.450 Gramm wiegt der aus hochwertiger Alu-Werkzeugbauplatte gefräste Rundling. Das entspricht etwa der Tellermasse des alten Technics SL-1200 Mk2.
Allerdings ist der Vertere-Teller, wie sich mit einem vergleichenden Klopftest unschwer überprüfen lässt, nahezu perfekt resonanzfrei, während das gegossene Technics-Teil munter klingelt. Das Geheimnis der verblüffenden Neutralität des DG-1-Tellers ist dessen vierschichtiger Aufbau: Der Kern besteht wie gesagt aus Alu-„Tool Plate“, einem Rohmaterial mit extrem gleichmäßigem Gefüge, das per CNC-Fräse in seine endgültige Form gebracht wird.
Nach unten schließen sich zwei weitere Schichten an, die beide vollflächig verklebt sind: zunächst eine dünne (0.9mm) Aluscheibe, die etwas kleiner ist als der eigentliche Teller, und dann eine Lage Nitrilkork. Die Oberseite des Tellers krönt eine dünne, im Labelbereich ausgesparte Matte aus PET – fest verklebt, rückseitig schwarz kaschiert und mit dem Firmenlogo und einem radialen Strahlenmuster dekoriert.
Für die Resonanzarmut ist in erster Linie der doppelschichtige Alukern verantwortlich. Ein bißchen trägt sicher die Matte bei, der Nitrilkork so gut wie nichts – Moghaddam erklärt dann auch, dass die Korkschicht gar nicht gegen Resonanzen gedacht ist, sondern zum Schutz des glänzenden Acryl-Oberdecks vor Kratzern durch die Tellerunterseite. Womit wir bei einer weiteren Vertere-Spezialität wären, die unvorbereitete Nutzer womöglich beunruhigen könnte: Der Teller liegt nur auf einem etwa Centstück-großen Kranz der Lagerwelle auf, ist durch den Mitteldorn zwar präzise zentriert, kippt aber bei etwas stärkerem Druck auf den Tellerrand aus seiner Ruhelage, statt die Kraft auf das Tellerlager zu übertragen.
Das wirkt wackelig, bleibt in der Praxis aber ohne negative Auswirkungen, zumal sich zum Beispiel eine Kohlefaserbürste ohne jede Auffälligkeit verwenden lässt. Vor allem aber schützt es das zierliche, hochpräzise Tellerlager und minimiert zugleich eine Übertragung eventueller Lagergeräusche auf den Teller und damit die Platte.
Nicht, dass da viele Geräusche wären: Das supereng tolerierte Gleitlager aus Bronzebuchse, Stahlachse und Wolframkarbid-Lagerkugel ist bewusst schlank dimensioniert, was einen stabilitätsförderlich hohen Quotienten aus Hub und Bohrung ergibt. Die Passung ist so genau, dass man das Lager nur mühsam auseinander und ohne Spezialwerkzeug gar nicht mehr zusammen bekommt. Weshalb die Bedienungsanleitung auch ausdrücklich vor eigenmächtigen Inspektionen warnt, die eh sinnlos wären, weil das Lager für unbegrenzt wartungsfreien Betrieb ausgelegt ist.
Der Vertere Dynamic Groove in der Praxis
So filigran das Ganze aussieht, für die auftretenden Lasten ist es dennoch üppig dimensioniert – und läuft geradezu sensationell ruhig und stabil: Der entkoppelte, durch seine nachgiebige Lagerung virtuell verkleinerte Motor, das vornehme Feinmechanik-Lager, die präzisen Riemen-Laufflächen an Tellerrand und Pulley, die mit Bedacht gewählte Tellermasse: Das alles ergibt im Zusammenspiel eine Ruhe, die – in den Schweigesekunden nach dem Aufsetzen der Nadel, im Ausklingen von Klavieranschlägen – mit der guter Masselaufwerke vergleichbar ist. Nur eben ohne die Masse, die mit ihren negativen Nebenwirkungen ja auch erstmal beherrscht sein will.
Massearm ist auch der Arm, dafür umso reicher an originellen Ideen. Auffälligste Besonderheit ist das Armrohr, beziehungsweise das Fehlen eines solchen: Ein flunderflacher Flügel, lediglich dreieinhalb Millimeter stark, dafür in der Breite umso ausladender, trägt das Tonabnehmersystem über die Platte. Er besteht aus einem Alu-Sandwich mit Kunststoffkern und soll im Gegensatz zu bisherigen Flacharmen – analoghistorisch Interessierte erinnern sich an den NAD 510/5120 und den EAT E-flat – weder zum Verziehen noch zu garstigen Eigenresonanzen neigen.
Solo hätte der flache Ausleger für die meisten Systeme zu wenig effektive Masse. Letztere – und damit die Tiefenresonanz mit einem gegebenen System – lässt sich aber mit einem kleinen, entlang des Arms verschiebbaren Zusatzgewicht innerhalb weiter Grenzen frei einstellen. Das ist zwar etwas mühselig, weil man dabei stets auch das Haupt-Gegengewicht entsprechend anpassen muss und dafür wegen dessen widerspenstiger Verschiebemimik stets mehrere Versuche braucht. Es gibt dem Nutzer aber ein weiteres, sehr einflussreiches Instrument zur klanglichen Feinabstimmung in die Hand.
Gelagert ist der Arm in einer zweiteiligen Spannseil-Konstruktion: Horizontal schwenkt er an einem verdrillten Nylonfaden, vertikal hebt und senkt er sich in zwei gespannten Kevlarfäden. Das Lager arbeitet selbstdämpfend, extrem leichtgängig und geräuschfrei, bietet aber nicht die sonst angestrebte absolute Steifigkeit in allen unerlaubten Bewegungsachsen. Ähnlich wie die magnetischen Lager etwa an Clearaudio-Armen weist es eine gewisse elastische Nachgiebigkeit auf, die man wegen der genau definierten Position und der hohen Rückstellkraft aber nicht als Spiel werten darf.
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